Ria drehte das Gesicht der Sonne entgegen und genoss das kitzeln der Strahlen auf der Haut. Ihre Erleichterung darüber, dass sie das Licht noch sehen und die Wärme noch spüren konnte, verdrängte alles andere. Das Zettelchen in ihrer Hand wurde warm, es war der einzige Beweis für das was in den vergangenen Stunden passiert war, ansonsten fühlte es sich für Ria alles so weit entfernt an, dass sie es in diesem Moment für einen Traum hätte halten können.
Nach dem doch recht unerwarteten Ausgang der der Hinrichtung war man einfach zur Tagesordnung zurückgekehrt. Wobei allerdings die Stimmung deutlich verbessert war. Ria sah, wie auch Fabio die Sonne genoss und sich des Lebens bewusst war. Sie ging unauffällig zu ihm und lächelte in an, während der Zettel in ihrer Hand darum bat gelesen zu werden. Aber dies war nicht der Augenblick diesen Zettel zu lesen, dies war der Moment in dem sie sich freuen sollte; darüber das sie lebte, das Fabio lebte und das beides Vorerst wohl auch so bleiben würde. Über dieses, fast unheimliche Hochgefühl vergaß sie den Hunger, der immer weiter Löcher in ihren Magen grub, sie vergaß den Schrecken der letzten Tage, wenn auch nur für kurze Zeit, sie vergaß die Sorgen über die Zukunft und das Unglück das inzwischen auf jedem Stein der Stadt zu kleben schien (was in einer Stadt die in allererster Linie aus Stein und Dreck bestand durchaus etwas heißen sollte). Fabio grinste sie an.
„Ich hab doch gesagt alles wird gut.“
Ria lachte.
„Aber du musst zugeben, dass du auch zwischendurch daran gezweifelt hast.“
Er nickte und zuckte mit den Schultern.
„Ich finde das ist auch logisch, wenn man einen Strick um den Hals gelegt bekommt.“
Ria verstand was er meinte. Die Sonne stand inzwischen hoch am Himmel und brannte auf sie hinab. Die allgemeine Freue hatte es nicht leicht zu bleiben, als die Stunden vergingen und die Erschöpfung wieder aufkam und jede Minute sich zu verdoppeln schien, war von der Freude nicht mehr viel übrig. Außerdem wurde Ria von den neuen Umständen wieder eingeholt, die das Glück noch zu leben vorrübergehend verdrängt hatte. Als irgendwann die Sonne unterging wurden sie erlöst. Der Weg nach Hause schien ein anderer zu sein als sonst. Jeder Stein fühlte sich seltsam fremd, und vertraut zu gleich an… wie aus einem Traum…einer weite vergangenen Erinnerung. Der kleine Zettel war von ihrer Hand in ihre Rocktasche gewandert und obwohl er nicht viel mehr weg als eine Daune schien es Ria, als würde er so viel wiegen wie ein Sack Mehl. Obwohl sie nicht wusste, was auf diesem Zettel war, schien es ihr, als habe es ein Gewicht, als sei es etwas was sie wissen musste, egal ob sie wollte oder nicht. Was konnte so wichtig sein, dass Callum dazu bewegt hatte das Risiko einzugehen und ihr einen Zettel zu geben, wo sie doch von einem ganzen Platz beobachtet werden konnten. War es nicht in einer Weise leichtsinnig gewesen? Ria wusste nicht, ob sie sich freute, dass er das getan hatte, sie hoffte nur, dass sie es wusste wenn sie den Zettel angesehen hatte…
An diesem Tag, holte Rias Tante ihre beiden Töchter selbst ab und ihr Onkel würde sein Glück bei der Essensausgabe versuchen, um Ria vorerst aus der Nähe der Soldaten fernzuhalten. So brachte sie Mandy alleine nach Hause, gab ihm zu trinken und eine Schüssel um den Dreck, den die Arbeit an der Mauer an ihm hinterlassen hatte abzuwaschen. Die Sonne war längst untergangen, nur eine einzelne Kerze brannte in der Stube und spiegelte sich, gespenstisch verzerrt auf der fast schwarz wirkenden Wasseroberfläche. Sie riet Mandy zu Bett zu gehen, und sich schon etwas auszuruhen, er könne schließlich wieder aufstehen, sollte sein Vater Erfolg haben und zum ersten Mal, seit 3 Tagen etwas zu Essen zu besorgen. Der Junge schleppte sich die Treppe hoch und Ria hörte seine Schritte auf dem Holzboden. Einen Moment zögerte sie noch, doch dann zog sie den Zettel aus der Tasche und hielt ihn einen Moment in der Hand. Er war mehrfach schief gefaltet und bereits leicht an geschmuddelt und war verknickt. Die Kanten und Ecken waren gelblicher als der Rest des Zettels. Ria wunderte sich, dass er Papier verwendet hatte, sie hatte immer geglaubt die hohen Herrschaften schrieben auf Pergament. Das Papier war weich geworden, davon das sie es so lange in der Hand gehalten hatte, und die Ecke oben rechts war leicht hochgeknickt und warf durch das Licht der Kerze einen dunkeln, zuckenden Schatten über das Papier. Ria zögert. Was wenn sie ihn einfach verbrannte? Sie wusste selbst, dass sie das nicht können würde, aber sie sah sich, aus irgendeinem Grund, gezwungen sich selbst vorzumachen, dass sie die Möglichkeit in Betracht zog. Was konnte auf diesem Zettel stehen? Eine gute, oder eine Schlechte Nachricht? Ria seufzte. Was nützte es schon, sie würde den Zettel so oder so irgendwann lesen, also konnte sie es auch gleich tun. Sie holte tief Luft und faltete den Zettel auf und hielt ihn ins Licht. In großer Schwungvoller Handschrift stand da:
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Halbblut
FantasyDie junge Halbelbe Ria, findet sich in ihrer kleinen Welt gut zurecht, bis der Junge Callum auftaucht und ihr Leben einige unangenehme Wendungen nimmt. Außerdem wirft auch ihr Stammbaum Rätsel auf und plötzlich steht die ganze Welt vollkommen Kopf...