Aufbruch

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Es war leicht. Viel leichter als sie erwartet hatte. Jeden Tag brachte Ria eine Kleinigkeit hinab zum Strand, abseits vom Steg aber nicht weit, nur so dass man sie von den kleinen Hütten aus nicht sehen konnte, und zur Sicherheit noch ein Stück weiter. Der Sandstreifen war nicht breit, nur ein schmales weißes Band, das den Wald vom Meer trennte. Im Unterholz waren hier Lücken, groß genug um ein Tier oder sogar einen Menschen vor der Welt zu verbergen. Ein perfektes Versteck für die Dinge die Ria mit Mis Hilfe hier her brachte. Jeden Tag nur ein wenig, meist etwas Haltbares zu Essen, aber auch eine Decke und einen möglichst großen Rucksack. Alles was sie irgendwie entbehren konnten, was angesichts der Umstände nicht viel war. Trotzdem wuchs der Vorrat nach und nach und Ria war zuversichtlich, dass es bald möglich sein würde den Versuch zu wagen. Sie saß am Fuß eines Baumes und hatte den Lederrucksack auf den Knien, den sie vorsichtig mit Fett einrieb, dass Mi für sie geklaut hatte. Er musste halten. Es war eine angenehm leichte Arbeit nach dem, was sie in den Mienen leisten mussten. Seit sie einen Plan hatte, so leichtsinnig wie er auch war, fiel es ihr leichter die Tage in den Mienen und gelegentlich auch in den Werkstätten zu überstehen. Mehr und mehr fragte sie sich jedoch wie ihre Peiniger sich das über längere Zeit vorstellten. Noch immer verging fast kein Tag, an dem sie niemanden verloren, zumeist schwache oder kranke, weil die Decke jemanden erschlug, jemand stürzte und nichtmehr aufstand oder schlicht Erschöpfung zum Zusammenbruch führte. Auf lange Sicht würden auch alle die jetzt noch gesund und einigermaßen bei Kräften waren, ihr Leben lassen müssen, vor allem, da die Wachen nicht auch nur eine Spur von Gnade zeigten, sondern das Pensum eher erhöhten. Ria seufzte leise und legte das fett beiseite. Sie strich über die nun geschmeidige Oberfläche des Rucksacks. Mi hatte vorgeschlagen die Oberfläche auch mit Harz zu behandeln um sie noch etwas widerstandsfähiger zu machen. Keine von ihnen wusste genau, wie man richtig mit Leder umging und sie wagten es nicht einen der Gerber zu fragen, zumal sie kaum eine Möglichkeit dafür haben würden und hatten deshalb gemeinsam vorsichtig ein wenig Harz zu dem fett gemischt. Sie hatten sich geschworen niemandem von Rias Vorhaben zu erzählen und bisher hatten sie sich daran auch gehalten. Bisher waren sie allerdings auch nicht in Erklärungsnot gekommen, da sie noch nie erwischt worden waren, wenn sie sich nach der Dämmerung noch draußen rumschlichen und tagsüber sprach man ohnehin kaum miteinander. Die Müdigkeit saß Ria schwer in den Knochen. Sie würde ihr größter Feind sein, wenn sie beschloss zu schwimmen. Damals, in ausgeruhtem Zustand als sie die Tage noch damit verbracht hatte das Haus ihrer Tante in Ordnung zu halten, war sie sich sicher, dass sie eine reelle Chance gehabt hätte das Festland lebend zu erreichen, aber von ihrer ursprünglichen Ausdauer und Gesundheit war nicht mehr allzu viel übrig und es wurde daher Zeit, es bald zu wagen, sonst war sie verdammt, ob nun mit Magie oder ohne. Das war das einzige, was sie noch daran glauben ließ das sie es schaffen konnte. Sie stand auf und verstaute den Rucksack wieder im Unterholz. Für einen Moment schaute sie noch hinaus auf das dunkle Wasser, während die Nacht das letzte bisschen Licht der untergegangenen Sonne verschlang, dann kehrte sie den seichten Wellen den Rücken zu und ging zurück zu den Hütten des Dorfes. Inzwischen hatte sie richtig Übung darin den Wachen auszuweichen, wobei ihr ihre elbischen Sinne zugutekamen, und hatte keine Schwierigkeiten mehr zur Hütte zurück zu kehren.

Am Morgen fand sich Ria auf dem Platz beim Steg wieder. Ausnahmsweise wurde keine Strafe vollstreckt, sondern gearbeitet. Alles, was sie in den letzten Wochen produziert und ausgegraben hatten wurde zusammengetragen. Ria und Mi tauschten einen Blick als sie mit Körben voller Waffen, Kleider, Silber, Schmuck, Schuhen, Sättel und vielem mehr, unter kritischem Blick der Wachen aneinander vorbeischleppten. Ein Schiff würde kommen. Am nächsten Tag würde es wieder eine Reihe Hinrichtungen geben. Es war nicht möglich das Schiff zu betreten, schon gar nicht darauf zu bleiben, sollte man es schaffen. Es war zu gut bewacht. Nicht mal die Mäntel hatten bisher irgendjemandem den Weg in die Freiheit geebnet. Niemand wusste genau wie sie es machten, aber sie fanden jeden, der es geschafft hatte sich im Schiff zu verstecken. Dennoch wusste jeder hier, einschließlich der Soldaten, dass es wieder einige versuchen würden. Mittag kam und ging und Ria und Mi blieben von den Mienen verschont, sondern durften helfen beim Putzen des ausgegrabenen Silbers. Ria war froh, dass sie ihre Kräfte schonen konnte, wenn sie mit dem Schiff zusammen ging, hatte sie vielleicht eine Chance, unbemerkt außer Sichtweite der Insel zu kommen, auch wenn sie nicht genau wusste wie genau man gedachte sie im Zweifel zu zwingen zurück zu kommen, ohne Boote. Das einzige was sie sich vorstellen konnte, war das man versuchen würde sie abzuschießen, aber einen Kopf im Wasser zu treffen würde sich hoffentlich im Zweifel als schwer herausstellen. Außerdem hatte sie nun endlich einen Tag gehabt an dem sie nicht bis zur völligen Erschöpfung gearbeitet hatte. In einem kurzen unbeobachteten Moment beugte sie sich zu Mi und zischte. „Heute". Mi nickte nur und machte weiter als wäre nichts gewesen, auch wenn Ria von Zeit zu Zeit ihre besorgten Blicke spürte. Nachdem man sie entlassen hatte, ging mi los um einen Schlauch mit Trinkwasser zu füllen und Ria nahm das Kästchen ihrer Mutter, dass sie nicht vorhatte zurück zu lassen. Gemeinsam schlichen sie in den Wald. Bei jedem knacken, jedem Rascheln zuckten sie zusammen, aber keine Soldatenschritte störten die sanfte Stille des Waldes. Rias Herz schlug bis zum Hals während sie vorwärts schlich, sich immer wieder umsehend. Dann zerriss ein Ohrenbetäubender Lärm die Stille wie ein poröses Stück Stoff. Beide Mädchen erstarrten in ihrer Bewegung, starr vor Schreck. sicher dass es vorbei war.

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