24. Juni, Sonntag - Nathan

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Ich tätigte die Toilettenspülung und ging an das Waschbecken, spülte den Mund aus und spritzte mir mehrere Male kaltes Wasser in das Gesicht. Der Spiegel an der Wand zeigte mir deutlich, wie schlecht es mir ging. Von meiner Bräune war kaum noch etwas zu sehen. Die letzten Tage zehrten an mir und hinterließen ihre Spuren. Möglich, dass es sogar Monate waren und ich erst jetzt den Schmerz zuließ.

Leo würde sich Sorgen machen, könnte sie mir in das Gesicht sehen. Wüsste sie, dass es Adam ebenso erging, würde sie sicherlich ihre Sachen packen und das Weite suchen. Sie würde alles machen, damit wir nicht länger derart litten.

Ich trocknete Gesicht und Hände, ehe ich die Tür öffnete und das Bad in Leos Zimmer verließ. Davor erwartete Steven mich, betrachtete mich sorgenvoll, obwohl er selbst seit Leos Anfall nicht mehr geschlafen hatte. Wir sollten uns um uns selbst kümmern, stattdessen lag all unser Augenmerk auf der kleinen Löwin.

Steven empfing mich in seinen Armen und hielt mich einen Moment. Ich wünschte, meine Eltern könnten hier sein und mir ein einziges Mal diesen Beistand geben. Sie hätten längst Leo kennenlernen sollen. Ich wollte ihnen die Frau vorstellen, die ich heiraten wollte. Aber ihre Zeit war begrenzt, wie ich es nicht anders kannte, und so lebte ich seit meiner Beziehung mit Leo in ihrem Zimmer. Hin und wieder schrieben meine Eltern mit mir, doch gesehen hatte ich sie ewig nicht mehr.

Dabei brauchte ich meine Eltern so dringend, wenn ich ehrlich war.

„Du musst das Essen in dir behalten, Nathan", sagte Steven leise. „Leonie wird dich nicht mehr erkennen, wenn du weiter so abnimmst."

„In drei Tagen nimmt man nicht so viel ab." Ich schloss die Augen und genoss, wie er mich hielt und mir Trost spendete, während ich mit mir rang und meine Tränen nicht in den Griff bekam. „Ich habe so Angst, Steven."

„Die haben wir alle, aber sie wird aufwachen." Er drückte mich ein wenig mehr an sich, weil er spürte, wie kraftlos ich mittlerweile war. Das Zittern begleitete mich die meiste Zeit. Im Schlaf träumte ich von Leo, wie sie leblos vor mir lag und ich sie zurück ins Leben holte, weshalb ich mich zwanghaft wachhielt. Ich ertrug das nicht. Das erste Mal hatte ich irgendwie verkraften können, doch das zweite Mal brachte mich um. Erst meine Hände auf ihrer Brust, die ihr Herz zum Schlagen zwangen, dann die einer Schwester.

Ich bekam das Bild nicht aus dem Kopf, wie man Leo auf eine Liege legte, die Schwester auf ihr saß und die Herzmassage weiterführte, während man Leo zur Notaufnahme brachte.

Ich biss die Zähne aufeinander und drückte mich von Steven, um zurück zu Leo zu gehen und mich an ihr Bett zu setzen. Ihr Herzschlag wurde aufgezeichnet. Gestern erst hatte es einen unregelmäßigen Takt gezeigt und Leo hatte in ihrer Ohnmacht ihr Schmerzmittel verabreicht bekommen. Die Ärzte hatten um sie gekämpft, uns vor das Zimmer geschickt und warten lassen, bis Leo wieder stabil war.

Sie kämpfte mit aller Kraft, die noch in ihr vorhanden war.

Und wir wussten alle, wie schwach sie vor dem Anfall gewesen war.

Adam rutschte auf den Stuhl neben sich und gab mir den Platz auf Höhe von Leos Kopf. Er umschloss ihre Hand, sprach kein Wort und starrte abwesend vor sich. Birgit und Steven machten sich um ihr einziges Kind vermutlich ebenso große Sorgen wie um ihre Nichte. Das Gesamtbild war schrecklich besorgniserregend.

Leos Eltern saßen auf der anderen Bettseite auf Stühlen. Sie wechselten sich mit der Fütterung, dem Wickeln und diversen anderen Sachen ab, damit der andere immer bei Leo saß und sie wissen ließ, dass man da war. Ihre Mutter weinte viel und ungehalten vor allen. Für dieses Bild hatten Adam und ich ihre Eltern nicht hergeholt. Wir hatten ein paar schöne Tage und Wochen miteinander verbringen wollen. Leo hatte glücklich sein sollen.

Das Ende steht in den Sternen *PAUSIERT*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt