28. Kapitel

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Am Wasserlauf stehend, drehte ich mich noch einmal um. Hinter mir konnte ich nur Schatten erkennen. Keine Hütte, nur ein paar Baumstämme ließen sich erahnen. Ob es wirklich eine so gute Idee war, im Dunkeln hier entlang zu gehen? Wer weiß, wie viele Kilometer vor mir lagen? Naja, schlafen konnte ich sowieso nicht, da war es besser jetzt zu laufen, als sich morgen früh von Jan auf der Flucht erwischen zu lassen. Ich erschauderte - wer weiß, was für Grausamkeiten er sich als Bestrafung ausdenken würde. Das wollte ich lieber nicht heraus finden.

Mit Händen und Füßen tastete ich mich vor. Im Schneckentempo kam ich voran. Dann blieb ich stehen – war da etwas? Ich hatte einen Ast brechen gehört. Ich unterdrückte ein nervöses Kichern. Natürlich, es könnten Rehe sein. Hoffentlich keine Wildschweine, die sind sehr groß und könnten richtig Schaden anrichten. Ich wusste von Autos, die nach einer Begegnung einen Totalschaden hatten. Je weiter ich vordrang, desto mehr schwand mein Mut. Wo hatte ich mich da nur hineinmanövriert?

Wieder knackte ein Ast. Dieses Mal ganz in der Nähe. Leicht panisch sah ich mich um. Wurde ich etwa verfolgt? Soweit ich wusste, gab es hier keine Raubtiere. Ich horchte in den Wald. Es war ruhig – schon gespenstisch. Ich hörte nur das beruhigende Plätschern des Wassers. War vorhin nicht noch mehr Leben und Rascheln hier gewesen? Wo war das alles hingegangen?

Mit klopfenden Herzen setzte ich einen Fuß vor den anderen. Vielleicht wäre es doch klüger, sich an einen Baum zu lehnen und etwas auszuruhen. Ich hatte das Gefühl, schon ein gutes Stück weg von der Hütte zu sein. Wobei ich noch nicht einmal sagen konnte, ob es gerade Mitternacht war oder schon 5 Uhr morgens. Jedes Gefühl von Zeit und Raum war mir abhanden gekommen.

Ich bezweifelte, dass meine Entführer nach mir suchen würden, wenn sie mein Verschwinden bemerkten. Und wenn dann nur die nähere Umgebung. So dringend hatten sie es bestimmt nicht nötig. Sie wollten ihren Spaß mit mir haben, den hatten sie ja auch in gewisser Weise. Mir folgen würden sie nicht, das wäre zu viel Aufwand in ihren Augen. So versuchte ich mich mehr und mehr zu beruhigen. Doch es hatte auch etwas Trauriges an sich. Keiner fiel mir ein, der sich die Mühe machen würde mich zu suchen. Spontan kam mir ein Bild von Kilian in den Sinn. Er oder vielleicht auch Iris... Schnell schüttelte ich den Kopf und vertrieb ich die beiden wieder aus meinen Gedanken. Selbst ist die Frau. Ich musste es auf die harte Tour lernen, aber würde es bestimmt nicht mehr vergessen.

Mit den Gedanken lehnte ich mich an einen breiten Baum. Ich ließ mich nieder, wobei ich aufpasste, dass die Decke zwischen mir und den Boden war. So gut es ging, wickelte ich mich darin ein und schloss die Augen – nur für einen kleinen Moment etwas neue Kraft schöpfen, schwor ich mir.

***

Plötzlich schreckte ich hoch. Orientierungslos schaute ich mich um. Dann brach sintflutartig der gestrige Tag über mich herein: Der Streit, die Entführung, die Flucht. Puls- und Herzfrequenz beschleunigten sich bei den Erinnerungen und meine Hände wurden schweißnass. Mittlerweile war es etwas heller – die Dämmerung hatte begonnen. Immerhin musste ich nicht mehr in kompletter Dunkelheit herum stolpern.

Doch was hatte mich geweckt? Ich versuchte etwas in den Schatten zu erkennen – als mich zwei große Augen ansahen. Hastig stand ich auf. Dabei vergaß ich, dass ich die Decke immer noch um mich gewickelt hatte und teilweise darauf saß. Mit den Füßen verhedderte ich mich in den Stück. Dadurch stolperte ich und fiel direkt wieder zu Boden. Ein stechender Schmerz fuhr mir in den Knöchel. Ich konnte mir den Aufschrei nicht unterdrücken. Tränen schossen mir in die Augen und reflexartig umfasste ich die schmerzende Stelle.

Ich versuchte wieder etwas Luft in meine Lunge zu bekommen, der Atem ging nur stoßweise. Als ich mich wieder etwas gesammelt hatte, wagte ich es aufzusehen. Die Augen hatten sich nicht von der Stelle bewegt. Dahinter konnte ich einen großen Kopf und einen noch gewaltigeren Körper erkennen. Adrenalin floss statt Blut durch meinen Körper. Dann, mit einem Mal, umhüllte mich ein Ruhe und ein Vertrauen. Misstrauisch sah ich zu dem Tier. Hatte es etwas damit zu tun? Irgendeine seltsame Macht, die mich hier hielt? Dann erkannte ich die schokoladenbraune Farbe der Augen, die mir seltsam bekannt vorkam.

Von Wölfen beschütztWo Geschichten leben. Entdecke jetzt