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Es war eine Premiere.
Marinette stand zum allerersten Mal als Ladybug in dem Badezimmer, in dem sie sich jeden Morgen als Marinette für die Schule fertigmachte.
Und es war verwirrender, als sie es sich vorgestellt hatte.
Sie erwiderte den Blick ihres maskierten Spiegelbildes - schon allein das fühlte sich ungewohnt an - und dabei lag ihr der vertraute Geruch des Raumes in der Nase.
Dort hinter ihrem Kopf hing das Bild von einem Segelboot, das sie immer beim Zähneputzen anstarrte.
Direkt darunter hing der Haartrockner, bei dem man nur zwischen zwei extremen Temperaturstufen wechseln konnte, wie sie aus Erfahrung wusste: Eisig kalt oder viel zu heiß.
Und dort auf dem kleinen Regal unter dem Spiegel stand das Parfüm ihrer Mutter, das sie manchmal öffnete, um daran zu riechen.
Marinettes Sinne wussten nicht so recht, wie sie mit der Situation umgehen sollten.
Und die Tatsache, dass sie von ihren Eltern nur durch eine dünne Holztür und einige Meter Luftlinie getrennt war, machte das Ganze nicht einfacher.

Ehe ihr Kopf noch weiter durcheinandergeraten konnte, griff sie schnell nach ihrem Bugphone und rief Cat Noir an.
Sie hatte kaum Zeit, um noch einmal tief durchzuatmen, denn da hob er auch schon ab.
»Hallo, Prinzessin.«
Beim Klang seiner Stimme bekam sie augenblicklich eine Gänsehaut.
Die Erinnerung daran, wie er ihr am Vortag ins Ohr geraunt hatte, wie er mit seiner Hand ihren Nacken gestreichelt hatte, wie seine Lippen auf ihren -
»Hallo, Cat.«, antwortete sie schnell.
Klang sie immer so fiepsig?
»Bist du schon da?«, fragte er.
»Nein. Und deswegen rufe ich auch an.«
Sie ließ eine Pause.
An dem, was sie nun sagen musste, änderte sich leider nichts.
»Ich kann heute nicht kommen.«
Stille.
»Cat? Bist du noch dran?«, fragte sie schließlich, als er auch nach einigen Sekunden noch nichts gesagt hatte.
»Du darfst mit so etwas keine Witze machen.«, meinte er.
»Das ist leider kein Witz. Ich kann wirklich nicht kommen.«
Wieder Stille.
»Hast du ... es dir anders überlegt?«, fragte er.
Marinette spürte einen heftigen Stich im Herzen. Er klang auf einmal ganz klein und bedrückt.
»Nein!«, erwiderte sie hastig, »Das ist es nicht, versprochen!«
»Bitte sei ehrlich zu mir. Wenn du mir jetzt wieder aus dem Weg gehst ...«
»Glaub mir: Diesmal ist es völlig anders. Ich würde kommen, wenn ich könnte. Aber leider kann ich hier nicht weg.
Es tut mir unheimlich leid.«
»Nicht einmal für ein paar Minuten? Ich kann auch noch warten, wenn du erst später kommen kannst. Meinetwegen auch erst Mitternacht.«
Sie schloss die Augen.
Der Vorschlag klang so verlockend!
Nach diesem grauenhaften Tag würde sie nichts lieber tun, als sich in Cat Noirs Armen zu verkriechen.
Doch es ging nicht.
Ihre Eltern ließen sie keine fünf Minuten aus den Augen und würden sie erst in ihr Zimmer lassen, wenn es Zeit zum Schlafen war.
Und auch ein späteres Treffen war keine Option.
Sie hatte bereits in der letzten Nacht viel zu wenig Schlaf bekommen und das bedeutet, dass sie sich keinen nächtlichen Ausflug leisten konnte.
Wenn wegen Müdigkeit jetzt auch noch ihre Schulnoten abstürzten, würden ihre Eltern vollends den Verstand verlieren und sie komplett einsperren.
»Es tut mir so leid ...«, sagte Marinette leise ins Telefon und ließ sich auf den Boden sinken.
Mit geschlossenen Augen lehnte sie sich gegen die geflieste Wand in ihrem Rücken und legte den Kopf in den Nacken.
»Ich wäre jetzt nirgendwo lieber als bei dir. Und wenn ich etwas an der Situation ändern könnte, würde ich es sofort tun. Aber leider habe ich es nicht in der Hand.«
»Hast du Probleme?«, fragte er und aus seiner Stimme war Sorge herauszuhören.
»Nein. Nicht direkt Probleme. Nur einige Hindernisse.«
»Und wann ... werden diese Hindernisse verschwunden sein?«
»Ich weiß es nicht genau. Ich werde auf jeden Fall versuchen, morgen zu kommen. Aber versprechen kann ich es leider nicht.«
»Und was kannst du versprechen? Wann werden wir uns spätestens wiedersehen?«
Marinette konnte das Drängen in seiner Stimme kaum noch ertragen. Die Sehnsucht dahinter war so deutlich, dass sie die Qual am eigenen Leib nachempfinden konnte.
Oder war es vielleicht ihre eigene Sehnsucht, die sie da spürte?
Sie vermisste ihn so schrecklich!
»Ich weiß es nicht.«, antwortete sie leise auf seine Frage. »Vielleicht ... in einer Woche...?«
»Eine Woche
Er klang, als hätte sie ihm gerade gesagt, dass sie sich niemals wiedersehen würden.
Sie wollte etwas erwidern, als auf einmal jemand laut gegen die Badezimmertür donnerte.
Schnell legte sie ihre Hand über das Mikrophon des Bugphones - gerade noch rechtzeitig.
»Marinette? Bist du bald fertig?«, erklang die Stimme ihres Vaters, »Wir wollen mit dem Film anfangen.«
Sie wollte antworten, konnte sich aber gerade noch zurückhalten.
Sie war verwandelt. Das bedeutete, ihre Stimme klang anders.
Ohne ihre Hände benutzen zu können, stand sie hastig vom Boden auf, beugte sich über das Waschbecken und öffnete mit dem Ellbogen den Hahn. Dann fischte sie mit ihren Lippen ihre Zahnbürste aus dem Becher, klemmte sie in den Mund und rief nuschelnd nach draußen: »Ich komme gleich. Ich putze mir noch die Zähne.«
»Beeil dich bitte.«, erwiderte ihr Vater.
Dann hörte sie seine schweren Schritte, als er sich von der Tür entfernte.
Erleichtert ließ sie die Zahnbürste ins Waschbecken fallen und schloss den Hahn. Erst dann nahm sie das Bugphone wieder ans Ohr.
»Tut mir leid, aber ich muss jetzt auflegen.«
»Ist wirklich alles in Ordnung bei dir? Was war dieses laute Krachen?«
»Nichts Schlimmes. Alles okey. Ich muss jetzt leider los.«

Miraculous - Endlich vereint (FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt