Man sagt, jeder müsse sich selbst für einen gerechten Mann ausgeben, gleichviel, ob er es wirklich ist oder nicht, und wer sich nicht für gerecht erkläre, der sei nicht bei Sinnen.
Platon
Es dauerte nicht lange, bis Javet, Annie und die drei überlebenden Freiheitskämpfer aus der Zelle im Kerker des Stadthalter-Hauses geholt und nach oben gebracht wurden. Dort wurden sie auf die Knie gezwungen, die Messer oder Äxte der Wachmänner an ihren Kehlen. Javet nahm Annie bei der Hand, um ihr ein Gefühl von Sicherheit zu geben, aber sie zitterte trotzdem.
»Ich gebe euch jetzt die Gelegenheit, irgendwas zu eurer Verteidigung zu sagen«, ertönte die Stimme des Stadthalters, der vor ihnen auf einem speziell für ihn bereitgestellten Stuhl saß. Neben ihm standen zwei weitere Wachmänner, die die Gefangenen nicht aus den Augen ließen.
»Warum?«, zischte Leonardo unter Schmerzen. Die Wunde an seiner Seite hatte wieder angefangen, zu bluten. Oder hatte die Blutung gar nicht aufgehört? »Du wirst uns sowieso der Königin ausliefern, die uns öffentlich hinrichten wird.«
»Ich beweise dir meine Güte, Leonardo«, entgegnete der Skyldig kalt. »Nicht jeder wird sich anhören, was solche Verbrecher wie ihr zu sagen habt. Ich bin wirklich neugierig: Wie hast du die zwei Kinder dazu gebracht, sich euch anzuschließen? Oder sind sie kleine Bastarde, die schonmal jemanden getötet haben? Jugendliche Mörder?«
»Lass die Kinder da raus, Skyldig!«, rief diesmal Peter. »Sie wussten von nichts. Sie dachten, wir würden deine Schatzkammer plündern.«
»Du möchtest, dass ich sie frei lasse?«, fragte der Stadthalter. »Für wie blöd hältst du mich? Sie wurden zusammen mit euch erwischt. Wenn ich nur euch der Königin ausliefere und ihr ihr sagt, dass ich eure Verbündeten einfach fliehen gelassen habe, was wird sie dann mit mir tun, he? Der Befehl lautet, und ich zitiere: ›Alle Freiheitskämpfer und ihre Verbündeten sollen, unabhängig von gesellschaftlichem Status, Alter oder Geschlecht, sofort lebend Königin Sunna des Nordlandes ausgeliefert werden, damit diese die Mörder öffentlich hinrichten kann‹. So wie ich das sehe, muss ich euch alle nach Borg liefern. Es ist schon schlimm genug, dass mir zwei von euch weggestorben sind. Warum habt ihr euch überhaupt gewehrt? Es ist doch offensichtlich gewesen, dass ihr unterlegen wart!«
»Du bist ein Hurensohn, Skyldig!«, knurrte Leonardo und machte Anstalten, aufzustehen, wurde jedoch von einem Wachmann wieder runter gestoßen.
»Ich weiß«, grinste der Stadthalter. »Aber einer mit viel Macht und Geld. Die Kutsche fährt morgen ab. Ich hoffe, deine Wunde hält die Reise aus, Leonardo. Es wäre unglaublich schade, wenn du vor deiner öffentlichen Hinrichtung sterben würdest.«
Als Antwort spuckte der Mann Skyldig vor die Füße und wurde sogleich in die Seite getreten. Leonardo krümmte sich vor Schmerzen und keuchte, schrie aber nicht auf. Stattdessen hob er den Kopf, das Gesicht hassverzerrt, und blickte dem Stadthalter direkt in die Augen. Javet glaubte, die Spannung, die in der Luft hing, auf seiner Haut kribbeln zu spüren. Leonardo hat ihm die Zeit in den Sklavengruben nicht verziehen. Wahrscheinlich gibt er ihm auch die Schuld dafür, dass damals bei der Flucht vier seiner Freunde getötet worden sind.
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Pazifik - Verbannt
FantasiaAchtung! Dies ist der zweite Band der Pazifik-Trilogie! Ihr solltet vorher »Pazifik - Verfolgt« gelesen haben. Nur mit viel Glück und der Hilfe der Magierin Marielle ist Javet vor siebzehn Jahren mit dem Leben davongekommen, als König Miro seinen ei...