10. Kapitel

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Ein vorwitziger Sonnenstrahl fiel durch einen Gardinenschlitz direkt auf mein Gesicht. So wachte ich stöhnend am nächsten Morgen auf. Noch etwas grummelig, wollte ich auf meinen Wecker schauen – der nicht da war. Genauso wie mein Nachttisch. Dann war ich schlagartig hellwach und saß aufrecht im Bett. Ich war nicht zu Hause. Ich war in einem unbekannten Haus mit einem fremden Mädchen in einem Zimmer.

„Guten Morgen" kam es in diesem Moment auch von der Seite. Ich schaute zu Iris. Sie saß bereits fertig angezogen auf dem Bett und hatte ein Buch in der Hand. „Hast du gut geschlafen?" fragte sie und sah mich besorgt an.

In dem Moment prasselten die Erinnerungen auf mich ein. Das heiße Bad, die Fahrt hierher, ich halbnackt gefesselt auf dem Bett. Aber was war davor? Ich hatte doch nur einen Sekt getrunken und eigentlich dachte ich nicht, dass es so viel war. Woher kam dann der Filmriss. Ich erschauderte und mir lief es kalt den Rücken herunter. Es muss etwas in meinen Getränk gewesen sein, das war die einzige Erklärung.

„Wie spät ist es?" fragte ich statt zu antworten. Iris schaute auf die Uhr „Fast 10 Uhr – aber keine Angst, am Sonntag kann man auch nachmittags um 3 noch frühstücken, wenn man Lust hat" grinste sie.

„Kennen wir uns?" fragte ich misstrauisch. In dem Moment erstarrte ihre Miene. „Kannst du dich an gestern nicht mehr erinnern? Ich bin Iris und..." hastig unterbrach ich sie „Nein, nein – an das erinnere ich mich noch. Ich meine, sind wir uns davor schon einmal begegnet? Und warum hilfst du mir?"

„Ach so. Also ja, wir sind uns schon mal begegnet, im Einkaufszentrum. Du bist quasi in meinen Bruder vor ein paar Wochen hineingelaufen." Da ging mir ein Licht auf. An den Zusammenstoß kann ich mich noch gut erinnern. Ich errötete leicht – mehr als einmal hatte ich mich in den letzten Wochen Tagträumen mit den Mann mit diesen unvergleichlichen Augen hingegeben. Die hübsche junge Frau am Arm war Iris. Moment, Bruder? Aus irgendeinem Grund war ich erleichtert und lächelte trotz der angespannten Lage, in der ich mich befand.

„Ich sehe, du kannst dich erinnern. Warum gehen wir nicht frühstücken, dann können wir dabei reden?" Dagegen hatte ich nichts einzuwenden. Ich hatte viele Fragen, aber auch seit gestern Mittag nichts mehr gegessen. Mein Magen meldete sich entsprechend auch recht deutlich, dass er gerne gefüllt werden möchte.

In der Küche waren etliche Leute – keinen von denen kannte ich. Zögernd blieb ich am Eingang stehen. Iris hatte da nicht so viele Hemmungen „alle mal herhören, das ist Maja. Sie wohnt ab heute hier, wir teilen uns ein Zimmer. Seid nett zu ihr, sonst bekommt ihr es mit mir zu tun" verschaffte sie sich Gehör.

Und mit einen Schlag waren alle Augen auf uns gerichtet. „Gu-guten Morgen" stammelte ich überrumpelt. Wo war nur das Loch im Boden, in dem man schnell verschwinden kann? Unsichtbar sein war mir eindeutig lieber als die aktuelle Aufmerksamkeit. Ich sah in neugierige Gesichter, die mich musterten. Eher abschätzend, aber nicht unfreundlich. So als versuchten sie mich als Freund oder Feind zu kategorisieren. Unsicher schweifte mein Blick von einem zum anderen. Scheinbar waren sie zufrieden mit mir. Es kamen gemurmelte Grüße, dann wanden sich zum Glück alle wieder dem Essen zu oder was sie vorher gemacht hatten. Ich seufzte erleichtert auf.

„Ich stelle dir jetzt nicht alle vor, die Namen kannst du dir sowieso nicht merken. Das kommt dann nach und nach. Wichtig ist, dass sie dich kennen und nicht denken, dass du dich hierher verlaufen hast." Ich atmete auf. Für einen Morgen hatte ich mehr als genug Aufmerksamkeit bekommen.

Wir gingen zum Herd, wo Rührei, Pfannkuchen und Speck in verschiedenen Schüsseln zur Selbstbedingung stand. Fast wie bei uns an Sonntagen – nur mehr Auswahl und sehr viel mehr Essen. Scheinbar waren die Bewohner hier entweder sehr hungrig oder es gab noch einige mehr als aktuell hier waren. Ich lud mir eine ordentliche Portion auf. Mit dem Geruch des Essens wurde mir erst bewusst, wie viel Hunger ich hatte. Iris und ich setzten uns an einen freien Tisch. Die meisten anderen saßen in Gruppen von 4 - 6 Leuten, aber ich war über die aktuelle Konstellation sehr glücklich. So hatte ich Zeit, um mir über ein paar Sachen Gedanken zu machen ohne die Fragen von Neugierigen zu beantworten. Iris schien zu spüren, dass mir aktuell nicht nach Reden zumute war und wir verfielen in gefräßiges Schweigen.

Von Wölfen beschütztWo Geschichten leben. Entdecke jetzt