Ein neues kleines Leben

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Der neue Tag war noch nicht ganz angefangen, in Rias Augen, denn die Sonnenstrahlen waren noch nicht bis in die kleine Hütte gekommen. Draußen jedoch wurde bereits ein Horn geblasen. Ria setzte sich auf und schaute auf die Reihe der drei Kinder neben ihr. Was sollte sie tun wenn sie ihre Tante nicht fand? Die Kinder brauchten ihre Eltern. Ria hatte Sorge, dass sie sie nicht finden würden. Was auch immer heute geschehen würde, sie musste jetzt aufstehen, denn das forderte der Lärm des Horbs zweifellos. Es gab nichts zum Kochen, wie sie schon am Vorabend festgestellt hatten, also mussten sie sich behelfen und Ria suchte in ihrem Rucksack nach etwas essbarem, was sie entbehren konnten. Sie fand einen schon sehr harten Brotlaib. in dem Karren hatten sie ihre Vorräte nicht angerührt, weil es niemals für alle gereicht hätte. Jetzt reichte sie jedem der Kinder ein Stück. Draußen erklang ein weiteres Mal das Horn und Ria entschied, dass sie gehen sollten. "Na kommt... ich glaub wir müssen raus... außerdem wollen wir doch Una und Jèndrô finden." Sie versuchte optimistisch zu klingen. Dann öffnete sie die Tür. Tatsächlich tasteten sich bereits die ersten Sonnenstrahlen über die Dächer der kleinen Hütte und der Himmel war wolkenlos. Ria genoss die Wärme des jungen Tages auf ihrem Gesicht. Die letzten warmen Tage vorm Winter schätzte sie besonders. Mandy führte die beiden Mädchen hinaus. Er blinzelte ins Licht und sah noch ziemlich müde aus. Ria lief ein wenig zwischen den Häusern hin und her. In den Meisten schien es im Gegensatz zu ihrer Hütte ein Frühstück zu geben. Lange Zeit lang trafen sie niemanden auf den staubigen Wegen. Ria wollte nicht auf gut Glück an jede Haustür klopfen und wartete deshalb darauf jemanden zu treffen. Sie war schon eine Weile umhergelaufen, die Kinder im Schlepptau, als sie eine allzu vertraute Stimme vernahm. Aufgebracht wie eigentlich immer und laut, vor allem durch die dürftigen Wände. Ria war zum ersten Mal erleichtert Unas Gezeter zu hören. Sie lächelte und drehte sich zu den Kindern um dir ihre Mutter ebenfalls hörte. "Wenn sie nicht da waren- wo sind sie denn dann?!", schrie sie und der Schluss das sie ihre Kinder nicht getroffen hatte wo sie sie erwartet hatte lag nahe. Ria trat an die Tür und klopfte zaghaft, vorsorglich zog sie Maizie vor sich. Die trampelnden Schritte Unas wurden laut und die Tür ging auf. Einen Moment starrten Una ihre Kinder an, dann machte sich eine Erleichterung auf ihrem Gesicht breit, die Ria nie zuvor gesehen hatte. Marissa sprang ihr in den Arm und auch Maizie schlang die kleinen Ärmchen um ihre Mutter. Einzig Mandy sah ehr traurig aus. "Warum hat ihr uns nicht abgeholt?", fragte er leise. Jèndrô erschien hinter der Tür. Er seufzte. "Wir waren zu lange bei den Mienen hinterm Wald und als ich euch abholen wollte wart ihr nicht da..."

Er machte Platz. "Es tut gut euch wohl auf zu sehen"

Ria musterte ihn genauer. Er war noch dünner geworden und seit Ria ihn da letzte Mal gesehen hatte sah er stark gealtert aus. Einmal mehr schien sich der Verdacht zu bestätigen, dass es nicht leicht gewesen war die Zeit in Kerker und offenbar auch auf dieser Insel zu überdauern. "Mienen?", fragte sie jetzt. "Müssen da alle hin?" Sie sah sich absolut nicht geschaffen für Arbeit in Mienen und sie war sich sehr sicher, dass es vielen so ging. Jèndrô schüttelte den Kopf. "Die Männer jeden zweiten Tag, die restlichen Tage gehen sie meistens ihrem alten Gewerbe nach, soweit es etwas Nützliches war... die Kinder machen kleinere Handarbeit...flechten Körbe und Flechten Seile und solche Dinge...und die Frauen...."

er sprach nicht weiter weil Marissa sich an ihn klammerte und in den Arm genommen werden wollte. Sie sagt etwas, aber so leise, dass Ria nicht verstehen konnte was. Jèndrô lächelte seine Tochter an. "Ganz bestimmt!" Dann setze er sie wieder ab und beendete seinen Satz: "die Frauen helfen an anderen Stellen bei den Mienen...je nach Kraft. Außerdem weben sie und kochen und nähen...Töpfern...ähnlich wie in der Stadt damals." Er seufzte. "Allerdings nutzen die Soldaten hier ihre Narrenfreiheit gerne in vollen Zügen aus... nimm dich also besser in Acht!" Sie verstand nur zu gut worauf er anspielte. Einen Moment durchzuckte sie die Erinnerung an Branko und ihr wurde spontan schlecht. Langsam ließ sie sich auf den Boden sinken. "Und woher weiß man was man zu tun hat?" Der Boden war nicht sauber und kalt und Ria spürte wie die Kälte an ihr hinauf kroch. Je länger sie auf dieser Insel war, desto mehr hatte sie das Gefühl, dass es sich hier nicht so gut lebte. Una mischte sich ein ins Gespräch. "Wer noch nichts zu tun hat findet man dich morgens auf diesem "Appellplatz"..." Sie machte mit den Fingern die Anführungszeichen in die Luft, was Ria einmal mehr verdeutlichte, wie lächerlich und doch schrecklich ihre Tante die Situation fand. "...ein und bekommt etwas aufgetragen". Siebklang mehr als genervt, was Ria ihr in diesem Fall nicht wirklich verübeln konnte. Jetzt lehnte sie einfach nur den Kopf an die wackelige Wand hinter ihr und schwieg. Immer weiter fragte sie sich, wie man hier überleben sollte, wo man doch nicht die geringste Hoffnung haben konnte, dass man je frei kommen könnte. Sie hatte echte Angst eines Tages wahnsinnig zu werden. Auch wenn sie noch nicht einen Tag hier gearbeitet hatte, beschlich sie das Gefühl als würde sie es nicht lange aushalten können an diesem Ort. Sie schloss die Augen. Umso mehr erschrak sie als das Horn ein weiteres Mal ertönte. Jèndrô seufzte erneut. Mit langen Schritten ging er zur Tür und öffnete. "So leid es mir auch tut aber es ist nicht schlau sich zu verspäten" Ria kam auf die Beine. Sie wankte ein wenig und ihr Kopf war nicht vorbereitet gewesen auf das plötzliche Aufstehen. Sie hielt sich einen Moment an dem Türrahmen fest und dann hörte die Welt auf sich wie irre zu drehen. Sie konnte ganz normal weiter gehen. Ihre Lust auf irgendwelche Arbeit  hielt sich allerdings dezent in Grenzen, trotzdem folgte sie ihrem Onkel hinaus. Una und ihre Kinder kamen ebenfalls und so machten sie sich, wie alle anderen auch, auf den Weg zu dem Platz, den Una so abfällig "Appellplatz" getauft hatte. Una und Jèndrô verschwanden mit den ersten Schwung Elben, denn sie wussten was sie zu tun hatten. Ria entdeckte Mi, die bei ihrer Mutter stand. Mina sah kläglich aus. Sie war inzwischen mehr als überdeutlich hochschwanger, was hier allerdings niemanden zu interessieren schien, da sich niemand darum kümmerte oder sie gar rücksichtsvoller zu behandeln versuchte. Ähnlich wie am Tag zuvor, als das kleine Mädchen seine Mutter begrüßt hatte wurde Ria ganz schrecklich wütend auf die Wachposten die um sie herum standen und sie begutachteten wie Vieh. Ria war nie auf einem Sklavenmarkt gewesen aber die Beschreibungen die sie hier und dort aufgeschnappt hatte waren dem hier sehr ähnlich… nur dass man sie nicht verkaufte oder gar gekauft hatte, sondern einfach ans Arbeiten schickte. Mina wurde von einer anderen Frau gestützt als sie gehen mussten und man Mi nicht gestattete mit zu gehen. Sobald ihre Mutter außer Sichtweite war, kam Mi unauffällig zu Ria hinüber. Sie schwiegen. Was sollten sie auch anderes tun, während sie mit ebenen jenen Elben mit denen sie angekommen waren da standen und darauf warteten das man sich dazu hinabließ ihnen Aufgaben zu erteilen. Ria hatte hinterher schon fast den Glauben aufgegeben das man heute noch irgendetwas anderes tun würde als sie zu begaffen, wie sie so da standen. Ein Pulk aus leicht verschreckten, müden Elben, hauptsächlich Kindern und Alten die sich regelmäßig zu allen Seiten umsahen wie eine Horde verstörter Kannickel, als erwarteten sie, jeden Moment von jemandem angesprungen zu werden von einem der Soldaten oder im metaphorischen Sinne von einem der lauernden Füchse erlegt zu werden. Wiederrum erschien Ria die Bezeichnung als Fuchs, als ein ihr sympathisches Tier, noch fast zu nett um diese Horde herzloser… Ihr Gedankenstrom wurde unterbrochen, als sich tatsächlich jemand sich dazu bequemte Anweisungen zu brüllen und die Gruppe aufzuteilen. Körbe flechten. Warum brauchte man dafür denn bitte so lange? fragte Ria sich. Immerhin hatte sie das gleiche zu tun wie Mi und so gingen sie ohne ein Wort auf die gewiesene Hütte zu. Die dürftigen Türen sahen bereits morsch aus, obwohl sie da noch nicht so lange stehen konnten, angesichts der Länge des Projekts. Vor diesen Türen standen zwei Soldaten. Auch sie sagten kein Wort. Ziemlich verschwiegener Verein. Wie gut das niemand ihre Gedanken hören konnte, sonst hätte sie sich sicher Ärger eingehandelt, doch es viel ihr schwer die Situation ernst zu nehmen, obwohl es Zweifellos angebracht gewesen wäre. Sie seufzte. Einer der beiden Gepanzerten- Wozu zur Hölle tragen sie ihre Panzer… hier… zwischen lauter Unbewaffneten?- öffnete ihnen die Tür. Aha… Manieren… soweit lässt du dich also herab, dass du uns die Tür aufhältst? Ist das nicht über deinem Niveau? Sie sollte wirklich damit aufhören! Aber es ging nicht. Sie konnte nicht aufhören die Situation schrecklich albern zu finden. War es also tatsächlich schon so weit? Sie wurde verrückt? Wahnsinnig weil man ihr keine Meinung und kein eigenes Leben zugestand? Aber selbst wenn sie wahnsinnig wurde, ändern würde es nichts. Sie würde trotzdem jeden Tag hier arbeiten, als was auch immer, bis sie irgendwann durchdrehte und ins Meer sprang- und es würde einfach niemanden interessieren. Außer vielleicht Mi, wenn die bis dahin nicht selbst übergeschnappt war. Tendenziell erschien ihr der Gedanke plötzlich schrecklich verlockend einfach aufzuhören und zu schweigen- für immer. Wozu sollte sie hier vor sich hin krepieren, zwischen all den anderen den es nicht viel besser ging, ohne Aussicht diesen schrecklichen Ort jemals verlassen zu können? Worauf sollte sie Warten, wenn es nichts mehr gab was danach kommen würde. Bisher hatte sie alles immer aushalten können mit dem Gedanken dass es schon irgendwann vorbei sein würde, aber dieser Wahnsinn würde nicht enden- nicht bis sie endete, und dann würde nichts mehr danach kommen. Der Gedanke winkte und biss sich fest und ließ sie nichtmehr los. Er brachte sie dazu sich völlig in sich selbst zu vertiefen, die ständigen Kommentare der Soldaten um sie herum nicht mal wahrzunehmen und einfach artig Korb für Korb zu flechten, während sie kaum einen Gedanken daran verschwendete was sie tat. Sie merkte weder wie die Zeit verstrich noch wie sie sich an den Scharfen Halmen andauernd in die Finger schnitt. Sie war mit der Suche nach dem Sinn beschäftigt- und sie fand ihn nicht. Entweder der Mistkerl spielt gerne verstecken oder es gibt ihn nicht. Beinahe hätte sie selbst darüber gelacht wie banal ihr Gedanke war, allerdings brachte es sie etwas in die Gegenwart zurück den Impuls zu unterdrücken, und mit ihrem gesunden Menschenverstand, kehrte auch der Gedanke an Callum zurück. Vielleicht war er der Sinn. Vielleicht würde er es schaffen sie von hier weg zu holen. Vielleicht. Vielleicht würde sie einfach nur lange genug überleben müssen, und es würde sich eine Möglichkeit bieten. Vielleicht war es feige auch nur darüber nachzudenken sich einfach irgendwo zu ertränken oder sonst was zu tun- da sollte man doch lieber bei einem Fluchtversuch sterben. Konnte man von hier fliehen? Ihr erster Gedanke war Nein, natürlich nicht! Ihr zweiter Warum eigentlich nicht? Wieder einigermaßen bei sich, bemerkte sie nun erstmal wie sie sich in die Finger schnitt und macht prompt einen Fehler in ihr Korbgeflecht. Sie schaute auf den halbfertigen Korb in ihrem Schoß. Wie hatte sie es geschafft einen halben Korb zu flechten, wenn sie das vorher nie gemacht hatte, wenn sie nicht mal darüber nachgedacht hatte? Jetzt fiel ihr auf das sie Durst hatte… und Hunger. Ihr Nacken tat weh vom runterschauen und sie spürte ihre zerschnittenen Finger kaum noch. Neben sich entdeckte sie einen weiteren Korb. Sollte es angehen, dass sie ihn geflochten hatte? Konnte das sein? Sie ließ die Halme und das angefangenen Geflecht sinken und machte eine kleine Pause, was allerdings nicht lange unbemerkt blieb und ihr einen Hieb mit einer einfachen Gerte einbrachte. Da sie wenig Lust auf einen zweiten Schlag verspürte, zumal der erste noch höllisch auf ihrem Rücken brannte, flocht sie weiter, aber irgendwie war ihr Geflecht wohl besser gewesen, als sie noch halb in Trance geflochten hatte, denn jetzt wurden die Maschen unterschiedlich groß und krumm und sie zwang sich irgendwann einfach die Augen zu schließen und suchte fast nach dem Zustand den sie zu Anfang nicht hatte verlassen können. Es war zwar psychisch wahrscheinlich nicht sonderlich gesund gewesen über die Situation und ihr entkommen nachzudenken, aber wenigstens hatte sie da nicht viel mitbekommen von dem was um sie herum geschah und es war so doch irgendwie sehr viel besser auszuhalten gewesen. Jetzt zog sich die Zeit hin und immer wieder bemerkte sie kleine Wehwehchen die sie störten und behinderten. Dennoch machte sie weiter und versank irgendwann wieder in Gedanken, wenn auch dieses Mal nicht wie Ohnmächtig. Jetzt hingen ihre Gedanken ehr bei Callum und der Frage ob und wenn ja wann er sie hier weg holen würde. Sie fühlte sich fast ein bisschen lächerlich, dass sie nach gerade mal einem Tag, der noch nicht vorbei war sich nichtmehr vorstellen konnte wie es weitergehen sollte.

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