15. Kapitel

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Die nächsten Tage zogen so an mir vorbei. Sie waren eingeteilt durch die gemeinsamen Mahlzeiten. Die meisten gingen zur Schule oder zur Uni, nur wir Abiturienten hatten schon vorgezogene Sommerferien.

So verbrachte ich die meiste Zeit mit Mike und Valentin. Wenn man sich erst einmal an den Gedanken gewöhnt hatte, gaben sie ein tolles Paar ab. Wobei sie immer sehr zurück haltend waren, ihre Zuneigung in der Öffentlichkeit zu zeigen. Doch in der geschützten Umgebung des Hauses hatten sie damit keine Probleme.

Wir versuchten die anderen zu entlasten, indem wir einen Großteil der Hausarbeiten übernahmen. Zum Glück kam zwei Mal in der Woche eine Putzfrau, somit musste man sich darum schon einmal nicht kümmern. Eingekauft wurde mit einer Gemeinschafts-Kreditkarte. Als ich fragte, ob ich nicht auch Geld auf das Konto überweisen sollte, wurde lachend abgewunken. Ich notierte mir das gedanklich – noch etwas, was ich später klären musste. Mein Ziel war Unabhängigkeit gewesen, doch jetzt hatte ich das Gefühl vom Regen in die Traufe gekommen zu sein. Die Liste der Dinge, die ich begleichen muss, wuchs immer weiter an. Da keine Alternative verfügbar war, musste ich das erst einmal so hinnehmen.

Heute brachten wir den Garten etwas in Ordnung und jäteten jede Menge Unkraut. Die waren zum Teil tief verwurzelt und mit Spaten und Stecher versuchte ich sie komplett herauszubekommen. An einer besonders großen Distel, zog ich verzweifelt mit aller Kraft. Sie wollte sich einfach nicht von der Erde lösen. Ich fluchte leise, doch scheinbar hat das Valentin gehört. Er stellte sich hinter mich und griff ebenfalls nach dem großen Unkraut. Mit vereinten Kräften zerrten wir daran, bis sie sich plötzlich löste und wir beide rücklings auf den Boden fielen.

Lachend rollte ich mich von ihm runter und wollte Valentin fragen, ob bei ihm alles in Ordnung war. Die Worte blieben mir im Halse stecken, als ich einen wütenden Kilian hinaus und auf uns zustürmen sah. Waren wir zu laut gewesen? Er sah wirklich stocksauer aus.

Er griff Valentin am Kragen, hob ihn hoch und knurrte ihn regelrecht an „Was sollte das?" Der wesentlich kleinere versuchte stotternd zu antworten, doch konnte Kilian nur verschreckt ansehen. Verunsichert robbte ich etwas weg. In dem Moment kam Mike und versuchte zwischen die beiden zu gehen und Valentin zu befreien. Doch der wurde von Kilian richtig gehend durchgeschüttelt.

„Sag mal, geht's noch?" brüllte Mike schließlich und griff nach Kilians Handgelenken, um sie gewaltsam herunter zu drücken. Dadurch kamen Valentins Füße wieder auf den Boden und er schnappte nach Luft. Mike schaute Kilian fest in die Augen. Es kam mir fast so vor, als wären die beiden in einer stillen Konversation. Dann zuckte Kilians Kopf in meine Richtung. Ich begann, immer noch auf den Boden sitzend, etwas zurück zu weichen. Das war mir alles nicht geheuer.

Fast schmerzerfüllt sah er mich an. Kilian ließ Valentin los, den er immer noch am Revers umklammert hatte, und ging vorsichtig auf mich zu „Maja, es tut mir leid. Bitte, ich..." er rang sichtlich nach Worten. Nervös sah er mich an und streckte mir seine Hand hin. Ich konnte nur den Kopf schütteln – ich wollte ihn jetzt nicht berühren. Bisher kannte ich ihn nur mit einem Lächeln – die Seite, die ich jetzt an ihn kennen lernte, gefiel mir überhaupt nicht.

Unsicher sah ich ihn an, doch in seinem Gesicht konnte ich nur eine Bitte ablesen. Da er nicht mehr ganz so wütend zu sein schien würgte ich „ich bin nicht diejenige, bei der du dich entschuldigen musst" hervor.

„Tut mir leid, Valentin. Ich habe wohl etwas überreagiert." Zerknirscht sah er den kleineren an. Zu meiner Überraschung, lächelte Valentin wissend und nickte „schon in Ordnung." Das war dann wohl die Versöhnung. Valentin schien zu versuchen, es mit Humor zu nehmen. Doch man sah ihm an, dass es ihn mitgenommen hat. Wer weiß, was passiert wäre, wenn Mike nicht dazwischen gegangen wäre?

Zögernd nahm ich trotzdem die angebotene Hand und ließ mich auf die Beine helfen. In dem Moment hatte ich das Gefühl, dass zwischen unseren Händen ein kleines Feuerwerk abgeschossen wurde. Das Kribbeln begann genau dort, wo wir uns berührten und breitete sich über meinen ganzen Körper aus. Obwohl es warm war, bildete sich eine Gänsehaut auf den Armen. Der Duft von Sandelholz stieg mir in die Nase und mein Herz fing an schneller zu schlagen.

Kilian lächelte mich an „es tut mir leid, dass du das mit ansehen musstest. Normalerweise verliere ich nicht so leicht die Nerven. Denkst du, dass du mir auch verzeihen kannst?" Ich merkte, wie ich bei seinen Worten ungewollt dahin schmolz. Plötzlich fiel mir auf, dass Kilian immer noch meine Hand hielt. Mittlerweile waren unsere Finger ineinander verschlungen. Schnell löste ich mich von ihm und trat einen Schritt weg von ihm – noch war ich mir nicht sicher, ob ich diese Nähe wirklich haben wollte.

Kilian räusperte sich „ich mach mich dann wieder mal an die Arbeit. Viel Spaß euch noch im Garten." Er nickte uns noch einmal zu und verschwand wieder im Haus.

Verwirrt sah ich Mike und Valentin an, die immer noch wissend lächeln. Wie konnten die da nur so ruhig sein? Kilian kam gerade wie ein Berserker herausgestürzt und hätte Valentin fast verletzt. Und das wegen – ja, wegen was überhaupt? Wieder einmal hatte ich das Gefühl, mehr Fragen als Antworten zu haben.

Von Wölfen beschütztWo Geschichten leben. Entdecke jetzt