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Marinette spürte es sofort, als sie die Wohnung ihrer Familie betrat.
Etwas lag in der Luft.
Ihre Mutter stand in der Küche und machte gerade die letzten Handgriffe für das Abendessen. Sie musste das Eintreffen ihrer Tochter bemerkt haben, aber sie drehte sich nicht zu ihr um.
»Ich bin zurück.«, sagte Marinette und ging in Richtung Treppe.
»Ich bringe schnell meine Schulsachen nach oben. Dann helfe ich dir.«
»Setz dich hin!«
Die Stimme ihrer Mutter klang vollkommen fremd.
Hart und gepresst.
Das ungute Gefühl in Marinettes Innern nahm weiter zu. Sie überlegte, ob sie sich für die verpassten Anrufe entschuldigen sollte, doch ihr Gefühl riet ihr, den Mund zu halten.
Sie ließ ihren Stoffbeutel auf der untersten Treppenstufe stehen und ging hinüber zum Esstisch.
Unruhig rutschte sie auf ihrem Stuhl hin und her.

Nach ein paar Minuten kam endlich ihr Vater durch die Tür. Als er Marinette erblickte, hielt er einen Moment in der Bewegung inne.
Dann wandte er den Blick ab, warf die Tür ins Schloss und setzte sich stumm neben sie an den Tisch.
Der Ausdruck auf seinem Gesicht war steinhart. Und es machte Marinette regelrecht Angst.
Was war hier los?
Ihre Mutter kam ebenfalls an den Tisch und ließ sich mit gesenktem Kopf auf ihren Stuhl sinken. Als sie nach dem Löffel griff, um den Auflauf zu verteilen, zitterte ihre Hand.
Und dann schluchzte sie auf einmal auf.
Marinette sah, wie ihr Tränen über die Wangen liefen, und sie spürte einen heftigen, schmerzhaften Stich in ihrem Herzen.
So hatte sie ihre Mutter noch nie gesehen.
»Maman ...«, sagte sie leise und legte die Hand auf den Unterarm ihrer Mutter.
Sie zuckte unter der Berührung zusammen.
Nach Hilfe suchend sah Marinette ihren Vater an, doch er erwiderte noch nicht einmal ihren Blick.
Hatten die beiden sich gestritten? So richtig schlimm?
Ein schreckliches Wort tauchte in Marinettes Kopf auf.
Scheidung.

Nein! Das konnte nicht sein!
Die beiden waren das glücklichste und harmonischste Paar, das sie kannte. Sie brachten sich ständig gegenseitig zum lachen und gingen unheimlich süß und liebevoll miteinander um. Und selbst nach so vielen Jahre Ehe führten sie sich manchmal noch wie verliebte Teenager auf!
Sie konnte sich unmöglich so schlimm verkracht haben.
Aber was war es dann?
War jemand gestorben?

Ruckartig erhob sich ihre Mutter von ihrem Stuhl.
»Ich kann das jetzt nicht.«, sagte sie und ihrer Stimme waren die Tränen anzuhören.
Fluchtartig verließ sie den Raum.
Marinette sah ihr nach und wechselte dann mit ihrem Blick wieder zu ihrem Vater. Er hielt den Kopf noch immer gesenkt.
»Papa, was ist hier los?«
Seine Hände, die links und rechts von seinem Teller lagen, ballten sich zu Fäusten.
»Verrate du es mir!«, erwiderte er mit einem deutlichen Knurren in der Stimme.
Marinette war verwirrt. Und sie hatte Angst.
»Ich weiß es nicht.«
Ihre Stimme klang zittrig.
»Bitte, sag mir, was los ist! Warum weint maman?«
»Deinetwegen, Marinette!«
Jetzt endlich erwiderte ihr Vater ihren Blick.
In seinen Augen stand eine Wut, die sie noch nie darin gesehen hatte.
Und tiefe Traurigkeit.
»M...meinetwegen?«, stotterte sie. »Was habe ich denn getan?«
»Unser Vertrauen missbraucht. Schon wieder
»Geht es um die verpassten Anrufe? Es tut mir wirklich leid! Ich hatte mein Handy auf lautlos gestellt, um beim Lernen nicht davon abgelenkt zu werden.«
»Lüg uns nicht schon wieder an!«, donnerte ihr Vater und schlug mit der Faust auf den Tisch.
Marinette zuckte am ganzen Leib zusammen.
Sie spürte, wie sie zu zittern begann.
Sie wollte etwas erwidern, bekam aber kein einziges Wort mehr zustande.

»Wo warst du heute?«
Die Stimme ihres Vaters war weniger laut als zuvor, aber dafür deutlich trauriger. Und enttäuschter.
Es war fast noch schlimmer.
»Wo du gestern Nacht warst, wissen wir schon. Aber wo warst du heute
Marinette wurde auf einen Schlag schlecht und ihr Blick verschwamm.
Das konnte unmöglich gerade passieren!

Wie durch Watte hindurch hörte sie ihren Vater weiterreden.
»Ich habe immer mit dir angegeben. Weil du so eine vorbildliche Tochter warst und wir so eine offene, ehrliche Beziehung hatten.
Jetzt lässt du uns für diese Naivität büßen.«
Er erhob sich von seinem Stuhl.
»War es das wert? War es das wert, dass dafür jegliches Vertrauen zwischen uns zerstört wird?«
Eine Träne lief Marinettes Wange hinab und sie schaffte es nicht, den Kopf zu heben.
Sie hörte, wie ihr Vater den Raum verließ und die Treppe zur Bäckerei nach unten stapfte.

Miraculous - Endlich vereint (FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt