17. Kapitel

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Schicksalsschläge lassen sich ertragen, sie kommen von außen, sind zufällig. Aber durch eigene Schuld leiden, darin liegt der Schmerz des Lebens.

Oscar Wilde

Der Fluss war schmal, fast schon ein Bach, und trotzdem unglaublich tief

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Der Fluss war schmal, fast schon ein Bach, und trotzdem unglaublich tief. Die schlanke Frau mit konnte keine zwei Schritte gehen, bevor sie den Boden unter den Füßen verlor und mit den Armen ruderte, um das Gleichgewicht zu halten. Dennoch kippte sie nach hinten um und fluchte leise, während sie sich wieder aufrappelte. Wieder auf dem Trockenen zog sie ihr nasses Hemd aus und legte es neben etwas, das aussah wie aus Drähten gewebter Stoff, in die Sonne.

Auf einmal schnaubte eines der Pferde, die in ihrer Nähe aus einer Wasserschale tranken. Sein schwarzes Fell glänzte vor Schweiß, doch das auffälligste war sein Kopf, der fast zur Hälfte gespalten war. Zwei Paar Nüstern blähten sich erneut auf, blieben dieses Mal jedoch stumm. Dafür scharrte ein anderes Tier nervös mit den Hufen.

»Wer ist da?« Die Stimme der Frau war scharf. Sie nahm ein langes, gebogenes Messer in die Hand, das sie zuvor auf einen Felsen gelegt hatte. Die Narben auf ihrer linken Wange ließen sie furchteinflößend aussehen.

Kurz darauf ertönte Hufgetrappel und zwei Reiter tauchten hinter einer hohen Felsformation auf. Als die Frau sie sah, entspannte sie sich und legte das Messer wieder weg. Nun lag ein fröhliches Lächeln auf ihren Lippen. Sie breitete die Arme aus und winkte.

»Sera! Domador!«

Die Reiter hatten sie schon lange gesehen und hielten auf sie zu. In sicherer Entfernung stiegen sie ab und gingen den Rest des Weges, wobei sie die zwei Pferde, mit denen sie gekommen waren, hinter sich her führten. Der Mann wirkte schlecht gelaunt und hatte ein verbittertes Gesicht, während die Frau sich zu freuen schien. Sie ließ die Zügel ihrer weißen Stute bald los und rannte auf die Wartende zu, um sie zu umarmen.

»Ich dachte schon, wir würden dich nicht finden!«, rief sie.

»Und ich dachte, ich wäre nicht präzise genug gewesen«, lachte die Frau mit den Narben. »Dabei hättet ihr eigentlich nur dem nächstbesten Fluss folgen müssen.«

»Er sieht ganz anders aus als ich mir einen vorgestellt habe.« Sie blickte hinüber zu der dunklen, fast bewegungslosen Fläche. »Ich dachte, Flüsse hätten eine heftige Strömung, die man nur mit großen Schiffen bezwingen kann.«

Die andere Frau zuckte mit den Schultern. »Vielleicht stimmen die Aufzeichnungen der Alten doch nicht. Jedenfalls hat dieser Fluss gar keine Strömung. Ich habe gedacht, man könnte ihn einfach so überqueren, aber anscheinend doch nicht. Er ist viel zu tief. Da kommen unsere Höllenrösser nicht durch.«

»Bist du deswegen so nass?«

»Schluss mit dem Unsinn«, grollte der Mann. »Wenn die Höllenrösser nicht rüber kommen, Estrella, wie geht es dann weiter? Wir müssen auf die andere Seite des Pazifiks!«

Die Angesprochene zögerte kurz. »Es kann sein, dass der Fluss irgendwo weiter nördlich endet«, meinte sie schließlich. »Jedenfalls wird er dort schmaler.«

»Dann pack deine Sachen, damit wir aufbrechen können«, befahl er. »Und zieh dir was an.«

»Ihre Sachen sind nass, Domador«, wandte die andere Frau, Sera, ein. »Du weißt, dass das nicht gesund ist. Lass uns doch noch etwas warten.«

»Wir haben schon zu lange gewartet.« Der Mann starrte die zwei Frauen eine Weile an, bis er doch noch nachgab und nickte. »Ich werde die Pferde zurückschicken.« Damit wandte er sich um und ging zu den Tieren, mit denen er und Sera gekommen waren. Dort fing er an, sie abzusatteln und die Reisebeutel abzunehmen.

»Irgendwas Neues?«, fragte Estrella, als Domador außer Hörweite war. Sie folgte Sera, die zu einem der Höllenrösser ging und ihm über den gespaltenen Nasenrücken strich. Der Hengst schnaubte leise zur Begrüßung.

»Er hat gesagt, dass ich Amante nie ersetzen werde.« Ihre Stimme klang nicht mehr so fröhlich wie zuvor. »Ich kann ihn ja verstehen, aber als Hierros Sohn hat er auch gewisse Pflichten.«

»Vielleicht wird er sie nicht mehr haben, wenn wir Hölle erst verlassen und im Pazifik ein Zuhause haben.« Estrella legte ihr tröstend die Hand auf die Schulter. Sera schwieg und der Ausdruck des Mitleids auf dem Gesicht der anderen Frau wurde auf einmal zu Erkenntnis. »Es geht gar nicht um die Bevölkerungserhaltung. Du liebst ihn wirklich!«

Sera schloss die Augen. »Und er versteht es nicht. Er beschuldigt mich, Amantes Platz ersetzen zu wollen. Dabei kann ich nichts dafür, dass sein Vater mich nach Amantes Tod ausgewählt hat.«

»Es... tut mir so unglaublich leid«, flüsterte Estrella.

Plötzlich standen Tränen in Seras Augen und ihre Lippen zitterten. »Ich war so unglaublich feige.«

Estrella nahm die weinende Frau in die Arme und strich ihr behutsam über den Rücken. »Diese Zeit ist vorbei. Du warst damals nicht feige, du warst vernünftig.«

»Amante...«

»Amante hat selber entschieden, den Kampf mit der Patrouille von Vernichtung aufzunehmen. Dass sie gestorben ist, ist nicht deine Schuld. Es ist auch nicht deine Schuld, dass Domador sie über alles geliebt hat. Es ist ungerecht, wenn er dich dafür verurteilt.«

»Er denkt, ich hätte sie beschützen sollen. Ich hätte an ihrer Stelle sterben sollen.«

»Es ist richtig, dass du dich nicht für sie geopfert hast«, wandte Estrella ein. »Amante hätte den Kampf weitergeführt und wäre dann dennoch gestorben. Dein Opfer wäre vergebens gewesen. Du jedoch hast den Rest deiner Patrouille sicher nach Hölle zurück geführt.«

Langsam nickte Sera und löste sich aus der Umarmung, wischte sich die Tränen weg. »Ich weiß nicht, was ich ohne dich tun würde.«

»Schwestern halten zusammen.« Estrella zwinkerte ihr zu. »Ich bin immer für dich da. Domador braucht nur etwas Zeit. Das ist alles. Vielleicht wird er Amante nie vergessen, aber irgendwann wird er klar sehen und wissen, dass du ihm nichts Schlechtes möchtest.« Sie seufzte und sah an ihrer Schwester vorbei. »Er kommt zurück.«

Tatsächlich hatte Domador die zwei Pferde vollständig von ihrer Last befreit und ihnen jeweils einen Schlag auf das Hinterteil gegeben, damit sie davon liefen. Wortlos ging er zum Ufer und betrachtete das stille, schwarze Wasser des Flusses. Schließlich wandte er sich zu Estrella um.

»Hast du den Höllenrössern hieraus zu trinken gegeben?«

Sie nickte. »Ich habe es aber mit dem Trinkpulver vermischt. Ich war mir nicht sicher, ob es gutes Wasser ist.«

»Gut«, entgegnete Domador. »Ich denke nämlich, dass es giftig ist. Die Alten haben in ihren Schriften geschrieben, dass in Gewässern Fische leben. Aber ich sehe hier kein einziges Tier drin.« Sein Blick wanderte zu dem Hemd, das immer noch trocknete. »Wir brechen noch vor Sonnenuntergang auf.«

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Jei, noch ein neues Kapitel :)

Pazifik - VerbanntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt