Sie hatten die Nacht nicht auf der Klippe verbracht. Nach Mis drängen hatte Ria nach einiger Zeit nachgegeben und sie waren zurückgekehrt in das winzige Dorf, vorsichtig darauf bedacht den Wachen zu entgehen, erreichten sie die Hütten. Ria sah noch kurz Mi hinterher wie ihr Rock um die nächste Ecke verschwand und öffnete die Tür. Das leise knarrt klang beängstigend laut in der Stille und von der Stärke die sie in den Mienen und auf dem Weg den Berg hinauf gefühlt hatte war nichtmehr viel übrig. Sie sah auf die schemenhaften Gestalten auf dem Boden; Umrisse der Familie zu der sie nie wirklich gehört hatte. Una schnarchte ganz leise und Marissa hatte sich eingerollt als wollte sie sich möglichst gut verstecken vor allem was um sie herum war. Ria seufzte unhörbar und schlich zu ihrem eigenen Schlafplatz. In der Dunkelheit schweiften ihre Gedanken zu ihren Eltern, während sie sich auf die Matte sinken ließ. Sie fragte sich was mit ihrem Vater geschehen war, und immer wieder sah sie das Bild der Frau wieder vor sich, dass sie gesehen zu haben glaubte in der Nacht als das Fieber sie in die Vergangenheit zurück geholt hatte. Natürlich hatte sie schon lange vor dem Angriff auf die Stadt und bevor all die Dinge geschehen waren die sie auf diese verfluchte Insel gebracht hatten, sich gefragt wie ihre Eltern gewesen waren, aber seit sie immer weiter in einen Sumpf aus Problemen zu rutschen schien, dachte sie öfter an die Familie die sie hätte haben können, wäre da nicht dieser Hass zwischen den beiden Seiten, als zuvor. Je mehr sie daran dachte, je mehr Bilder durch ihren Kopf schwirrten, von den beiden Menschen die sie nie gekannt hatte, desto schwerer wurde es auszuhalten. Der Wunsch, zu wissen wer ihre Eltern gewesen waren, den sie zwar schon immer gehabt hatte, der aber noch nie so stark gewesen war, wuchs, mit jeder einzelnen Sekunde der Nacht in der die Zeit verfloss wie Wasser im Fluss und in der nichts blieb als der verzweifelte Wunsch sie zu kennen; die Frau die für sie gestorben war, von der sie nichts kannte als einen Namen, ein Kästchen und ein Bild aus einem Traum. Wie war sie als sie gelebt hatte, bevor sie einen Zauberer getroffen hatte und mit ihm weggelaufen war? Hätte Ria im Dunkel der Hütte etwas gesehen, so wäre das Bild vor ihren Augen verschwommen, so aber war sie so tief versunken in einem Strudel aus Gedanken und dem lechzen nach Erinnerungen an etwas das sie nie erlebt hatte, dass sie gar nicht merkte wie sich langsam immer mehr Tränen aus ihren Augenwinkeln lösten und in ihr Haar fielen. Ihre Mutter war weggelaufen. Narzissa hatte sich wiedersetzt, gegen die Vorurteile und Vorstellungen anderer. Sie hatte ihrem eigenen Schicksal nicht tatenlos zugesehen, sondern hatte getan was sie musste um bei dem Menschen sein zu können den sie liebte. Sie hatte etwas getan was offensichtlich niemand sonst wagte, weder damals noch jetzt- sie hatte gehandelt. Und dafür bezahlt. Mit dem Leben. Aber war es das wert gewesen? Wie gerne hätte Ria sie gefragt, ob es sich gelohnt hatte für diesen Mann, der in Rias Kopf nur ein gesichtsloser Mann mit langem Umhang und spitzem Hut war, alles aufzugeben und letztlich dafür zu sterben? Vielleicht. Vielleicht war es aber auch der größte Fehler ihres Lebens gewesen? Was würde diese Frau sagen? Würde sie ihr Mut zusprechen bei ihrem Vorhaben ebenfalls auszubrechen, ihrer eigenen Tochter? Oder würde sie sie aufhalten wollen, sie halten auf der Insel bei den anderen, einfach hoffend, dass es schon irgendwann besser würde. Etwas sträubte sich in ihr bei dem Gedanken. Sie hatte schon viel zu lange einfach gewartet und alles über sich ergehen lassen. Es war Zeit weiterzugehen und vielleicht damit noch mehr zu helfen. Und wenn sie bei dem Versuch sterben sollte... dann war es das wert. Sie hoffte, dass Narzissa das genauso sah.
Das zarte Licht der Morgensonne, die langsam hinter den Waldkronen hervorkroch fiel durch die Vorhänge direkt auf Callums Bett. Sein Vater hatte ihn zwar aufs Schloss befohlen und in den Fluren und in generell fast jedem Raum wurden deutlich Vorbereitungen für hohen Besuch getroffen, aber empfangen hatte er ihn nicht. Trotzdem hatte er die Notizen und die Bücher vorerst lieber unter seinem Schreibtisch gestapelt. Er sollte sich zunächst auf seine eigene Gegenwart konzentrieren. Wer auch immer da kam, schien wichtig genug zu sein, dass sein Vater sich Mühe gab Eindruck zu machen indem er das ganze Schloss so gründlich reinigen ließ wie schon seit Jahren nichtmehr.
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Halbblut
FantasyDie junge Halbelbe Ria, findet sich in ihrer kleinen Welt gut zurecht, bis der Junge Callum auftaucht und ihr Leben einige unangenehme Wendungen nimmt. Außerdem wirft auch ihr Stammbaum Rätsel auf und plötzlich steht die ganze Welt vollkommen Kopf...