25. Kapitel

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Nach Atem ringend saß ich auf einer Bank im Park, die Arme auf den Knieen aufgestützt. Mein Körper lechzte nach Sauerstoff, den er gierig in sich aufsaugte. Erst als die Tropfen auf meine Hose fielen merkte ich, dass ich weinte. Immer mehr Tränen krochen in mir hoch und ließen sich nicht aufhalten. Das alles war so unfair. Warum traf alles immer mich? Erst hatte ich meine Mutter, einige Jahre später meinen Vater verloren. Meine Stiefschwestern hatten mich verraten und wollten mich im wahrsten Sinne des Wortes verkaufen. Und als wäre das nicht genug, war ich schließlich in einem Haus voller Monster gelandet. Ich vergrub den Kopf in meinen Händen.

Ein Schauer lief meinen Rücken herunter und sorgte dafür, dass ich am ganzen Körper Gänsehaut hatte. Was hatten die Werwölfe nur mit mir geplant? In meinem Kopf waren wilde Bilder von blutigen Ritualen. Wahrscheinlich hätten sie mich bei Vollmond gefesselt und bei lebendigen Leibe gefressen, nein zerfetzt. Ich zitterte bei den Gedanken. Lauter gesichtslose Gestalten um mich herum, die sich in riesige Bestien verwandelten und über mich herfielen.

Eine davon hatte kastanienbraunen Fell. Die schokoladenbraunen Augen musterten mich und ich spürte, wie ich in meiner Vision ruhig wurde. Ich vertraute ihm, merkte ich erschrocken. Trotz aller Geheimnisse, die er vor mir hatte. Er würde mich vor allem anderen beschützen. Die Fesseln lösten sich auf und ich konnte mit den Armen den Hals des Wolfes umfassen. Vorsichtig streichelte und kraulte ich ihn. Die Haare fühlten sich wie Seide in meinen Händen an.

Da schreckte ich aus meinen Tagtraum hoch. Ich konnte mir Kilian nicht als Monster vorstellen. Auch Iris, Mike, Valentin und die ganzen anderen waren immer zuvorkommend zu mir gewesen - die meisten zumindest. Warum sollten sie mir plötzlich weh tun wollen? Aber ich verstand einfach nicht, warum ich ohne irgendwelche Bedingungen in dem Haus aufgenommen worden war. Thea und Tine hatten nicht wirklich einen Grund für ihre Handlungen – ihre Aktionen trugen nicht dazu bei, dass ich Leuten leicht Vertrauen schenkte. Nachdenklich zupfte ich an meiner Unterlippe.

Seufzend sah ich auf die Sonne, die schon sehr weit im Westen war. Der Tag ging zu neige, bald würde die Dämmerung einsetzen. Wenn ich nicht auf der Parkbank schlafen wollte, musste ich mir etwas überlegen. Langsam nahm ich die Umgebung um mich herum wahr. Ich war bestimmt 3 km weit weg vom Haus. In meinen Gedanken überschlug ich die Möglichkeiten. Bei meiner überstürzten Flucht hatte ich weder Handy noch Geld eingesteckt. Ich könnte zurück zu meiner „Familie" oder zu der Gemeinschaftunterkunft voller Werwölfe.

Der Gedanke, meine Stiefschwestern wieder zu sehen ließ mich erschaudern. Den Schichtplan meiner Stiefmutter hatte ich nicht parat, somit wäre es möglich, dass die beiden alleine zu Hause waren. Nicht, dass sie mich kontaktiert hatte. Keine Ahnung, was Thea und Tine ihr zu meinem plötzlichen Verschwinden gesagt hatten. Und was soll ich da machen? In meinen alten Bett schlafen, Geld und Handy würden sich nicht auf geheimnisvolle Weise materialisieren.

Wenn ich zu dem Haus zurück ginge, das mir in den letzten Wochen so viel gegeben hatte, müsste ich Kilian wieder sehen. Nachdenklich kaute ich auf meiner Unterlippe herum. Eigentlich hat er mir nichts getan. Wobei mir bei der Erinnerung an sein Knurren ganz kalt wurde. Er könnte mich ohne Probleme in seiner Wolfsgestalt zerfetzen. Aber er hat es nicht gemacht – noch nicht mal versucht mich an der Flucht zu hindern, wenn ich das richtig in Erinnerung hatte. Sie ließen mich gehen und hier verloren auf der Parkbank sitzen. Der Versuch das Gehirn zu entknoten war nicht wirklich erfolgreich.

Eigentlich hatte ich nicht wirklich eine Wahl: früher oder später musste ich zu dem Haus zurück. Zumindest um meine Habseligkeiten zu holen. Aber das würde ganz schön peinlich werden. Wahrscheinlich wüssten alle bereits, was passiert war. Humorlos lachte ich auf – und alle Verehrerinnen von Kilian freuten sich, dass es eine Konkurrentin weniger gab.

Ich befahl meinen müden Beinen, sich wieder zu erheben und wendete mich in Richtung Haus.

„Bienchen, wer hätte gedacht, dass wir uns so bald wieder sehen." Die Worte ließen mich auf der Stelle erstarren. Ich schloss meine Augen und schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Das durfte doch einfach nicht wahr sein, nicht ausgerechnet jetzt. Doch da spürte ich den harten Griff um meinen Oberarm. Ich war gefangen – schon wieder.

„Es gibt zwei Möglichkeiten: entweder du gehst freiwillig mit, oder du leistet Widerstand. Zweiteres wirst du sehr schnell bereuen" raunte mir Jan zu. Hilfesuchend drehte ich den Kopf in alle Richtungen. Der Park war wie leergefegt, durch die schwächer werdende Sonne hatte es merklich abgekühlt. Nur Jan stand da mit noch zwei von seinen Kumpels. Mir wurde schlecht. Was auch immer sie mit mir vorhatten, es war nichts Gutes – so viel war sicher.

Mein Gehirn suchte fieberhaft nach einem Ausweg und analysierte die Situation. Weg laufen würde nichts bringen – die waren sportlicher und schneller als ich. Einen könnte ich wahrscheinlich durch ein Tritt in die Eier aufhalten – doch es blieben dann immer noch zwei weitere übrig. Gegen alle drei hatte ich keine Chance.

Schreien bringt nur etwas, wenn es auch gehört wird. Das war aktuell nach einem abscannen der näheren Umgebung nicht der Fall. Wenn sie mich hier raus brachten, könnte sich das aber ändern. Bestimmt fielen sie nicht hier und jetzt über mich her – so dumm waren sie nicht. Es könnte jederzeit jemand vorbei kommen. Also entschied ich mich dazu, erst einmal mitzuspielen und ihnen zu folgen.

Ich nickte Jan zu. „Was auch immer für Pläne du schmiedest, sie werden nicht erfolgreich sein" höhnte der. „Dieses Mal kommen wir zu unseren Recht." Nun, das wollten wir doch mal sehen. Doch er schien recht zu behalten: viel zu schnell waren wir aus dem Park draußen und an seinem Auto. Grob wurde ich den Wagen auf die Rückbank geschoben, links und rechts von mir seine Kumpanen. Jeder hielt mich an einem Arm fest. Als könnte ich einfach so aus dem fahrenden Auto springen, mit den beiden neben mir.

Von Wölfen beschütztWo Geschichten leben. Entdecke jetzt