22. Kapitel

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Am nächsten Morgen wurde ich von meiner Blase geweckt. Ich versuchte mich unbemerkt aus der Umarmung zu lösen, doch erntete dafür nur ein Knurren. „Bitte Kilian, ich muss dringend wohin" bettelte ich. Das schien zu ihm durchzudringen, zumindest lockerte er den Griff und ich konnte mich befreien. Ich huschte schnell ins Bad und erledigte mein Geschäft.

Als ich fertig war, zögerte ich kurz. Sollte ich zurück ins Bett? Es war noch recht früh, ich könnte immer noch in mein Zimmer. Wobei Iris mit Sicherheit schon mein Fehlen bemerkt hatte. Es kam bisher nie vor, dass ich später als sie ins Bett gegangen bin. Und die ganze Nacht weg bleiben nachdem ich mit Kilian auf dem Stadtfest war, lässt nicht viel Raum für Interpretation.

Kilian nahm mir die Entscheidung ab, indem er mich schlaftrunken zu sich ins Bett winkte. Warum sollte ich nicht noch ein Weilchen seine Nähe genießen? Seufzend legte ich mich wieder zu ihm und wurde direkt umklammert. Er hauchte sanfte Küsse auf meinen Nacken und murmelte einen Guten Morgen Gruß. Seine Bartstoppeln kitzelten und ich kicherte. Im nächsten Moment lag ich unter Kilian und er sah grinsend zu mir herunter. „Lass mich an deiner Freude teilhaben" waren für eine Weile die letzten Worte, die wir miteinander sprachen.

Später stellte ich mich unter die Dusche und betrachtete mich anchließend kritisch im Spiegel. Sah man mir die letzte Nacht an? Ich wusste nicht, ob ich mir das nur einbildetet, aber ich schien von innen heraus zu strahlen. Und das breite Grinsen wollte nicht aus meinen Gesicht weichen. Dazu kam die ein oder andere Rötung der Haut von den kratzigen Bartstoppeln. Immerhin hatte er mir keinen Knutschfleck verpasst, wobei ich mich nicht dagegen gewehrt hätte. Verdammt, mich hatte es ganz schön erwischt. Ich war in Kilian verliebt – ob das gut oder schlecht war, würde sich noch herausstellen. Aber um nichts in der Welt wollte ich die letzte Nacht rückgängig machen. Es war wie, nein es war viel besser als in meinen Träumen. Er war so einfühlsam, aber auch leidenschaftlich. Allein bei den Gedanken wurde mir wieder heiß und ich errötete.

Da ich sonst nichts zur Verfügung hatte, schlüpfte ich in meine Klamotten von gestern. Kilian bot mir zwar ein T-Shirt von sich an, aber mir reichte es schon, dass ich seine Duschsachen verwendet hatte. Ganz zu schweigen davon, dass wir gemeinsam zum Frühstücken kommen würden. Das würde sich verbreiten wie ein Lauffeuer. Und bei einigen bestimmt auf nicht viel Gegenliebe stoßen. Aber noch nicht mal das konnte mir die Laune heute verderben.

Kilian scherzte beim Frühstück mit mir und warf mir immer wieder begehrliche Blicke zu. Ich musste mich zum Essen zwingen und konnte ihm nicht in die Augen schauen. Denn sonst vergaß ich, warum ich eigentlich hier saß. Seine offene Zuneigung tat meinen Selbstbewusstsein sehr gut und ich fühlte mich, als ob ich Bäume ausreißen könnte. Nach dem Frühstück wollte ich in mein Zimmer, um mir frische Kleidung anzuziehen. Alleine, auch wenn mein Frühstückspartner viel lieber mitgegangen wäre.

Auf dem Weg in mein Zimmer hörte ich Stimmen aus einem Raum, wo die Tür nur angelehnt war. Ich stockte, als ich meinen Namen hörte. Schluchzend erklang eine Stimme „ich verstehe halt nicht, was er in ihr sieht. Ich meine: sie ist nicht besonders hübsch oder sexy, sondern einfach ganz normal – und auch noch ein Mensch, der keine Ahnung hat." Mit einem Schlag war ich hellwach, als hätte mir jemand einen Eimer mit kalten Wasser über den Kopf geschüttet. „Keine Angst, mit der hat er noch etwas Spaß und dann wird sie für ihn langweilig. Du weißt doch, wie er ist" erwiderte jemand tröstend. Das hatte gesessen. Ich fing an zu zittern und ein Schmerz breitete sich in meinem Oberkörper aus, als würde ein Messer direkt in meine Brust gerammt. Das schlimme war, dass die beiden Recht hatten. Ich war keine Schönheit, meine Kurven waren zwar vorhanden, aber eher dezent. Wenn ich ehrlich zu mir selbst war, gab es keinen Grund, warum Kilian mich anderen vorziehen könnte.

Ich versuchte, alle negativen Gedanken zu verdrängen und zu verhindern, dass mir Tränen in die Augen stiegen. Immerhin hatte er sich mich ausgesucht. Er wollte mich, hatte mich zu mehreren Dates ausgeführt. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass das alles nur gespielt war. Die vielen Blicke, die Zärtlichkeiten – da waren auch bei ihm Gefühle mit dabei, das bildete ich mir nicht nur ein.

Tief in Gedanken versunken, öffnete ich meine Zimmertür und erstarrte. Iris lag noch im Bett, aber sie war nicht alleine. Eng umschlungen und mit ihr balgend, zerwühlte Adrian mit ihr die Laken. Man konnte nicht sehen, wo der eine anfing und der andere aufhörte. Sie waren so in ihrer Leidenschaft gefangen, dass sie meine hastig hervor gewürgte Entschuldigung nicht hörten.

Schnell schloss ich die Tür wieder und rannte in den Garten. Dort war etwas versteckt eine Bank, auf der ich mich nieder ließ. Ich vergrub mein Gesicht in meine Hände, zog an meinen Haaren und versuchte nicht zu schreien. Wie konnte nur so ein schöner Morgen so schnell bergab gehen? Von meiner Euphorie nach dem Aufwachen war nichts mehr übrig.

Von Wölfen beschütztWo Geschichten leben. Entdecke jetzt