Texas - Austin 2

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Kichernd stolpern wir nach geschlagenen Stunden wieder zurück in das Haus meiner Tante. "Wo zur Hölle wart ihr?", ein miesgelaunter Pierre kommt mit verschränkten Armen die Treppe herunter. "Hast du doch mitbekommen?", meine ich mit fragendem Unterton, doch der Franzose atmet nur hörbar aus. Mit einer Hand massiert er sich die Schläfe und scheint sich zu sammeln. "Schon, aber was glaubst du mache ich mir für Sorgen, wenn ich dich mehrere Male anrufe und du schreibst nicht einmal zurück?, man kann die Anspannung in seiner Stimme fühlen, allmählich wird mir bewusst, was er durchgemacht hat.

"Tut mir leid, ich hatte mein Handy nicht dabei", nuschle ich betreten, mein Blick ist starr auf den Fußboden gerichtet. "Zumindest seid ihr wieder da, George hätte mir den Kopf abgehackt", kopfschüttelnd kommt Pierre auf uns zu. Anna beobachtet die Situation stillschweigend. "Wollt ihr nicht auch mal was essen?", wechselt der Franzose das Thema, ein Lächeln ziert seine Lippen. Dieser Mann ist immer wieder eine Überraschung. "Klar, warum nicht", antwortet meine Schwester nun, ich hingegen verschwinde hinauf ins Zimmer. Manchmal möchte ich einfach Zeit für mich haben und das kann an den verrücktesten Zeitpunkten stattfinden.

Laut ausatmend lasse ich mich mit dem Rücken auf die Matratze fallen, diese gibt unter mir nach, für meinen Geschmack ein wenig zu sehr. Mit dem Wissen, dass mich sowieso keine Nachrichten erreicht haben, die wichtig sein könnten, werfe ich mein Handy auf den Nachttisch. Immer wieder stelle ich mir die Frage, was ich falsch mache. Ob es an mir liegt oder doch an jemand anderem? Je mehr ich mich mit dem Gedanken auseinandersetze, umso nervöser werde ich. Hat er jemand besseren gefunden? Bin ich ihm nicht gut genug? Hastig schnappe ich mir mein Handy, doch sobald es entsperrt ist, verschwindet die Euphorie und ich lege es vor mich auf die Matratze.

Schlussendlich kann ich nicht anders, mein Blick hängt an seinem WhatsApp Profilbild. Aus einem unerklärlichen Grund schenkt es mir Hoffnung, dass er einfach nur einen schlechten Tag hatte. Immer mehr Vorwürfe durchdringen meine positive Wand, immer stärker wird der Selbstzweifel, der mich zu zerfressen droht. Eingerollt versuche ich mich auf andere Gedanken zu bringen, was jedoch scheitert. Meine Sicht wird immer verschwommener, doch das Klopfen an der Tür reißt mich aus meiner Blase. "Willst du auch was?", höre ich die Stimme des Franzosen, nebenbei bekomme ich mit, wie er näherkommt.

"Nein danke", murmle ich mehr an mich selbst gerichtet. "Was ist denn los?", seufzend setzt er sich auf das Bett. "Manchmal zweifle ich einfach nur an allem", erkläre ich ihm leise, von seiner Seite wird laut die Luft ausgeatmet. "Du solltest ihm deine Gedanken schreiben. Oft ist ihm nicht bewusst, was er da von sich gibt. Unsere Köpfe sind ein wenig langsamer, wenn es darum geht, viele von uns sehen nur den Wagen und die Strecke", redet Pierre auf mich ein. Obwohl ich ihm nicht wirklich zugehört habe, nicke ich kaum merklich.

"Und auch wenn er oft seine Gefühle sowie Gedanken nicht zu teilen weiß, du bist ihm vermutlich wichtiger als seine gesamte Karriere, darauf kannst du wetten. Du musst aber lernen, ihn nicht wie ein Buch oder Gedicht zu analysieren, das ist unmöglich. Überdenk nicht immer alles bis ins kleinste Detail. George muss lernen, du jedoch genauso. Ihr beide müsst einfach mehr reden, was euch stört, was euch gefällt und am wichtigsten, das was ihr fühlt", setzt der Franzose seinen Monolog fort. Diesmal bin ich eigenartigerweise komplett anwesend, um die Informationen sofort verarbeiten zu können.

"Ihr seid viel zu nah am großen Glück, um jetzt alles wegen solchen Kleinigkeiten wegzuwerfen", redet er mir gut zu, nebenbei schüttelt er mich leicht, mit den Worten "Ein bisschen Besinnung schadet dir nicht". "Wenn es dir nichts ausmacht, gehe ich jetzt etwas essen", gerade will er aufstehen, da halte ich ihn am Handgelenk fest. "Danke, für alles", flüstere ich und versuche ihm ein aufrichtiges Lächeln zu schenken, welches er erwidert. Ohne ein Weiteres verlässt er beinahe geräuschlos den Raum. Sobald die Tür ins Schloss fällt, schnappe ich mir mein Handy und beginne eine Nachricht zu tippen.

"Hey George. Weißt du, manchmal machst du es mir nicht einfach mit deiner Art. Auf der einen Seite bist du der liebevollste Mensch, der mir jemals unter die Augen getreten ist, doch dann kommt wieder der typische Rennfahrer George zum Vorschein. Oftmals ist es eine Qual für mich zusehen zu müssen wie du nach einem missglücktem Rennwochenende am bodenzerstört bist und das ganze damit ausgleichst, indem du mich mehr oder minder ignorierst. Das hier ist kein Vorwurf, denn ich habe mich nicht in eine Seite von dir verliebt, sondern in dein Ganzes. Auch wenn es mir oftmals schwerfällt. Eigentlich wollte ich dir nur mitteilen, wie wichtig du mir bist und wie sehr ich mich darauf freue, dich wiederzusehen. Hab eine gute Reise".

Immer wieder lese ich über die Zeilen, die ich verfasst habe, bevor ich sie abschicke. So wie ich mich kenne, würde ich zu gerne die nächsten Stunden damit verbringen, vor dem Handy zu sitzen, bis er mir antwortet. Damit das nicht passiert, zwinge ich mich dazu, ohne dem Gerät hinunter in die Küche zu gehen. Aus dieser höre ich lautes Lachen, was mich vermuten lässt, dass Pierre sich mit Anna prächtig amüsiert. Für einen Augenblick halte ich inne, vielleicht sollte ich die beiden einfach lassen und mich ins Wohnzimmer vor die Glotze gammeln.

Schlussendlich entscheide ich mich dafür, ehe ich mich versehe, zappe ich durch das Abendprogramm, welches leider sehr mager ist. Immer wieder schalte ich zwischen den Programmen hin und her, finde aber nichts, was mich so wirklich interessiert. Aus purer Langeweile beginne ich die Süßigkeiten meiner Tante zu plündern. Die meisten von ihnen sind bereits hart und könnten einen Zahnarzt ersetzen. Vermutlich sind diese so alt wie ich, was mich nicht daran hindert, eines nach dem anderen zu verdrücken. Nach dem keine Ahnung wievieltem Ding habe ich endgültig Schmerzen von kauen, deshalb wird die nun doch sehr uninteressante Schüssel wieder zurückgestellt. Conni würde mich gerade zu gerne auslachen, so wie ich sie kenne, aber das ist mir gänzlich egal.

Sorgen ohne Grenzen |F1- FF| |George Russell|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt