31. Januar, Montag

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Ich befestigte meine Haare mit einer Klammer am Hinterkopf, bevor ich aus meinem Rucksack Acrylfarbe, eine Farbpalette und Pinsel herausnahm. Dieses Mal hatte ich meinen Körper mit Sonnencreme dick eingecremt und gleich mehrere Schichten auf meine Haut geschmiert. Heute wollte ich länger am Strand bleiben, die Atmosphäre genießen und auf meiner Leinwand einfangen.

Über mir flogen ein paar Wolken vorbei, die noch von dem gestrigen Regen erzählten. In der Nacht hatte es aufgehört und durch die starken Sonnenstrahlen war es bereits sehr heiß und die Oberflächen trocken. Die Wellen des Meeres rauschten ruhig an den Strand und zogen sich zurück. Ohne die vielen Besucher würde es sicherlich friedlich wirken.

Während ich die Farben auf meiner Leinwand verteilte, überlegte ich, wie der Nachthimmel hier wohl aussah. Von meinem Balkon aus hatte man eine wunderschöne Sicht auf die Sterne, aber die Lichter der Stadt waren deutlich zu erkennen, wodurch die Sterne nicht allzu stark funkelten. Wenn man sich den Sternenhimmel über dem Meer ansah, musste es eine andere Wirkung haben.

Ob ich mir meinen eigenen Sternenhimmel über dem Bett malen durfte?

Ich blickte von meiner Leinwand hoch und schaute den Strand hinunter. Natürlich war Adam hier. Er schien nicht zu arbeiten und hatte unendlich viel Freizeit, um sich mit all seinen Freunden treffen zu können. Im Gegensatz zu mir, hatte er sein ganzes Leben mit Freunden verbracht. Er hatte eine Freundin, die bildschön war. Es war das Mädchen, das beim letzten Mal den Wasserball bei mir abgeholt hatte. Gerade stahl sie sich einen Kuss von meinem Cousin und lächelte ihn an. Adam wirkte glücklich, hielt sie in seinem Arm, während er mit seinen Freunden angeregt redete.

Adam hatte alles, was ich seit dem ersten Ausbruch der Krankheit nicht mehr besaß. Freunde, eine Beziehung, Spaß, Abenteuer. Ich wusste nicht, wie man als Jugendliche Partys feierte oder wie die vielen verschiedenen Alkoholgetränke schmeckten. Bis auf Sekt zu Silvester hatte ich nie etwas getrunken. Für mich war es fremd, mit Freunden shoppen zu gehen, sich zu treffen und herumzualbern. Ich hatte mich nie verliebt, nicht meinen ersten Kuss gehabt und Sex war nicht infrage gekommen. Mir fehlten viele Erfahrungen, die man in meinem Alter bereits haben sollte.

Zwischen den jungen Erwachsenen bemerkte ich Nathan, der mich überrascht anschaute. Wie die anderen Männer saß er bloß mit einer Badehose bekleidet im Sand. Seine Haut war von der Sonne geküsst. Die Gruppe saß weit genug weg, dass ich deren Gespräche nicht hören konnte, aber nah genug, dass Nathan meine Geste verstand. Ich legte meinen Zeigefinger auf die Lippen und schüttelte den Kopf. Er sollte nicht auf mich aufmerksam machen, Adam nichts sagen.

Bevor ich noch mehr auffiel, legte ich mein Augenmerk zurück auf die Leinwand und malte weiter. Es war unübersehbar, dass es sich dabei um diesen Strand handelte. Dass ich den Sand und das tiefblaue Meer gemalt hatte, dass in der Sonne glitzerte. Dazu setzte ich noch zwei, drei Palmen an den Bildrand und zwei Jungen und ein Mädchen, die von einer Seite zur anderen rannten. Da es nur Silhouetten waren, verpasste ich ihnen keine besonderen Merkmale. Es wurde nur deutlich, dass es sich dabei um Kinder handelte.

So hätte es damals sein sollen. Irgendwann wären meine Eltern mit mir nach Australien geflogen. Wir hätten Adam, Steven und Birgit in Sunshine Coast besucht. Ich hätte Nathan kennengelernt. Gemeinsam wären wir an den Strand gefahren und hätten dort gespielt.

Wäre ich nur nicht krank geworden.

Ein paar Sandkörner verirrten sich auf das Bild, doch das störte mich nicht weiter. Mich interessierten die vielen Farbtupfer auf meiner Kleidung und meinem Körper nicht. Sowas konnte man abwaschen.

Irgendwann würde ich mein letztes Bild gemalt haben. Irgendwann würde ich keinen Pinsel mehr halten können. Irgendwann wären nur noch die Erinnerungen an meine Pinselstriche da.

Das Ende steht in den Sternen *PAUSIERT*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt