27. Januar, Donnerstag

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„Fang mich doch!" Das kleine Mädchen lachte ihren Cousin an, der sich noch die letzten Laubblätter von seinem Körper strich. Er sah zu ihr, doch seinen Gesichtsausdruck konnte man nicht sehen, aber das musste man nicht. Leonie kreischte auf und rannte über die Wiese, während Adam ihr folgte. Man hörte beide deutlich lachen.

„Hab ich dich!", rief Adam grinsend aus und umklammerte seine jüngere Cousine fest. All das Wehren und Winden brachte nichts, sie entkam seinem eisernen Griff nicht. Als er seine Finger in ihre Seiten drückte, hörte man sie wieder schreien, das in einem Lachen unterging.

„Adam!", rief sie lachend. Sie ließ sich auf die Knie fallen, hielt das Kitzeln nicht länger aus. „Stopp! Ich krieg keine Luft!"

Lächelnd sah ich auf dem Bildschirm meines Handys und sah den beiden Kindern zu, wie sie sich über die Wiese rekelten. Fünf Jahre Unterschied waren sichtbar zu erkennen. Darauf war das Mädchen noch so jung gewesen, während Adam bereits elf Jahre alt gewesen war. Trotz des Altersunterschieds sah man ihnen die Verbundenheit an und wie sehr sie einander liebten.

Ich war froh, die alten Videos auf meinem Handy zu haben.

Jedes einzelne Video kannte ich auswendig, konnte sie nachsprechen und bekam doch nicht genug davon. Das erinnerte mich an die schönen und glücklichen Tage. Darin waren Momente verborgen, die mir die Welt bedeuteten, denn irgendwann waren sie vorbei gewesen. Von einem auf den anderen Tag war es beendet worden und das Glück hatte mir den Rücken gekehrt. Statt Adam waren mir nur meine Eltern geblieben.

Wieder spielte ich das Video ab, hörte meine eigene Lache, die mir so fremd geworden war. Ich wollte nicht behaupten, dass mein Leben in den letzten Jahren schlecht gewesen war, aber ich hatte nie wieder so lachen können. Das Glück war nicht mehr zu mir gekommen. Es war nur die Freude gewesen, die mir ab und zu Hallo gesagt hatte. Sie hatte gewunken, mich einen Moment fröhlich fühlen lassen und war wieder gegangen.

Wie es wohl hier sein würde?

Während aus meinem Handy Adams und meine Lache klang, blickte ich hinauf in den blauen Himmel. Es war Mittag und die Sonne hatte ihren höchsten Punkt erreicht, wodurch es auf der Straße kaum auszuhalten war. Hinzu kam das tropische Klima auf diesem Kontinent. Ich hatte Deutschland verlassen, wo es gerade eher kalt und nass war. In Australien dagegen neigte sich der Sommer dem Ende zu, doch kalt würde es hier nicht werden. Zumindest nicht so, dass ich mit einem Wintermantel und Schal durch die Straßen laufen müsste.

Mit einer Hand fuhr ich mir über den feuchten Nacken. Meine dichten Haare hatte ich bereits nach oben gebunden, dennoch fühlte es sich nicht besser an. Ich hoffte, mein Onkel war bald hier und ließ mich nicht noch länger warten. Er wusste doch, wann ich ankam und das Flugzeug keine Verspätung hatte.

Mein Handy gab einen kurzen Ton von sich, signalisierte mir, dass das Akku fast leer war. Die letzten zwanzig Prozent noch, dann würde mich meine einzige Beschäftigung verlassen, die ich hier hatte. In meinem neuen Zimmer erwarteten mich meine Hobbys bereits. Tante Birgit und Onkel Steven hatten mir versichert, dass alles angekommen war und sie die Kartons in das Zimmer gestellt hatten. Mein Onkel hatte sich noch beschwert, weil zwei Kartons davon sehr schwer waren.

Mir war bewusst, dass ich nichts hätte verschicken müssen. Ich hätte mir auf diesem Kontinent Bücher, Pinsel, Farben, Leinwände und diverse andere Sachen kaufen können, aber es war nicht infrage gekommen, dass ich auf meine Sachen verzichtete. In Deutschland waren meine fertigen Bilder geblieben, doch alles andere hatte hierher gemusst. Besonders die Bücher, denn in denen steckten viele Erinnerungen und Geschichten, die mein Leben zeigten.

Ich war froh, dass die Straßenseite überdacht war und Schatten bot. Für das neue Klima war ich viel zu warm gekleidet. Die Jeans klebte an meinen Beinen. Jede Bewegung erzeugte Reibung. Ich wollte sie ausziehen und in die Ecke kicken, nie wieder anziehen. Schon jetzt wusste ich, welche Kleidungsstücke aus meinem Kleiderschrank verbannt werden würden.

Das Ende steht in den Sternen *PAUSIERT*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt