Schmutzjunges schluckte schwer. Ihre Vorstellungskraft hatte gereicht um ihr selbst einen Schrecken einzujagen, immer wieder tauchte vor ihr das Bild eines blutüberströmten, weißen Katers auf, der sie mit schief gelegtem Kopf und leeren, weißen Augen anstarrte. Sein Mund war zu einer Fratze verzogen, lächelte und kreischte zugleich.
Mit geweiteten Augen drehte sich Schmutzjunges zu ihren Schwestern.
"M...Meint ihr, Schneeschweif ist noch da draußen?", wisperte sie mit zittriger Stimme.
Schwanenjunges warf den Kopf nach oben und stieß ein verächtliches Geräusch aus.
"Du bist so ein Mäusehirn, Schmutzjunges. Eichenglut hat sich das doch bloß ausgedacht, damit wir uns fürchten."
"Schwanenjunges hat Recht", mischte sich nun auch Pfützenwasser ein. "Diese Geschichte geht schon seit Ewigkeiten herum, aber Schneeschweif ist nie wiedergekommen. Das ist bloß eine dumme Geschichte, die sich ein Ältester ausgedacht hat, weil ihm langweilig war." Pfützenwasser zog alle drei Jungen mit dem Schweif zu sich. "Schluss jetzt mit Schauergeschichten."
Damit begann sie, Schwanenjunges zu waschen, aber Schmutzjunges wollte die Geschichte nicht aus dem Kopf gehen. Wer sollte sich so etwas schreckliches ausdenken, nur damit er Junge erschrecken konnte?
Dennoch beruhigte sich Schmutzjunges durch die Nähe ihrer Familie, auch wenn ihre Mutter sie nicht putzte. Eine einzelne Katze, wie Schneeschweif, konnte es nicht mit einem ganzen Clan aufnehmen, schon gar nicht, wenn er nur ein Geist war. Mit einem Kopfschütteln vertrieb die kleine Tigerkätzin die Gedanken an die Geschichte.
Ich frage mich, ob es Libellenpfote gut geht. Sie sind schon ziemlich lange weg.
Schmutzjunges streckte den Kopf aus dem Ältestenbau, aber von dort aus konnte sie den Lagereingang nicht sehen. Links von ihr saß Muschelklang, die Ohren wachsam gespitzt und mit einem ernsten Gesichtsausdruck. Auf der anderen Seite stand Ameisenstern mit ebensolcher Mimik, sein dünner Schweif peitschte unruhig hin und her. Zuerst hatte es Schmutzjunges überrascht, dass Ameisenstern nicht selbst in den Kampf eingriff, aber dann war ihr eingefallen, dass Fuchsblüte seine Gefährtin war und er sie und seine Jungen sicher beschützen wollte, sollte etwas passieren. Alle vier Jungen aus seinem Wurf hatten bereits die Augen geöffnet und probierten ihre Beine aus, es war nicht gerade einfach, alle im Auge zu behalten, wenn sie in unterschiedliche Richtungen krabbelten. Schmutzjunges verstand, dass sich die fuchsfarbene Königin ab und zu Unterstützung bei Schwalbenpfote holte.
Plötzlich raschelte es beim Lagereingang und die ohnehin schon zertrampelten Ranken wurden erneut zu Boden gerissen, als Schwarzfrost hindurchstürmte. Sein schwarz-weißes Fell war zerrupft und unordentlich und er hatte einige Kratzer auf der Flanke und auf der Schulter, aber sonst sah er unverletzt aus.
"Ottersee! Wir brauchen Hilfe! Moosschwinge ist verletzt!", keuchte der Zweite Anführer und kurz nach ihm kam Felsenkralle ins Lager. Eine massige, goldene Kätzin stützte sich auf seine breite Schulter, sie schien sich kaum auf eigenen Beinen halten zu können.
Schmutzjunges erschauderte, als sie die Wunden sah, die Moosschwinges Körper zierten. Aus einer Bisswunde an ihrem Vorderbein tropte tiefrotes Blut und ihre blauen Augen blickten glasig ins Leere.
Ottersee, die junge Heilerin des SumpfClans, huschte aus ihrem Bau, ihr Fell war an den Pfoten von einer grünen Paste benetzt und mit ihr schwebte ein Geruch nach Thymian und anderen Kräutern aus dem Bau heraus.
"Bring sie in meinen Bau", wies sie Felsenkralle an, dann wandte sie sich Schwarzfrost zu. "Irgendwelche anderen Verletzungen?"
"Keine schweren. Ein paar Kratzer und Bisse. Kastanienfall hat sich vielleicht die Schulter geprellt, sie ist gegen einen Baumstumpf gefallen."
"Schick sie zu mir, wenn sie hier ist", miaute Ottersee, bevor sie wieder in ihren Bau schlüpfte um Moosschwinge zu behandeln.
Schmutzjunges beobachtete, wie die Kampfpatrouille wieder ins Lager einkehrte. Die meisten waren kaum verletzt, sie sahen nur erschöpft aus. Ziemlich am Schluss tappte Libellenpfote auf die Lichtung, den Schweif um eine rote Kätzin gelegt. Es war Schilfpfote, die erst vor kurzem ernannt worden war. Etwas an ihrem Blick war zutiefst verstört und von ihrem Ohr tropfte Blut, die Spitze war krallenförmig eingerissen worden. Libellenpfote sprach beruhigend auf sie ein, Schmutzjunges konnte allerdings nicht verstehen, was er sagte.
Nun stand Ameisenstern von seiner Wachposition auf.
"Was ist geschehen, Schwarzfrost?", fragte er ernst und blickte hinüber zu seinem Stellvertreter, der irgendwie betreten die Ohren anlegte. Er blieb still. Schließlich platzte Felsenkralle hinein, an seine Seite lehnte sich eine sehr erleichterte Blattflügel.
"Schwarzfrost hat den zweiten Anführer des SeeClans angegriffen nachdem wir den Kampf unterbrochen haben", miaute er und Schmutzjunges hörte die Verachtung in seiner Stimme.
"Er hat die Ehre des SumpfClans beleidigt!", verteidgte sich der schwarz-weiße Kater, schien aber selbst nicht so ganz an seine Unschuld zu glauben.
Schmutzjunges blickte zwischen den beiden Kriegern hin und her, die Spannung in der Luft war fast zu fühlen.
"Möchte mir jetzt bitte einmal jemand genau erklären, was da an der Grenze vorgefallen ist?", verlangte Ameisenstern, sein Gesicht war zu einer grimmigen Miene verzogen.
Schwarzfrost ließ den Kopf hängen.
"Ich habe mich von Löwenschlag provozieren lassen und alle haben wieder zu kämpfen begonnen. Schilfpfote hat dann den Kampf gestoppt."
Mehrere von den Katzen, die im Lager geblieben waren guckten verwundert.
"Schilfpfote?", fragte Ameisenstern, ebenso verdutzt. "Wie hat sie das denn geschafft?"
Der braunschwarze Kater wandte sich zu der Schülerin, die immer noch beklommen vor sich hin starrte. Sie rührte sich nicht einmal, als ihr Name fiel. Statt ihr antwortete Libellenpfote.
"Sie hat gefragt, ob der SeeClan denn Beweise hätte, dass wir Beute gestohlen haben. Sie hatten keine, sie haben nur unseren Geruch auf ihrer Seite der Grenze gefunden, direkt am Seeufer, deshalb haben sie angenommen, wir hätten Fische gefangen", miaute der braun-weiße Kater so gelassen, als wäre der Kampf gar nicht passiert, aber auch ihm fehlte etwas Fell hinter dem Ohr und an der Brust.
Bewundernd blickte Schmutzjunges zu der roten Kätzin hinüber.
Das war so mutig. Sie hat ganz alleine einen Kampf beendet, ohne auch nur eine Kralle gegen eine andere Katze zu wenden!
"Ich bin wirklich sehr enttäuscht von dir, Schwarzfrost. Von meinem eigenen Stellvertreter hätte ich wirklich mehr erwartet. Dass selbst eine junge Schülerin es besser weiß als du", knurrte Ameisenstern, seine gelben Augen blitzten.
Schwarzfrost sank in sich zusammen.
"Bestrafe mich, wie du es für richtig hältst, Ameisenstern", unterwürfig senkte er den Kopf, die Ohren flach am Kopf angelegt.
Bestrafen? Ameisenstern wird ihm doch nicht wehtun, oder?
Schmutzjunges legte nun selbst die Ohren an. War Schwarzfrost Entscheidung wirklich so schlimm gewesen?
"Ich werde dich nicht bestrafen, Schwarzfrost. Aber was wäre, wenn uns dieser Kampf Moosschwinges Leben gekostet hätte? Die Blattleere kommt, wir können uns keine Verluste leisten!"
"Beruhige dich, Ameisenstern", miaute da auf einmal Fuchsblüte, die sich nun an Ameisensterns Flanke schmiegte. "Es ist doch niemand gestorben."
Die Anwesenheit seiner Gefährtin schien den Anführer tatsächlich zu besänftigen, obwohl sein Gesicht immer noch seinen Ärger widerspiegelte.
Die ungewollte Versammlung der SumpfClan-Katzen löste sich langsam auf und Schmutzjunges durfte mit ihrer Familie wieder zurück in die Kinderstube. Himmelsjunges, die neben Schmutzjunges herlief schnaubte.
"Wieso ist Ameisenstern so böse auf Schwarzfrost? Er hat unsere Ehre verteidigt, wir sollten ihm dankbar sein", regte sich die kleine, weiße Kätzin auf, ihr sonst so dünner Schweif war aufgeplustert, wie ein Eichhörnchenschweif.
Schmutzjunges schüttelte kaum merklich den Kopf, sie war nur froh, dass niemand an diesem Tag zum SternenClan gegangen war.
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WarriorCats-Das Geheimnis der Sonne
Hayran Kurgu"Die Blüte der Blattleere und das trauernde Wasser hüten das Geheimnis der Sonne" Eine uralte Prophezeihung, die Rettung verspricht. Rettung vor einer Finsternis, die nie gekommen ist. Die Katzen des SeeClans und des SumpfClans haben die Nachricht i...