Wir fuhren eine Weile mit dem Auto – bestimmt 20 Minuten. Zunächst noch etwas durch die Stadt, dann Überland und in den Wald hinein. Es wurde immer dunkler – ob durch den dichten Baumbestand oder weil die Sonne mittlerweile endgültig untergegangen war, konnte ich nicht sagen. Wahrscheinlich war beides der Fall.
Dann bogen wir in einen schmalen Weg ab. Immer tiefer ging es in den Wald hinein, weg von jeder Zivilisation. Die Straße wurde holpriger und wir wurden ordentlich hin und her geschüttelt. Das mulmige Gefühl in meinen Magen nahm immer mehr zu. Hoffentlich musste ich nicht kotzen. Obwohl, vielleicht wäre das eine Möglichkeit. Dann müssten sie mich raus lassen und im Wald gab es bestimmt den ein oder anderen Ort zum Verstecken. Ich war als Kind immer gern auf Bäume geklettert, so etwas verlernt man doch nicht einfach.
Noch ehe ich meine Gedanken zu Ende spinnen konnte, hielt das Auto an. Die Tür wurde geöffnet und ich unsanft aus dem Wagen bugsiert. Wir standen vor einer kleinen Hütte, mitten im Wald. Wenn ich raten müsste, würde ich es als eine Jagdhütte bezeichnen. Sie war komplett aus Holz. „Wir sind da" machte mich Jan unnötigerweise darauf aufmerksam. Er zog einen Schlüssel aus der Tasche und öffnete die Tür. Als er meinen fragenden Blick begegnete, grinste er nur.
Ich wurde in ein Zimmer mit einem Bett geleitet. Jetzt verfluchte ich mich selbst dafür, dass ich mich im Park ncht mehr gewehrt habe. Vielleicht hätte ich genug Zeit schinden können, bis jemand vorbei kam. Hier konnte mich niemand hören, ich war den drei Jungen vollkommen ausgeliefert. Die Angst fraß sich mehr und mehr in meine Adern. Was hatten sie nur mit mir vor? Wobei, das konnte ich mir schon ganz gut vorstellen. Nur das Ausmaß nicht – wie weit würden sie gehen?
Ich versuchte meinen Mut zu sammeln und mit mehr Zuversicht, als ich hatte Jan in die Augen zu sehen. Nach dem höhnischen Lächeln zu urteilen, gelang mir das nicht so gut, wie ich es erhofft hatte. Wortlos zog ich die Augenbraue hoch. Wenn das hier ein Wettkampf war, wer länger schweigen konnte, wollte ich nicht verlieren.
Hinter Jan kam einer der Jungs mit einem Seil in der Hand. Ich wurde auf das Bett gedrückt und zunächst wurden mir die Beine gefesselt. „Kann ich... kann ich vielleicht noch mal kurz aufs Klo?" rang ich mich dann doch durch zu fragen. Wenn sie mich fixierten, würde ich bestimmt eine Weile hier bleiben. "Oh, unser Bienchen hat die Sprache wieder gefunden" unschlüssig musterte mich Jan. Schließlich entschloss er sich, mich nicht mehr zu quälen als nötig, zuckte mit den Achseln und nickte mit den Kopf Richtung Tür.
Die Beine immer noch mit dem Seil umschlungen, konnte ich nur kleine Trippelschritte machen. Immerhin gab es ein Plumpsklo, das ich verwenden konnte. Ich schloss die Tür und erleichterte mich. Vorsichtig testete ich den Knoten. Schnell lösen ging auf keinen Fall, sonst hätte ich raus und direkt weg rennen können. Doch das konnte ich mir wohl abschminken. Auch so wäre das nicht mehr als eine Verzögerungstaktik gewesen - ich war nicht sportlich genug, um zu entkommen.
Ergebend ging ich wieder raus und ließ mich in das Zimmer ziehen. Nun wurden auch meine Hände gefesselt. Immerhin nur zusammen und nicht an das Bett. Das machte es etwas bequemer. Meine Güte, jetzt war ich schon dankbar, wenn Seile nicht zu sehr in die Handgelenke drückten. Zufrieden betrachtete Jan sein Werk. So, das war es. Ohne ein weiteres Wort, ging er aus dem Zimmer und schloss die Tür. Ich hörte, wie sich der Schlüssel drehte und abgezogen wurde. Das Gute: noch war nicht passiert. Das Schlechte: ich war alleine, mitten im Wald in dem Zimmer einer Jagdhütte eingesperrt. Es ging mir eindeutig schon besser.
Ein Auto wurde angelassen und fuhr weg. Im Haus war alles still. Das war der erste Moment seit längerer Zeit, dass ich wieder etwas unbeschwerter atmen konnte. Sie hatten mich nicht in ihre Pläne eingeweiht – warum sollten sie auch. Aber ich vermutete, dass sie diese Nacht nicht mehr zurück kommen würden. Das ließ mir eine Galgenfrist bis zum großen Grauen. Schon allein der Gedanke daran bescherte mir eine Gänsehaut.
Die Sonne war mittlerweile untergegangen und ich erlaubte mir, mich in meinem Selbstmitleid zu suhlen. Würde mich jemand vermissen oder gar nach mir Suchen? Ich unterdrückte ein Schluchzen. Wer denn? Meine Stiefmutter und -schwestern rechneten nicht mit mir, ahnten noch nicht mal, was passiert und dass ich gefangen war.
Kilian und seine Leute dachten wahrscheinlich, dass ich weg gelaufen war und irgendwo anders Unterschlupf gefunden hatte. Dass es keinen Ort für mich gab, konnten sie nicht wissen. Und auch wenn: würden sie überhaupt nach mir suchen? Eher nicht, ich hatte ihn ganz schön beschimpft.
Mittlerweile gestand ich mir selbst ein, dass ich ganz schön unfair ihm gegenüber war. Eigentlich war ich stolz auf meine Integrität und dass ich Leute nach Taten und nicht nach Aussehen oder Herkunft beurteilte. Aber da hatte ich auf ganzer Linie versagt. Die eigentlichen Monster – das war mir jetzt klar – hatten mich im Park aufgegriffen und hierher gebracht. Ich hielt die Tränen nicht auf, die meinen Wangen herunterrollten. Die Werwölfe hatten nichts getan, um mir in irgendeiner Art und Weise zu schaden. Das Einzige, was ich ihnen vorwerfen konnte war, dass sie mir nicht von Anfang an die Wahrheit gesagt hatten. Wobei ich dann vor einem echten Dilemma gestanden hätte: bei den unbekannten Wesen bleiben oder zurück in das unsichere Zuhause kehren. Es war bestimmt keine einfache Entscheidung, mir zu zeigen, was sie waren. Wie sehr wünschte ich jetzt, Kilian nicht so beschimpft zu haben. Er wirkte richtig zornig in seinem Wolfskörper. Verübeln konnte ich ihm das nicht. Schluchzend versenkte ich den Kopf in meine Hände.
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Von Wölfen beschützt
RomanceMaja hatte in den letzten Jahren nicht viel zu lachen. An ihren 18. Geburtstag überschlugen sich dann die Ereignisse und sie beschloss nicht mehr nach Hause zurück zu kehren. Stattdessen lebte sie in einen Haus mit anderen Jugendlichen. Doch irgende...