„Uff" kam von mir. Ich war so überrumpelt, dass mir eine der Tüten aus der Hand fiel. Fast wäre ich hingefallen, doch eine Hand griff mich noch rechtzeitig an meinen Oberarm.
„Entschuldigen Sie bit..." bekam ich gerade noch raus, bevor ich aufschaute. Ab dem Zeitpunkt hatte ich meine Sprache verloren. Ich schaute in die schönsten Augen, die ich jemals gesehen habe. Ein braun, das mich an Schokolade erinnerte. Kastanienbraunes Haar, eine markante Nase. Selbst wenn ich gewollt hätte, konnte ich mich keinen Millimeter bewegen. Ich wünschte, dass die Zeit stehen bleiben könnte und scheinbar dachte mein Körper, dass Erstarren eine gute Taktik ist, um das zu erreichen.
„Na das ist jetzt mal eine Überraschung" sagte der junge Mann. Dabei sah er mir tief in die Augen.
Nach ein paar Sekunden erinnerte sich meine Lunge wieder daran, dass frische Luft ab und zu mal nötig ist und meine Atmung setzte wieder ein. Dafür waren Puls- und Herzfrequenz deutlich schneller als vorher, als wollten sie die verlorenen Schläge aufholen. Ich spürte, wie das Blut durch meine Adern pulsierte und in meinen Ohren rauschte.
Der um zwei Köpfe größere Mann sah zu mir runter „mit so einer stürmischen Begegnung habe ich heute nicht gerechnet" sagte er mit leicht rauer Stimme. Dazu beugte er sich etwas vor und schnupperte. Was sollte das? Wie ein Kaninchen vor der Schlange, konnte ich die Augen nicht abwenden. Ich war wie versteinert und nicht in der Lage, in meinen Gehirn einen sinnvollen Gedanken zu fassen. Immer noch musterte er mich und ich merkte, wie sich mein Atem immer mehr beschleunigte. Ein Gefühl der freudigen Erregung breitete sich in meiner Magengegend aus. Der Mann stand da wie zu Beginn schien etwas zu riechen – zumindest atmete er immer wieder tief durch die Nase ein.
„Maja, du Tollpatsch. Wenn etwas kaputt ist, dann wirst du das bereuen" hörte ich Theas Stimme. Ich zuckte zusammen, befreite meinen Oberarm aus der Umklammerung des Mannes und hob hastig die Tüte auf. Es war die vom Dessous-Laden und mit einem Blick vergewisserte ich mich, dass keine größere Schäden an den Teilen sichtbar waren. „Jetzt komm schon, trödel nicht!" rief Tine und riss mich quasi von dem Mann weg, der die Hand nach mir ausstreckte als wollte er erneut nach mir greifen. Auch von nicht ganz so nah war er eine echte Augenweide – breite Schultern und einen sportlichen Körper konnte ich unter legeren Jeans und schwarzem T-Shirt erkennen. Allerdings war er etwas jünger, als ich erst gedacht habe – ich schätzte ihn auf Anfang 20. Noch einmal verlor ich mich in seinen Augen und meinte ein unausgesprochenes Versprechen darin zu sehen.
Dann war der Moment vorbei und ich wurde von Tine weggezerrt. „Das war jetzt mehr als unnötig" meinte sie nur. Erst jetzt sah ich, dass an seinen Arm eine etwas jüngere Frau war, in etwa in meinem Alter, und mich neugierig musterte. Ich zwang mich, nicht noch einmal zurück zu schauen.
„Eigentlich wollten wir dich noch zu einem Eis einladen, aber das habe ich mir jetzt anders überlegt" meinte Thea anklagend. Ich seufzte – das war sonst der einzige Lichtblick, wenn ich mit ihnen einkaufen ging und nicht mehr als sehnsüchtige Blicke auf die für mich unerschwinglichen Kleider werfen kann. Nach der ganzen Schlepperei, spendierten sie mir wenigstens einen Eisbecher. Aber das wäre auch zu viel des Guten gewesen nach den schönen Dessous, die sie mir schon gekauft hatten, dachte ich wehmütig.
Tine und Thea bestellten sich beide große Schoko-Eisbecher mit extra Karamellsoße. Das ist mein Lieblingsbecher und ich bin mir sicher, dass beide das aus purer Boshaftigkeit bestellt haben. Ich bilde mir gerne ein, dass meine Haare in etwa den Ton von Karamell haben. Wobei meine Haut weit weg von einem Schokoladen-Ton war. Ich gehörte zu dem blassen Typ, der eher krebsrot als etwas braun wird.
Da ich nicht ganz ohne etwas am Tisch sitzen wollte, bestellte ich mir eine Kugel Schokolade – der eine Euro war noch im Budget.
Tine und Thea redeten über den Abschlussball und wer vielleicht mit Begleitung kam und wie sie aussehen. Für Thea war das ganz einfach: sie hatte ihren Freund Christian – immerhin schon seit 3 Monaten, von daher nehme ich an, dass es auch noch bis zum Abschlussball hält.
Tine hatte keinen festen Freund, aber auch sie würde mit Sicherheit keine Probleme haben, einen geeigneten Kandidaten für den Anlass zu finden. Beide strömten eine gewisse Dekadenz aus und mit ihren immer edlen Klamotten und passenden Schmuck, waren sie bei den Herren der Schöpfung überaus beliebt.
Ich musste mir über Typen keine Gedanken machen – als Niemand bis Lieblings-Punchball wollte keiner etwas mit mir zu tun haben. Geschweige denn, öffentlich als Paar oder ähnliches zu erkennen sein.
Das machte mir nicht so viel aus – mit den meisten wollte ich sowieso nichts zu tun haben. Am liebsten war es mir, wenn ich ignoriert wurde. Das war besser, als das ärgern, necken oder ab und zu mal erpressen, was einige machten. Glücklicherweise hatte sich mittlerweile herumgesprochen, dass es bei mir nicht so viel zu holen gab. Das sah man schon an meinen Kleidern, die vor einigen Jahren mal modern waren. Zum Teil bekam ich die abgelegten Klamotten von Thea.
Ohne es zu wollen, wanderten meine Gedanken wieder zu den unbekannten Mann, in den ich versehentlich hineingelaufen war. Immer noch spürte ich ein Prickeln am Oberarm, wo er mich aufgefangen und gehalten hat. Was er wohl für einer war? Wäre er mutig genug, mit den Underdog und auf einen Abschlussball zu gehen? Ich wünschte, es wäre so.
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Von Wölfen beschützt
RomanceMaja hatte in den letzten Jahren nicht viel zu lachen. An ihren 18. Geburtstag überschlugen sich dann die Ereignisse und sie beschloss nicht mehr nach Hause zurück zu kehren. Stattdessen lebte sie in einen Haus mit anderen Jugendlichen. Doch irgende...