In den Religionskriegen trug das Lamm Gottes die blutige Kriegsfackel und ward zum Sturmwidder, der unsere Schlösser und Städte brach.
Wolfgang Menzel
Der Mann trug nicht die Rüstung der Garderitter, sondern eine Lederrüstung, aber jeder wusste, dass er ohnehin viel mehr war als irgendein beliebiger Krieger. Seine Nase war spitz und sein Kinn kantig. Leicht gekräuselte, schwarze Haare waren an seinem Hinterkopf zu einem strengen Dutt geknotet. Er bewegte sich durch Burg Fedha wie ein Schatten. Ungesehen und von allen nicht beachtet. Die hellhäutigen Dienstmädchen warfen ihm erst beunruhigte Blicke hinterher, als er bereits an ihnen vorbei war. Im zweiten Stock blieb er vor einer Tür stehen und klopfte kurz an.
»Wer ist da?«, ertönte die Stimme eines Mannes.
Ohne zu antworten drückte der Mann die Klinke hinunter und betrat das Zimmer, an dessen anderem Ende zwei weitere Männer vor einem Tisch standen. Der kleinere von ihnen verzog seine Lippen zu einem unangenehmen Lächeln, wobei die Narbe, die seine gesamte linke Gesichtshälfte entstellte, ihn noch unheimlicher aussehen ließ.
»Aljasus«, begrüßte er den Neuankömmling. »Was gibt es?«
Der Mann kam näher und reichte ihm ein kleines Stück Pergament, das er zuvor in der Hand gehalten hatte. Eine helle Narbe blitzte auf seinem rechten Handrücken auf. »Von Eurer Mutter, mein König. Gott ist groß.«
»Gott ist groß«, erwiderte König Sharaf, nahm das Pergament entgegen und las, was darin stand. Sein Gesicht verfinsterte sich. »So etwas habe ich bereits vermutet.« Er ließ das Schriftstück sinken und wandte sich an Aljasus. »Lass sie nicht aus den Augen. Wenn sie ihn das nächste Mal sieht, sag einem meiner Leute Bescheid.«
»Ja, mein König. Es gibt auch noch eine weitere Nachricht, die ich Euch überbringen soll.«
»Und die wäre?«
Aljasus warf einen kurzen Blick zu dem hochgewachsenen Mann, der hinter dem König stand. Dieser hatte bisher geschwiegen, riss jetzt jedoch die Augen auf und öffnete den Mund, um etwas zu sagen, kam jedoch nicht dazu. Der andere kam ihm zuvor.
»Euer königlicher Verwalter hat sich, wie Ihr befohlen habt, um einen Mann gekümmert, der sich mit der Waffe auskennt, mit der König Miro getötet wurde. Diese Waffe nennt sich Schlossole. Woher er sie kennt, wollte er uns allerdings nicht verraten.«
»Ist er hier?«
Aljasus nickte.
»Warum hast du mir nicht davon berichtet?«, fuhr König Sharaf den hochgewachsenen Mann hinter ihm an, der sich mehrmals verbeugte. Angst stand in seinen Augen geschrieben, aber der König hatte sich bereits von ihm abgewandt. »Führe mich zu ihm.«
»Wie Ihr wünscht.« Aljasus warf dem verängstigten Mann einen letzten Blick zu und verließ dann das Zimmer. König Sharaf folgte ihm. Sie stiegen die Treppe in den ersten Stock hinunter, wobei sie beinahe mit einem leicht fülligen Mädchen zusammenstießen, das ihnen entgegen gerannt kam. Es stolperte fast, konnte sich aber im letzten Moment noch an den Stufen vor ihr abstützen. Ihre Wangen waren aufgebläht und sie schien auf etwas herumzukauen. Der Geruch von Zitronenkuchen hing in der Luft.
»Pass auf, wo du hinrennst«, blaffte König Sharaf, woraufhin das Mädchen sich hastig an ihm vorbei drängte und weiterlief.
Im ersten Stock angekommen bog Aljasus in einen Flur ab, der scheinbar ins Nichts führte. Doch allmählich schälte sich am Ende eine verbogene und rostige Tür aus dem Gemäuer.
»Was ist das für ein Zimmer?«, fragte König Sharaf.
»Früher war dies wohl so etwas wie ein Kerker«, erklärte Aljasus. »Nur hat König Witan zu seiner Zeit versprochen, dass er niemanden mehr in seiner Burg einsperren würde. Es wäre zu gefährlich und daher sollten alle Verbrecher im Gefängnis von Ngome gefangen gehalten werden. Und König Miro nahm keine Gefangenen.«
Es knirschte unangenehm, als die Tür, die offensichtlich seit Jahren nicht mehr bewegt worden war, geöffnet wurde. In dem Raum dahinter brannten bereits mehrere Fackeln. Im flackernden Schein war eine gebeugte Gestalt auszumachen, die gerade etwas untersuchte, was vor ihr auf dem Tisch lag. Bei dem lauten Knirschen und Quietschen drehte sie sich langsam um. Es war ein alter, buckliger Mann, dessen Nasenspitze aus irgendeinem Grund wie abgeschnitten wirkte. Die Haare waren ihm fast alle ausgefallen. Die Augenbrauen waren nur noch ein paar einzelne, weiß Haare.
»Mein König«, krächzte er. »Es ist mir eine Ehre, für Euch arbeiten zu dürfen.«
»Sein Name ist Sparo«, flüsterte Aljasus dem König zu.
»Bist du ein Ehrloser, Sparo?«, fragte König Sharaf. »Oder glaubst du an Gott?«
»Ich bin alles und glaube an alles, was ihr wollt«, sagte Sparo und verbeugte sich, wobei er die dürren Arme weit ausbreitete.
»Ich habe gehört, Ihr kennt Euch mit Schlossolen aus.«
Der alte Mann nickte. Das Knacken seiner Knochen war zu hören, als er sich über den Tisch beugte, wo ein unförmiger Gegenstand aus Metall lag. Seine Finger wanderten fast zärtlich über das hohle Rohr an der einen Seite und die Schlaufe, die darunter lag. »Es sind wundervolle Gebilde. Eine Technik der Alten. Lange verloren, aber nicht vergessen.«
»Wie kommt es, dass du von ihnen weißt?«
Sparo zog seine Finger zurück und zeigte ein Lächeln voller gelber und verfaulter Zähne. »Ich war einst beim Großen Wasserreservoir, mein König. Die Menschen dort wissen von diesen Waffen, geben das Wissen jedoch nicht weiter. Es ist zu gefährlich.« Sein Blick wurde trüb und schien sich in eine weite Ferne zu richten. »Es wurden schon Kriege mit ihnen gefochten, oh ja. Schreckliche Kriege mit noch schrecklicheren Schlossolen als dieser hier. Menschen fielen wie der Sand, der nach einem Sturm herabfällt. Mit blutigen Löchern überall am Körper. Schreiend und um ihre Mutter rufend, wimmernd, kreischend. Es muss wundervoll gewesen sein. Das alles«, er sah zu der Schlossole vor sich, »hat mit diesem kleinen Ding angefangen.«
»Du weißt also, wie sie funktioniert?«, hakte König Sharaf nach.
»Oh ja, das weiß ich. Mit Feuer und Schwefel, mit Ruß und Metall.«
»Wirst du sie wieder zum Funktionieren bringen können?«
Der alte Mann leckte sich über die dünnen Lippen. »Ich werde einige Sachen dafür brauchen. Sie sind nicht leicht zu bekommen...«
»Ich werde dir alles zur Verfügung stellen, was du brauchst«, sagte der König. »Du wirst auch noch weitere solcher Schlossolen für mich herstellen.«
»Weitere?« Sparo knetete seine dürren und faltigen Hände. »Das wird sich als schwierig erweisen, mein König. Ich habe so etwas noch nie gemacht. Ich werde Zeit brauchen...«
»Dann arbeite halt schneller«, fuhr König Sharaf ihn an. »Du wirst alles erhalten, was du für deine Arbeit brauchst. Wenn du sie zu meiner Zufriedenheit verrichtest, wartet ein Leben im Überfluss auf dich.«
Sparos Augen begannen zu leuchten und er verbeugte sich erneut. »Sehr wohl, mein König.«
Nachdem König Sharaf das Zimmer verlassen hatte, wandte er sich an Aljasus. »Geh zu Mudir und führe ihn zu diesem Alten. Er soll sich anhören, was er braucht, und ihm alles besorgen. Gott ist groß, Aljasus. Er steht auf unserer Seite. Bald werden alle Ehrlosen sich ihm beugen, ob sie wollen oder nicht.«
»Gott ist groß«, erwiderte Aljasus und tauchte ein in die Schatten.
Der Alte hat einen entscheidenden Fehler gemacht, dachte der König, während er wieder hinauf in den zweiten Stock stieg. Er hat gesagt, dass die Menschen aus dem Großen Wasserreservoir mehr über die Technik der Alten wissen. Wenn alle Ehrlosen besiegt sind, werden wir sie dazu zwingen, ihre Geheimnisse zu verraten.
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Aljasus kam in der ersten Version viel zu wenig vor. Ich finde ihn cool. Und beängstigend. Deswegen dieses Kapitel für seinen ersten offiziellen Auftritt. Wer aufmerksam gelesen hat, weiß, was er vor einigen Jahren getan hat (oder wird es noch erfahren) ;)
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Pazifik - Verbannt
FantasyAchtung! Dies ist der zweite Band der Pazifik-Trilogie! Ihr solltet vorher »Pazifik - Verfolgt« gelesen haben. Nur mit viel Glück und der Hilfe der Magierin Marielle ist Javet vor siebzehn Jahren mit dem Leben davongekommen, als König Miro seinen ei...