Ich war froh, dass es sogar zu diesem Moment ein Video gab. Mein Onkel hatte die Kamera eingeschaltet, als er Birgit und meine Mutter gerufen hatte, damit sie sahen, was Adam und die jüngere Version von mir in meinem damaligen Kinderzimmer angerichtet hatten. Es war doch das reine Klischee, dass die Kinder Unsinn trieben, wenn sie allein und leise waren. Genau das hatten die beiden Kinder erfüllt.
Auf meinem Handybildschirm waren die fassungslosen Gesichter der beiden Frauen zu sehen, die am Türrahmen standen und zu Adam und dem kleinen Mädchen schauten, wie sie an der Zimmerwand saßen. Im Hintergrund hörte man Onkel Steven lachen. Er hatte sich das schon nicht verkneifen können, als er in das Zimmer gekommen und das Kunstwerk als erster gesehen hatte. Geschimpft hatte er nicht.
Die Kamera schwenkte zu meinem Cousin und seiner Cousine. Sie grinste breit, war stolz auf das, was beide gemacht hatten. Mit meinen damaligen fünf Jahren kein Wunder. Für mich war das nicht schlimm gewesen. Wir hatten doch nur die Wand angemalt und sie schön gemacht.
„Oh mein Gott! Was habt ihr nur gemacht?", äußerte meine Mutter und schüttelte den Kopf. „Leonie, ich habe dir gesagt, dass du auf den Blättern malen sollst!" Sie sprach mit meinem jungen Ich Deutsch, was Adam kaum verstand. Ihm war anzusehen, dass er wusste, sie bekam Ärger, aber die deutschen Wörter übersetzten sich nicht in seinem Kopf.
„Aber so ist viel schöner!", gab sie zurück. „Guck mal, Mama, das bist du und Tante Birgit und Onkel Steven!" Sie zeigte mit dem Finger auf ein paar Figuren, die Menschen darstellen sollten. Als Kind war ich nie künstlerisch begabt gewesen. Ohne den Kunstkurs und die hunderten Übungsstunden wäre ich es heute noch nicht.
„Kriegen wir Ärger?", fragte Adam verunsichert nach und schaute zu seinem Vater. Damals hatte er noch längere Haare gehabt, an denen man ziehen konnte. So oft hatte ich ihm wehgetan und einen Streit dadurch entstehen lassen.
„Ärger?", wiederholte die kleine Leonie. Das englischeWort kannte ich von vielen anderen Tagen. „Aber ich hab Adam überredet! Das ist meine Schuld!"
Adam sah sie an. „Gar nicht! Ich war das!"
„Nein!"
„Doch! Ich hab angefangen!"
Vehementes Kopfschütteln ihrerseits. „Nein!", schrie sie ihn an.
„Kinder, hört schon auf", bat Onkel Steven.
Schmunzelnd sah ich auf mein Handy, wie Adam und ich weiter stritten und bloß den jeweils anderen vor Ärger bewahren wollten. Wir hatten uns dauernd ein Nein und Doch zugeworfen. Das war noch ein paar Mal so gegangen, bis ich zu weinen begann und meinen Cousin damit noch mehr verunsicherte.
„Du hast gar nicht gesagt, dass du Videos von Adam und dir hast", ertönte es hinter mir. Ich erschrak, zuckte sichtbar zusammen und schaltete sofort das Display aus. „Hey! Ich will das zu Ende sehen!"
„Nein!", rief ich aus und stand von dem Sofa auf. Nathan stand hinter der Lehne, hatte sicherlich über meine Schulter geschaut. Nicht nur er. Auch Adam stand neben ihm, doch sein Gesicht war wie üblich verschlossen und gab keine Emotionen preis. Letzte Nacht hatte ich noch geglaubt, er würde sich um mich sorgen, aber nun war ich mir nicht mehr sicher. Was änderte schon ein Name, wenn er weiterhin so wütend auftrat?
Nathan sprang über die Rückenlehne des Sofas und von der Sitzfläche auf den Boden, um mir sofort das Handy abzunehmen. Grinsend schaltete er das Handy ein und musste einen vierstelligen Code eingeben, bevor er an die Videos herankam.
„Was ist dein Code?"
„Das geht dich nichts an! Gib mir mein Handy zurück!", fuhr ich ihn an und streckte die Hand nach dem elektronischen Gerät aus. Mein Herz kletterte unterdessen meine Kehle hinauf. Auf keinen Fall wollte ich, dass Adam erfuhr, wie viele Videos auf meinem Handy gespeichert waren. Hinter der Sperre würde sofort sein Gesicht zu sehen, weil ich ihn als Hintergrundbild genommen hatte. Ein heimliches Foto vom Strand. Nathan würde viel zu viele Videos von Adam und mir vorfinden.
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Das Ende steht in den Sternen *PAUSIERT*
RomanceBIS AUF UNBESTIMMTE ZEIT PAUSIERT Leonie hat vor zehn Jahren wie durch ein Wunder überlebt. Nun ist die unbekannte Krankheit zurück und sie steht dem Tod einmal mehr gegenüber. - Mit neun Jahren hat Leonie den Kontakt zu ihrem Cousin in Australien...