11. Kapitel

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„Ist da noch Platz?" Ohne eine Antwort abzuwarten, ließ sich Mike neben Iris und Valentin neben mir nieder. Valentin musterte mich prüfend, sagte aber nichts. „Hast du gut geschlafen?" kam es stattdessen von Mike. Ich war so verwirrt, dass ich nur „gut" antworten konnte. Warum redete er plötzlich mit mir? Sonst hatte er mich immer ignoriert.

Es folgte eine peinliche Stille, die wir versuchten mit Essen zu überbrücken. Ich hing meinen Gedanken nach und beobachtete meine beiden Klassenkameraden. Valentin hatte noch nie so gelöst ausgesehen. In der Schule hat er immer versucht abzutauchen, doch hier saß er ganz entspannt. Nicht, dass er die Karriere zum Alleinunterhalter begonnen hätte, aber er war wie ausgewechselt.

Mike schien ganz vertieft in sein Essen zu sein und vermied jeden Blickkontakt. Dann fiel mir ein, dass die beiden mich gestern lediglich in knapper Unterwäsche bekleidet gesehen hatten. Ich spürte wie mein Gesicht rot wie eine Tomate wurde und sah weg. Doch irgendwann siegte dann doch die Neugier – ich musste wissen, was das alles sollte.

„Was war das gestern für eine Aktion?" fragte ich deshalb. Seufzend sah Mike von seinem Frühstück auf. Er hatte wohl gehofft, dass ich den Abend nicht mehr erwähnen würde. Dann hätten sie sich nicht zu uns setzen dürfen. Ich versuchte ihm fest in die Augen zu schauen. Jetzt alles anhören und dann tief vergraben, das klang nach einem guten Plan. Mike musterte mich unsicher und fing an zu erzählen.

„Thea fragte gezielt Jungs, ob sie Lust hätten zu Pokern – mit dir als" er rang unsicher mit sich „Hauptgewinn. Ich bekam das mit und lud mich quasi selbst ein, das ich auch mitmachen konnte. An dem Abend half mir dann Valentin zu gewinnen, indem er mir immer wieder... verriet, was meine Gegner hatten" sein Lächeln wirkte aufgesetzt. Scheinbar war ich nicht die einzige, der das Gespräch peinlich war. Doch ich konnte einfach nicht aufhören.

„Wie war das möglich?" hackte ich nach. „Er spielte nicht mit und fotografierte und konnte mir so über – äh – Zeichen zu verstehen geben, wie die Karten der andern so waren." Mike wand sich sichtlich mit der Erklärung. Irgendetwas passte da nicht, aber ich ließ ihn weiter erzählen. „Alles lief wie geplant und dann haben wir dich befreit" endete er schnell und und widmete sich erleichtert wieder seinem Essen. Das war jetzt wohl die kurze Version. Ich hing meinen Gedanken über den Abend nach. An so viel konnte ich mich nicht erinnern, doch ab dem Moment, als Mike als Gewinner ausgerufen wurde, lichtete sich der Nebel langsam wieder.

„Was hättest du eigentlich gemacht, wenn Thea die Herausforderung angenommen hätte?" Wollte ich wissen. Jetzt war es an ihn rot zu werden – es war ihm peinlich in der Öffentlichkeit so intime Sachen zu erzählen. Das wäre es mir auch, aber manchmal ist meine Neugier einfach schneller als mein Gehirn. Und wenn Thea ihn vor allen einen geblasen hätte, dann wäre der Plan im Eimer gewesen.

„Ich hätte versucht, meinen Gefährten daran zu hindern das ganze Haus in Schutt und Asche zu legen" brachte er schließlich leicht schmunzelnd hervor. Verwirrt musterte ich ihn. Ich wusste gar nicht, dass er vergeben war. Erst dann fiel mir seine Wortwahl auf „mein Gefährte...". Verpeilt schaute ich ihn an und überlegte, wie ich hinter das Rätsel kommen konnte. Er nahm mir das ab und lüftete das Geheimnis selbst.

„Ich bin schwul, Maja. Valentin und ich sind ein Paar." Da riss ich die Augen auf und schaute zwischen den beiden hin und her. Das konnte nicht wahr sein. Die beiden? Ich wartete auf lautes Gelächter und ein „verarscht", doch alle blieben ernst und keiner sah so aus, als müsste er sich zwanghaft das Lachen unterdrücken. Bevor mir eine intelligente Erwiderung einfiel, änderte sich die Atmosphäre. Ein Schwall von Wärme traf mich von der anderen Seite. Ich schaute auf und blickte in schokoladenbraune Augen.

„Hallo Maja, wie schön, dass du hier bist. Ich bin Kilian." stellte sich der junge Mann vor. Die kastanienbraunen Haare, die markante Nase, leicht geschwungene Lippen – eindeutig derjenige, in den ich im Einkaufszentrum gerannt bin. Wieder war ich wie erstarrt und konnte meine Augen nicht von seinen abwenden. Sag was, sag was hallte es in meinem Kopf. „Maja" kam schließlich heraus. Am liebsten hätte ich mit den Kopf auf die Tischplatte geschlagen. Meinen Namen kannte er schon, wie er bei der Begrüßung bewiesen hatte.

Kilian lächelte nur und hielt den Blickkontakt. In den Augen konnte man versinken. So ein schönes braun. Wobei – sie wurden immer dunkler, da musste ich noch genauer hinschauen. Er beugte sich etwas runter und musterte mich, als wolle er sich jede Kleinigkeit von meinem Gesicht einprägen.

Ein Räuspern von der Seite ließ uns beide zurück zucken, als hätten wir etwas Verbotenes gemacht. Iris sah uns abwechseln mit hochgezogenen Augenbrauen an. Kilian räusperte sich „vergiss bei deiner Tour nicht, sie bei mir ins Büro zu bringen, Iris. Damit ich ihr einen Schlüssel geben kann. Bis später" und dann ging er weiter.

Ich konnte nicht widerstehen und drehte mich um, um ihn hinterher zu schauen. Ein leiser Pfiff lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf die Person gegenüber. Doch meine Augen schweiften abwesend weiter und ich sah, dass ich nicht die einzige war, die Kilian mit Blicken folgte. Wobei mich ein paar der anderen Mädchen unfreundlich anschauten. Ich erschauderte leicht. Der war wohl tabu, wenn ich die Reaktion richtig interpretierte.

Ich riss mich zusammen und schaute in Iris grinsendes Gesicht. „Bist du fertig mit Gaffen? Dann zeige ich dir jetzt das Haus."

Von Wölfen beschütztWo Geschichten leben. Entdecke jetzt