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Obwohl Marinette erschöpft von dem Tag mit Adrien war, wollte sie noch nicht ins Bett.
Also ging sie nach draußen auf den Balkon, kuschelte sich auf ihren Liegestuhl in eine Decke ein und sah über die nächtlichen Dächer und Straßen der Stadt.
Ihre Gedanken waren in einem seltsamen Schwebezustand zwischen geklärt und aufgewühlt.
Sie ließ ihnen freien Lauf.

Ganz vorn dabei waren natürlich Cat Noir und Adrien und die Gefühle, die sie für beide hatte.
Es stimmte, was Marinette vor wenigen Minuten zu Tikki gesagt hatte:
Ihr hatte die Vorstellung von einer Beziehung mit Adrien gefallen.
Und es hatte einen guten Grund gehabt, warum es überhaupt zu einem Kuss zwischen ihnen gekommen war.
Adrien war ein toller Mensch, sie fühlte sich in seiner Gegenwart wohl und auch so etwas wie Chemie oder Anziehung gab es zwischen ihnen.
Aber: Er war nicht Cat Noir.

Adrien rief in ihr Gefühle hervor, weil er ihr Einfachheit, Beständigkeit und Sicherheit bot.
Aber Cat Noir liebte sie trotz der Schwierigkeiten.
Adrien wäre der einfache und sichere Weg, aber Marinette war bereit, den allerschwersten und allerunsichersten Weg auf sich zu nehmen, wenn es der Weg zu Cat Noir war.
Und war das nicht der Beweis dafür, wie viel echter und stärker diese Liebe war?

Da war diese leise Stimme in Marinettes Inneren, die ihr zuflüsterte, dass es keine echte Liebe sein konnte, was sie da für Cat Noir empfand – weil sie gar nicht wusste, wer er hinter der Maske war.
Und im direkten Vergleich mit Adrien wurde noch einmal deutlicher, wie wenig sie über Cat Noirs Leben wusste.
Fast nichts.
Aber machte das ihre Liebe deshalb weniger echt?
Was war schwieriger: Jemanden zu lieben, über dessen Leben man kaum etwas wusste oder jemanden zu lieben, der einem alles über sich erzählt hatte?
Wenn es nur um Anziehung und Faszination ging, war es vermutlich leichter, so etwas für jemanden zu empfinden, den man nur flüchtig kannte.
Aber wenn es tatsächlich um Liebe ging, war es für gewöhnlich notwendig, mehr übereinander zu wissen.
Es war leichter, jemanden zu lieben, wenn man einen Blick hinter die Fassade - hinter die Masken und die Schutzpanzer - bekommen hatte.
Wenn man nur einen ausreichend tiefen Einblick in die Seele und das Leben eines Menschen bekam, konnte man vermutlich fast jeden lieben - zumindest auf freundschaftliche Art.
Aber jemanden so tief und innig zu lieben, wie Marinette Cat Noir liebte, ohne sein Leben zu kennen, war auf gewisse Art schwieriger und herausfordernder.
Und trotzdem tat sie es.
Sie liebte ihn, auch ohne all die Details über ihn zu kennen.

Es war ihr egal, wie Cat Noirs Leben aussah.
Es war ihr egal, ob er wohlhabend oder arm war, erfolgreich oder erfolglos.
Es war ihr egal, ob er aus perfekten oder schwierigen Verhältnissen stammte, und wie sein Gesicht hinter der Maske aussah.
Es war ihr egal, was für ein Leben er ihr bieten konnte – wenn es nur ein Leben an seiner Seite war.
Ja, sie wollte all das über ihn wissen und ja, sie wollte ihn noch viel besser kennenlernen. Aber so lang das nicht möglich war, reichten ihr die wenigen Dinge aus, die sie bereits über ihn wusste.
Sie kannte ihn und verstand ihn und vertraute ihm, auch ohne viel Hintergrundwissen zu ihm zu haben.
War das nicht die größere Liebe?

Marinette wusste nicht, ob all ihre Überlegungen stimmten.
Vielleicht war all das auch nur ein Selbstbetrug – ein zusammengebasteltes Konstrukt ihres Kopfes, um ihre Entscheidung für Cat Noir scheinbar »logisch« zu erklären.
Aber was änderte das schon?
Sie wollte Cat Noir.
Alles in ihr wollte Cat Noir.
Sie war bereit, für den Rest ihres Lebens darauf zu warten, endlich für immer bei ihm sein zu können.
Sie war bereit, viel für ihn zu opfern.
Selbst das kleinste Glück mit ihm war ihr lieber als das größte Glück mit Adrien.
Wahrscheinlich wäre es möglich, daran etwas zu ändern.
Wenn sie sich viel Zeit ließ und alles daran setzte, würde die Liebe für Cat Noir vielleicht irgendwann so weit verblassen, dass sie stattdessen Adrien lieben konnte.
Aber das war kein Ziel, auf das sie hinarbeiten wollte.
Das war nicht das Leben, für das sie kämpfen wollte.
Stattdessen wollte sie darum kämpfen, irgendwann eine Zukunft mit Cat Noir zu haben.

Miraculous - Endlich vereint (FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt