Epilog

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Diejenigen, die dich dazu bringen können, an das Unwahrscheinliche zu glauben, sind auch in der Lage, dich zu Greueltaten zu überreden.

Voltaire

Schon seit Stunden drangen die gequälten Schreie aus dem Steinhaus abseits des kleinen Dorfes

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Schon seit Stunden drangen die gequälten Schreie aus dem Steinhaus abseits des kleinen Dorfes. Nur unterbrochen von kurzen Pausen, in denen das leise Weinen einer Frau zu hören war. Die Sonne neigte sich bereits dem Horizont zu, als es nach einem letzten Kreischen endlich still wurde.

In einem der Zimmer lag Alina auf ihrem Bett, dessen zuvor weiße Laken blutgetränkt waren. Sie atmete schwer, glänzender Schweiß überall auf ihrer Haut. Ihre Augen flatterten als hätte sie für eine kurze Zeit das Bewusstsein verloren. Dann riss sie sie auf, tastete mit zitternden Händen an ihrem Körper entlang bis zwischen ihre Beine. Ein schmerzhaftes Keuchen entwich ihrer Kehle, während sie sich eines der herumliegenden Leinentücher nahm und das Neugeborene darin einwickelte. Es war ein kleiner Junge, der die Augen geschlossen hatte. Frisches Blut klebte noch an seinem zerbrechlichen Körper, das Alina nun wegwischte.

»Nein«, keuchte sie entsetzt. »Nein, nein, nein!«

Verzweifelt drückte sie das kleine Kind an ihre Brust, kniff die Augen fest zusammen, aus denen funkelnde Tränen traten und ihre langen Wimpern hinunter tropften. Immer wieder klopfte sie dem Jungen auf den Rücken. Ein schmerzerfülltes Wimmern verließ ihren Mund. Dann ein erleichtertes Keuchen, als das Kind einen lauten Schrei ausstieß und anfing, zu weinen.

»Ich dachte schon... Ich dachte...« Alinas Stimme brach und sie presste ihren Sohn noch fester an ihre Brust, weinte leise, diesmal aber vor Freude. Sie begann, ihn vorsichtig in ihren Armen zu wiegen, betrachtete mit tränenverschleierten Augen sein Gesicht.

»Du siehst aus wie er«, flüsterte sie. Mit dem Finger fuhr sie über das schwarze Muttermal unter seinem linken Auge. »Du wirst mein kleiner Prinz sein. Später mein großer König.«

Ein leises Kichern stieg in ihrer Kehle auf. Sie lehnte sich mit dem Rücken gegen das Kopfteil des Bettes, verzerrte kurz das Gesicht vor Schmerz und starrte schließlich zur Decke. »Ich nenne dich Tai, mein Sohn. Eine große Zukunft erwartet dich. Du bist der Sohn einer Königin und ihres Garderitters. Du bist ein Adliger. Selbst wenn du im Staub der Welt aufwächst, du wirst wie ein Phönix aus der Asche aufsteigen und hoch zum Himmel fliegen. Alle werden dich anbeten. Stell dir nur die Macht vor, die auf dich wartet!«

Alina richtete ihre Augen auf Tai, der immer noch unaufhörlich schrie und weinte. Sie entblößte ihre Brust und gab ihm zu trinken, während sie weiter redete: »Kümmere dich nicht um diesen König Javet. Das Volk liebt ihn, aber es gibt niemanden, der keine Feinde hat. Du musst nur an den richtigen Fäden ziehen, dann tanzen sie für dich. Sie alle. Ich werde dir alles beibringen, mein Sohn. Alles, was ich weiß. Die Kunst, die Herzen anderer zu gewinnen, die Kunst, andere nach deinen Regeln spielen zu lassen. Vielleicht bin ich gescheitert, weil ich zugelassen habe, dass meine Gefühle statt meines Verstands mich lenken, aber du wirst diesen Fehler nicht machen. Das werde ich nicht zulassen. Es gibt keine Liebe auf dieser Welt.«

Ihr Blick wanderte hinüber zu dem halb zerrissenen Bild einer hellhäutigen Frau, das auf dem Tisch neben dem Bett lag. »Hörst du das auch, Mutter? Ich bin mir sicher, dass du es hörst. Deine Tochter ist erwachsen geworden und hat den Ernst des Lebens kennengelernt. Ich werde nicht so sein wie du. Ich werde besser sein. Meine Ziele werden besser sein als deine. Und ich werde mich auch nicht verkaufen wie eine Zuchtstute. Ich kenne andere Wege als diese.

Mein Sohn.« Alina strich Tai zärtlich über die Stirn. »Erst, wenn du auf dem Thron des Ostlands sitzt, werde ich meine Ruhe haben. Du musst es schaffen. Du musst! Du liebst doch deine Mutter, oder? Deine Mutter, die dich mit Blut und Schweiß zur Welt gebracht hat? Natürlich tust du das. Du bist ein Teil von mir. Du gehörst mir.«

Auf einmal griff sie sich an den Kopf, stöhnte vor Schmerzen und kniff die Augen zusammen. »Deine Mutter braucht jetzt Ruhe, Tai. Ich werde eine Weile schlafen.« Sie ergriff mit zitternden Händen eines der Gläser mit Wasser, die nebeneinander auf dem Nachttisch standen – einige bereits leer – und trank es aus. Dann legte sie sich hin, das Neugeborene auf ihrer Brust, und schloss die Augen. 


Pazifik - VerbanntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt