Enepal und das Kästchen

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Mi und Ria überdauerten die Tage so gut es ging. Immer wieder besuchten sie das Rathaus, und immer mehr der verletzten verließen das Rathaus, und kehrten in ihre verlassenen Häuser zurück. Die Kinder wurden des ewigen im Haus Sitzens müde, aber sie ließen sie nicht draußen spielen, in den stillen Straßen, zwischen den verlassenen Häusern. So war auch niemand von ihnen auf dem Platz, als das allgemeine Urteil verlesen wurde. Sie erfuhren erst von ihrem neusten Unglück als es klopfte, weil sich einer der anderen Hinterbliebenen dazu bewogen gesehen hatte, die anderen zu informieren. Er war recht wortkarg, gab nur schnell wieder was er gehört hatte und verschwand dann wieder. Hinter ihm blieb schweigen. Mi und Ria saßen sich gegenüber, und sagten kein Wort. Irgendwann vergrub Mi das Gesicht in den Händen und fing an zu weinen. „Warum haben wir immer noch mehr Unglück“, schluchzte sie. Ria konnte nur zu gut verstehen was sie fühlte, doch fragte sie sich auch, was sie erwartet hatten. Hatten sie nicht den Umständen entsprechend sogar noch Glück gehabt, dass sie wenigstens würden leben dürfen? Was war diese Insel für ein Ort? Würde das Leben dort lebenswert sein? Vielleicht würde es ja viel unbeschwerter sein, wenn die Elben einfach unter sich waren und sich nicht verstecken mussten. Andererseits konnten die Zustände dort natürlich auch noch viel schlimmer sein, da man offenbar vor hatte sie ausführlich zu bewachen, und sie mochte sich nicht vorstellen wie streng man dort mit ihnen sein würde. Und natürlich dacht sie an Callum, den sie dann gar nicht mehr würde sehen können. Irgendwie blieben die Tränen dennoch in ihren Augen stehen und ein dicker Klos verschnürte ihre Kehle und machte sie unfähig irgendwas zu sagen. Ohne irgendeine Regung saß sie da, uns schaute Mi beim Weinen zu. Sie fühlte rein gar nichts. Ihr Herz schien leer und alles schien taub. Gerade so, als weigere sich ihr Kopf noch mehr Unglück zu verarbeiten. Auch Mi hörte irgendwann auf zu weinen und schaute auf die Tischplatte. Später würden sie nicht sagen können wie viel Zeit vergangen war. Vielleicht wären sie ewig dort sitzen geblieben und hätten geschwiegen. Ria dachte, dass es einfach hier endete, einfach weil kein Gefühl mehr ihr Herz erreichte. Es war alles da- Angst, Panik, Wut, Liebe, Sehnsucht- das wusste sie, auch wenn ihr nicht klar war woher, aber sie fühlte es nicht. Wie Wassertropfen auf einem nassen Schwamm, die einfach darauf fielen und unter gingen. Die Zeit schien sinnlos zu werden und jeder Moment konnte eine Ewigkeit, so wie eine Sekunde gewesen sein. Keine von ihnen wusste es. Mandy allerdings, war nicht wie versteinert. Er war ein Kind, und Kinder hatten, wie Ria nun feststellte, die bewundernswerte Gabe, alles ganz sachlich zu sehen und Vorschläge zu machen, die zwar nicht umsetzbar, aber optimistisch waren und die Ältere gar nicht erst machten. „Wir sollten uns verteidigen! Die Mütter erzählen eine Geschichte. Von Enepal. Enepal war ein Zauberer. Er hat sich…“

„Man spricht nicht von Zauberern“, fiel Mi ihm da ins Wort. „Sie sind grausam und wie der Teufel, wenn du von ihnen sprichst musst du an der nächsten Ecke mit ihnen rechnen. Ein skrupelloses Völkchen sind sie und wir werden uns nicht verteidigen, das ist schon letztes Mal gescheitert, wie du wahrscheinlich mitbekommen hast! Ganz davon abgesehen ist niemand hier bereit sich zu verhalten wie ein Zauberer“, sie klang genervt und nahm überhaupt keine Rücksicht darauf, dass Mandy einfach ein Kind war, dass nicht verstand was vorging, noch weniger als sie selbst. Aber Mandy war auch ein trotziges Kind, und nicht unbedingt besonders dumm. „Ich will jetzt aber die Geschichte erzählen, und wie soll ein Zauberer noch schlimmer sein als das hier?“ Mi seufzte. Sie hatte keine Lust zu diskutieren und Ria schwieg noch immer, auch wenn sie der Konversation zugehört hatte, und beiden zustimmte. Es war ihr egal, ob Mandy seine Geschichte erzählte. Mandy sah das als Sieg. „Also Enepal lebte in einer Stadt voller Zauberer und in der Stadt gab es eine Ordnung, in der die einen die anderen bedienen mussten und kontrolliert wurden. Genauso wie hier. Und Enepal lebte in der untersten aller Schichten. Aber er war ein ganz außergewöhnlicher Zauberer, und er verliebte sich in eine Elbe, was bei Zauberern genauso verboten war wie bei Elben. Und er ist weggelaufen und hat sich im Wald eine Festung gebaut, und immer mehr von den unteren Zauberern, die keine Lust mehr hatten zu dienen, kamen zu ihm und haben sich mit ihm versteckt. Sie haben sich verschanzt, und als die hohen Zauberer kamen um sie zurück zu holen, haben sie sich verteidigt. Und sie haben gewonnen und konnten dort bleiben. Niemand hat sie je wieder versucht da weg zu holen, und jeder der einfach in der Festung blieb konnte frei sein. Enepal erfand Zauber und wurde ein mächtiger Zauberer, und er bekam Kinder, die alle natürlich fürchterlich aussahen, weil sie eben Zauberer waren, aber sie waren Widerstandskämpfer so lange sie lebten und versuchten immer wieder die Mächtigen zu stürzen, aber schließlich war es Enepal selbst der seine Leute in den Sieg führte. Er starb kurz darauf, aber er wurde als Held gefeiert. Wir müssen uns auch verteidigen. Wir laufen weg und verstecken uns, und wenn sie uns zurück wollen dann zerhauen wir sie.“ Er schwang ein unsichtbares Schwert. „So wie Enepal, und dann sind wir frei und müssen uns nie wieder in einen Kerker sperren lasse.“ Ria lächelte ein wenig über seine Ambition, auch wenn es ihr Sorgen bereitete. Sie mochte die Geschichte irgendwie. Auch wenn sie schon ehr Geschichten von Zauberern gehört hatte, war noch nie so eine positive dabei gewesen. Denn für gewöhnlich, waren die Zauberer in den Geschichten immer die Bösen. Sie galten generell als entstellt und hässlich, mit tiefen Furchen im Gesicht und viel zu stämmig gebaut. Außerdem sagte man ihnen nach gefährlich und link zu sein. Generell ging um, dass es keine Zauberer mehr gebe, weil sie sich gegenseitig getötet hatten. Ria wusste nicht, wie viel an dem Erzählten dran war, aber sie glaubte, dass das Meiste wohl wahr war, wenn alle Geschichten davon sprachen. Sie seufzte. Trotzdem konnte sie Mandys Begeisterung für Enepal verstehen, vor allem weil er genau wie sie in dieser Unterdrückung geboren war und sich nichts sehnlicher wünschte als Freiheit. Sie fragte sich was die Elbe wohl an ihm gefunden hatte, und ob diese Geschichte nicht vielleicht mit ihr und Callum vergleichbar war. Der Gedanke einfach mit ihm fortzulaufen gefiel ihr, auch wenn das natürlich nicht ging. Und was hatte die Elbe gemacht als Enepal gestorben war? Hatte sie das Leben danach noch genießen können, ohne den Mann, für den sie so viel geopfert hatte? Und wie hatte sie ihn kennengelernt. Was hatten die anderen Elben von ihr gedacht? Vielleicht war sie glücklicher gewesen, weit ab von allen anderen ihres Volkes, und mit dem den sie liebte. War sie zurückgekehrt zu ihnen? Wahrscheinlich wohl nicht. Ria seufzte. Wie kamen die Frauen dazu den Kindern diese Geschichte zu erzählen? Sie versank völlig in ihren Gedanken und sponn Teile zu der Geschichte dazu, die Mandy nicht erzählt hatte. Wie sie lebten, in ihrer eigenen Festung, wie Enepal mit der Elbe umgegangen war, und über die Leute um das Paar herum.

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