Ungewollte Geschehnisse

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Ria erschrak, sie flog. Sie wollte nicht fliegen, sie wollte zurück auf den Boden. Sämtliche Anspannung und all die fremden Gefühle wichen und sie fiel zurück nach unten. Ihr Fall wurde erst beim Aufprall auf den Boden gestoppt- ein äußerst unsanfter Aufprall wohlgemerkt. Sie konnte sich absolut überhaupt nicht erklären wie es dazu gekommen war, dass sie plötzlich in der Luft schwebte, wäre der Schmerz in ihrem Rücken und Schultern nicht gewesen, hätte sie behauptet, dass sei sie nicht selbst gewesen.

Alle, die sich im Raum befanden, sahen sie völlig schockiert an, alle, bis auf einen, dessen Verwunderung ehr gespielt schien und seinen Nachbarn der ihn ansah, mit einer Mischung aus Bedauern und Vorwurf.

Ria erhob sich mühsam. Bevor sie zu einer Erklärung ansetzten konnte- die sie nebenbei bemerkt nicht hatte- erhob sich der Mann, der so überhaupt nicht überrascht gewirkt hatte. Es handelte sich um einen der Vorsitzenden, aber zu ihrer eigenen Schande hatte Ria seinen Namen vergessen. „Danke Ria, ich denke du kannst vorerst nach Hause gehen. Wie wir alle sehen, hat dich der Tag ganz fürchterlich mitgenommen und du solltest dich entspannen“ Ria war zu überrascht, dass er einfach über ihren kleinen Ausflug an die Decke hinweg sah, dass sie sich ärgern konnte, dass er voraussetzte sie könne sich nach allem was geschehen war entspannen. Sie nickte nur und ging. Ohne ein weiteres Wort trat sie auf den Platz hinaus, auf den gerade in diesem Moment ein zweites Mal die Reiter kamen. Der Trupp teilte sich. Ein kleiner Teil ritt in die Gasse der Schmiede, der restliche Teil blieb auf dem Platz. Wieder ritt ein einzelner vor, auch wenn er dieses Mal nicht so prächtig gekleidet war, wie der der die neuen Gesetze verkündet hatte. Ria stand Stocksteif auf den Stufen des Ratshauses und starrte die Reiter an. Auf dem Platz waren nur vereinzelte Leute, die ebenfalls völlig perplex waren.

„Auf Geheiß unseres geliebten Herren…“ (Ria schnaubte unbewusst) „Haben sämtliche Vorräte die sich innerhalb der Burg befinden bis Sonnenuntergang vor dem Schloss abgegeben zu sein. Alle in diesem Viertel die Arbeitsfähig, das heißt gesund und im alter zwischen 10 und 70 Jahren, sind und keine anderweitigen Aufträge haben, haben sich morgen früh auf dem Marktplatz einzufinden!“ Damit gab er seinem Pferd die Sporen und verließ gefolgt von den restlichen Reitern den Platz. Nur wenige Sekunden später kam auch die kleine Gruppe aus der Gasse der Schmiede und ritt dem Rest ihrer Truppe hinterher.

Ria stand für einen Moment regungslos da. Dann setzte sie sich in Bewegung. Sie starrte den ganzen weg vor sich hin, erst als sie vor der Tür des Hauses ihrer Tante stand, kam sie wieder zu sich. Sie holte tief Luft, sie war auf ein Donnerwetter sondergleichen gefasst. Langsam klopfte sie. Hinter der Tür donnerten Schritte und die Tür flog auf. Ihre Tante stand da und gab ein mehr als ungehaltenes „Was willst du?“ von sich. Ihr fiel alles aus dem Gesicht als sie Ria erkannte. Nach fast einer Minute hatte sie sich gefangen und wetterte los. „DU!“

Sie packte Ria am Kragen und zerrte sie ins Haus, dann knallte sie die Tür hinter Ria zu. „Wie KANNST DU ES WAGEN…“ weiter kam sie nicht den Ria hatte ihr einfach den Rücken zugedreht und sich an den kleinen Tisch gesetzt, was ihre Tante nur noch mehr zum Kochen brachte. „SIEH MICH GEFÄLLIGST AN WENN ICH MIT DIR REDE!“

„Wenn du mit mir redest schaue ich dich gerne an, für dein Gemotze hab ich gerade keinen Nerv.“, erwiderte Ria trocken. Ihre Tante war zum zweiten Mal völlig perplex. Unter anderen Umständen hätte Ria nie eine solch rüde antwort gegeben, um nicht Gefahr zu laufen noch ungerechter behandelt zu werden als sowieso schon. Aber gerade war es ihr egal, ob sie für den Rest des Jahres drakonische Erziehungsmaßnahmen würde aushalten müssen oder nicht. Außerdem war sie sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mal sicher ob ihre Tante nicht bald selbst vor einem globalen Problem stand.

Ihre Tante hatte indes ihre Fassung zurück und stampfte um den Tisch herum um ihre Nichte wieder ansehen zu können. Ria war aus einem theoretisch logischen, ihr selbst aber unbegreiflichen Gründen in Tränen ausgebrochen. Dieser Tag war einfach zu viel für sie. Sie hatte das Gesicht in den Händen vergraben und die Tränen tropften durch ihre Finger und hinterließen dunkle Spuren auf dem Tisch. Zum dritten mal innerhalb von zehn Minuten war ihre Tante schockiert und der Anblick ihrer weinenden Nichte machte es ihr unmöglich diese anzuschreien. Zum ersten mal in ihrem Leben dachte sie wirklich über Ria nach. Widerwillig gestand sie sich ein, dass das Mädchen nicht verdient hatte, nach all dem was ihr widerfahren war angeschrieen zu werden. Ihre eigenen Kinder kamen aus der Dachstube die grob gezimmerte Treppe hinab und machten große Augen. Niemand der anwesenden hatte Ria jemals weinen sehen. Letztere war unterdessen der Verzweiflung nahe und die vielen Blicke machten das ganze nicht gerade leichter. Als im gleichen Augenblick auch noch ihr Onkel den Raum betrat verlor sie ihre Fassung Vollendens. Sie war absolut verzweifelt. Weil sie einen Jungen liebte der unerreichbar war, weil ihre ganze schöne heile Welt in sich zerfiel und weil es keine Aussicht auf Besserung gab und weil diese Welt so schrecklich ungerecht zu ihr war. Sie weinte hemmungslos, sodass sich auf dem Tisch eine wahre Pfütze bildete während die anderen fünf im Raum sie ansahen und nicht wussten was sie sagen sollten.

HalbblutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt