24. Februar, Dienstag

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Mein Handy zeigte mir an, dass die letzten Minuten des Tages angebrochen waren. Bald hatte ich offiziell in diesem Land Geburtstag. In Deutschland würde das noch weitere neun Stunden dauern. Die Zeitverschiebung sorgte dafür, dass ich meine Eltern nicht um Mitternacht sprechen würde. Sie würden mir keine Glückwünsche schicken, mich nicht in die Arme schließen.

Die dunklen Wolken über mir, das tobende Meer vor mir und dazwischen unruhiger Wind, der den Regen gegen mich peitschte. Welch Ironie, dass es ausgerechnet um diese Zeit dermaßen stürmisch und regnerisch war. An meinem vermutlich letzten Geburtstag.

Mein Handy, das ich in einen wasserfesten Beutel hineingelegt hatte, zeigte mir unteranderem mehrere verpasste Anrufe und Nachrichten an. Steven, Birgit und Nathan hatten schon ein paar Mal angerufen. Da ich seit der Mittagszeit verschwunden war und kein Lebenszeichen von mir gab, wunderte mich das nicht.

Es war nicht fair, nicht nett, das wusste ich. Tante Birgit hatte für einen Kuchen alle Zutaten gekauft und ihn nach ihrer Arbeit gebacken. Sie hatte sogar etwas dekoriert, damit Feststimmung aufkam. Die Familie gab sich so viel Mühe und dennoch ...

War ihnen nicht bewusst, dass dies mein letzter Geburtstag sein könnte? Ich wollte keine Feier, keine Geschenke oder einen Kuchen. Nichts von alldem gab mir mein Glück zurück, das ich vor Jahren verloren hatte. Es war Adam, den ich ansehen wollte. Ihm wollte ich sagen, dass ich ihn liebte. Er sollte mir nur ein einziges Lächeln schenken, mich in seine Arme schließen. Nur für einen kurzen Augenblick wollte ich die alte Zeit aufleben lassen und vergessen, welch grauenhaften Kampf ich in mir ausfocht.

Ich starrte verloren auf das tiefschwarze Wasser, das seine Wellen schlug und den Sand hinaufkletterte, um am Ende doch zurück zu gehen. Es könnte alles verschlingen. Das Meer könnte mich von den Füßen reißen, mit sich in die Tiefe zerren, ohne dass ich etwas dagegen unternehmen könnte. Schon am Tag, wenn die Sonne schien, war das Meer eine einzige Gefahr für mich. Momentan war es für jeden eine Gefahr. Niemand würde diesem alles verschlingenden Wasser entkommen können, wenn es erst einmal nach einem gegriffen hatte.

Dramatik war etwas, was ich besonders gut konnte. Wie auch nicht, wenn das Leben seit einem Jahrzehnt ein ganz widerliches und einzigartiges Drama war?

Wieso hatte ich das Wunder vor Jahren erlebt, wenn ich jetzt wieder den Tod vor mir stehen hatte? Warum hatte ich überlebt, wenn ich zehn Jahre später sterben sollte? Wenn es einen Gott gab, und daran glaubte ich kein Stück, dann wollte ich seinen Grund erfahren, warum er mich derart leiden ließ. Ich hatte nie darum gebeten, nichts getan, was mich durch die Hölle gehen lassen musste.

Kraftlos ließ ich mich auf die Knie fallen und presste die Handballen auf meine Augen. Wie sollte man sich auf seinen Geburtstag freuen, glücklich sein oder die Zeit genießen, wenn es nur ein Fingerschnipsen benötigte, um das Leben auszulöschen? Ich war gerne in Sunshine Coast. Ich verbrachte gerne meine Zeit mit Nathan. Ich zog mit ihm gerne durch die Straßen, ging in das Sunshine Plaza, malte, band meine Bücher oder saß stundenlang am Strand.

Nach so vielen Jahren konnte ich endlich mit jemandem gemeinsam shoppen oder ein Eis essen gehen. Endlich gab es jemanden, der meine Malerei wertschätzte und zu jedem Bild etwas zu sagen hatte. Ich hatte endlich jemanden an meiner Seite, der mit mir sprach. Endlich jemand gleichaltriges.

Ich will das nicht verlieren.

Das Wasser rauschte. Der Regen plätscherte. Der Wind pfiff. Ich schrie.

Niemand war an diesem Strand unterwegs. Keiner bekam mit, wie ich all meine Verzweiflung nach außen holte und es mit dem Meer teilte. All mein Schmerz kam an die Oberfläche, während ich meine Gefühle zu jeder anderen Zeit in mir verschlossen hielt.

Das Ende steht in den Sternen *PAUSIERT*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt