Die Stadt hatte sich in den schwarzen Mantel der Nacht gehüllt. Über den stinkenden Färberkanälen lag ein weißer Dunst und Lui fröstelte. Die Kälte, die ihn seit tagen umfing hatte sich ausgebreitet und ein schlechtes Gewissen war hinzu gekommen. Das unbestimmte Gefühl einen nicht wieder gutzumachenden Fehler begangen zu haben und das Wissen, dass er keine Wahl gehabt hatte. Mit diesem Wissen verteidigte er sich, jedes Mal aufs Neue. Er wusste dass der Handel, den er abgeschlossen hatte ein schlechter gewesen war und dass die Kälte die ihn umfing nicht nur die der Nacht war. Er wusste, dass er seinem Leben soeben eine andere Richtung gegeben hatte und dass er sich verändern würde. Er wusste, tief in seinem Innern, dass er nicht wollte, was mit ihm geschehen würde, und er wusste dass die letzten Paar stunden, so bedeutungslos sie auch gewesen waren und so klein wie die Aktion theoretisch betrachtet gewesen war, schwerwiegende Folgen haben würde. Dennoch.
Er hatte es getan und umzukehren kam, selbst wenn es möglich gewesen wäre, nicht in Frage.
Irgendwo in der Ferne blökte eine Ziege. Wer zur Hölle hielt in diesem Drecksloch eine Ziege? Der Raureif kroch von den Färberbächen hinauf in die Gassen und hüllte die Menschenhäuser in einen gespenstigen Schleier. Lui vergrub die Hände in den Taschen seiner schmutzig- grünen weste. Er schloss die Hand um den winzigen Stein und wünschte in diesem Moment, dass er verschwand. Das unscheinbare Steinchen stieß mit einem leisen klicken, dass in der gespenstigen stille der Gassen ohrenbetäubend laut war, an den Ring, der auch sein Handgelenk zierte und ihn als das abstempelte war er war. Er hoffte, dass dieser blöde Ring nie wieder zu eng sein würde. Er wollte sich nicht noch einmal die Blöße geben sich auf den Marktplatz zu stellen und ihn weiten lassen. Ganz davon abgesehen, dass es schrecklich peinlich war, war es schrecklich schmerzhaft, weil die Menschen- Schmiede ihr Handwerk nicht halb so gut verstanden wie die der Elben. Leider gab es mehrere Gründe weshalb…
Lui stockte. Er hatte das Menschenviertel längst hinter sich gelassen, tief in Gedanken, seine Füße hatten ihn einfach durch das Elbenviertel getragen, aber jetzt stand er wie erstarrt da. Er stand nur wenig entfernt vom Hauptplatz, auf der einzigen Straße ins Viertel hinein, oder hinaus und irgendwo in der Nähe des Platzes war jemand.
Nein.
Das waren mehrere Jemande.
Und einer dieser Jemande hatte eine schrecklich vertraute Stimme.
Angstverzerrt.
Lui stand da.
Lauschte dem Geräusch und blieb stehen wo er war. In ihm war das reinste Chaos. Die Stimme betäubte ihn. Schreie und Worte, die er hörte, die aber nicht bis zu ihm durchdrangen, weil das Blut in seinen Ohren rauschte. Der drang zu rennen wurde von dem tiefen Schuldgefühl unterdrückt. Der Impuls zu rennen, blieb hängen, bevor er seine Beine erreichte. Seine Arme und Beine kribbelten, fast schon schmerzhaft. Er musste laufen, bevor… Auch der Gedanke ging unter, wurde aufgesogen von der schrecklichen leere die plötzlich in ihm war, wie ein trockener Schwamm, den man in eine kleine Pfütze legt. Lui begann zu zittern. Seine Gedanken wirbelten zusammenhangslos in seinem Kopf. Wieder drangen Worte an seine Ohren, flehend diesmal. Der Sinn sickerte langsam in sein Gehirn und spannte dort die verworrenen Gedankenfäden wieder zusammen. Sein Hirn begann wieder zu arbeiten und die leere wich dem Schreck, der viel zu spät kam. Ein weiterer Ruf. Dieses Mal brauchte er nicht so lange um den Sinn zu verstehen. Hilfe! Das Wort rüttelte ihn wach, löste seine starre und er begann zu rennen.
Die Dunkelheit war schrecklich.
Auf die Selbe weise Schrecklich, wie der stickige Kerker es gewesen war.
Und wieder konnte sie nicht laufen, war eingeengt in der Spalte zwischen den Häusern. Sie versuchte zurück zu weichen, doch selbst, wenn die Männerhände sie nicht wie eisern festgehalten hätten, wäre da nur die kalte Wand eines der Häuser gewesen. Verzweifelt kniff Ria die Augen zusammen, so fest, das helle punkte durch ihr Blickfeld wanderten. Sie spürte wie sich ihr Magen umdrehte und sie war sicher, dass sie sich erbrochen hätte, wäre in ihrem Magen etwas gewesen. Ihre Panik wuchs und ließ sie sich winden und wehren. Tränen rannen heiß ihr Gesicht hinab, aber sie achtete nicht darauf. Sie riss die Augen auf und wollte zum wiederholten mal schreien, während sie immerweiter in die Dunkelheit gedrückt wurde, doch es kam kein Ton mehr über ihre Lippen. Sie spürte das Blut durch ihren Körper pulsieren. Es war Dunkel, nicht mal die umrisse des Mannes waren mehr zu sehen. Ihre Augen waren völlig nutzlos, aber sie spürte die unerwünschte Nähe, atmete seinen widerlichen Geruch und hörte seinen Atmen schneller gehen. Die Dunkelheit und das Auftreten des Mannes schienen ihr die Kraft förmlich auszusaugen, und die Panik die Ria immerweiter überrollte tat ihr übriges. Es war, als würde der Mann nur darauf warten dass ihr Widerstand soweit nachließ dass er mindestens eine Hand lösen konnte… leider wartete er geduldig. Rias Gedanken waren wie von Nebelbedeckt und obwohl sie sich dagegen mindestens so sehr wehrte wie gegen Branko, erschlaffte ihr Widerstand langsam. Er erdrückte sie mit seiner Anwesenheit. Mit seiner Nähe und seiner Art. Erneut versuchte sie zu schreien, aber nichts als ein klägliches Wimmern kam über ihre Lippen. Beinahe wünschte sie sich den Zustand der Bewusstlosigkeit, alles nur noch verschleiert mitzubekommen und einfach zu warten das ein Wunder Geschah. Sie wollte fort. Fort von diesem Mann, der sie bedrängte. Fort von diesem Moment, der sie erdrückte. Fort aus dieser Stadt, die alles nahm, aber niemals gab. Fort von diesem leben, in dem kein Platz für Freude geblieben war. Sie wünschte sie hätte weinen können, schreien, kreischen, zappeln…aber sie war wie benommen, benebelt, nicht mehr zurechnungsfähig. Hinzu kam, dass ihr vollkommen klar war, dass es nur noch Sekunden dauern würde, bis Branko ihren widerstand als zureichend erschlafft einstufen würde. Es war Ria, als ticke eine Uhr in ihrem Kopf, die die Sekunden zählte. Tik. Tak. Tik. Tak. Tik. Tak. Tik. Tak.
Branko löste seinen Griff und hielt sie nun nur noch mit einer Hand fest. Die andere fuhr ebenso schnell, wie langsam, quälend ihre Seite hinauf. Die Sekunden waren vorbei.
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Halbblut
FantasyDie junge Halbelbe Ria, findet sich in ihrer kleinen Welt gut zurecht, bis der Junge Callum auftaucht und ihr Leben einige unangenehme Wendungen nimmt. Außerdem wirft auch ihr Stammbaum Rätsel auf und plötzlich steht die ganze Welt vollkommen Kopf...