27. Kapitel

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Eine Weile suhlte ich mich in dem Selbstmitleid und mit „was wäre wenn" Gedanken. Auf ein Wunder oder unerwartete Retter wie beim letzten Mal konnte ich kaum hoffen. Dieses Mal war ich voll und ganz auf mich alleine gestellt. Wie die letzten 3 Jahre schon – dann würde ich die Situation doch auch meistern können. Langsam sprach im mir selbst Mut zu. Ich schniefte geräuschvoll und wischte mir die Tränden ab. Irgendetwas muss doch möglich sein. Nachdenklich suchte ich das Zimmer ab, ob ich etwas verwenden konnte, um die Seile zu zerschneiden. Viel gab es nicht, nur das Bett und einen kleinen Schrank. Beides war aus dunklem Massivholz und sah aus wie aus der Gründerzeit. Den Schrank konnte ich trotz meiner Fesseln öffnen. Doch darin gab es nur ein paar alte Decken. Enttäuscht schloss ich ihn wieder.

Es gab keine scharfen Kanten oder Gegenstände, mit denen ich etwas zerschneiden konnte. Die Ecken am Schrank und am Bett waren zu stumpf. Ich setzte mich auf das Bett und betrachtete meine Hände. Zum Glück hatten die Jungs wenigstens das Licht angelassen. Der Knoten sah ziemlich wirr aus und nicht professionell. Er war mittig gebunden und zu der mir zugewandten Seite. Vielleicht konnte das mein Vorteil sein und ich ihn mit den Zähnen lösen.

Vorsichtig fing ich an daran zu knabbern. Dadurch lösten sich raue Fasern, die ich immer wieder ausspuckte, aber ich hatte das Gefühl, dass der Knoten lockerer wurde. Mit mehr Elan riss ich mit den Zähnen immer fester an dem Seil. Tatsächlich öffnete sich nach einiger Zeit ein Teil – um darunter noch weitere Knoten zum Vorschein zu bringen. Doch jetzt wusste ich, dass es praktisch möglich war. Alles eine Frage der Zeit. Schlafen wollte ich sowieso nicht, von daher hatte ich nichts besseres mehr zu tun.

Vor Anstrengung mehr und mehr keuchend, versuchte ich mich weiter an meiner Fesselung. Nach einer gefühlten Ewigkeit, hatte ich alle Knoten an meinen Händen vollständig gelöst. Sie kribbelten und ich bewegte meine Handgelenkt langsam mit kreisenden Bewegungen, damit das Blut wieder richtig fließen konnte. Ich war erleichtert. Immerhin das war geschafft.

Nun machte ich mich daran, die Beine ebenfalls von dem Seil zu befreien. Da ich gut mit den Fingern hinkam, war das kein größeres Problem. Frohen Mutes stand ich auf, ging zur Tür, um dann festzustellen, dass sich verschlossen war. Ich hätte mir fast auf die Stirn geschlagen. Natürlich, das hatte ich ja gehört. Ich musterte das Schloss und zuckte mit den Achseln. Auch mit Haarnadeln oder ähnlichen hätte ich das nicht knacken können. Als Einbrecher war ich nicht gemacht.

Also blieb nur noch das Fenster, was sich zum Glück ohne Probleme öffnen ließ. Ein kalter Lufthauch kam von draußen herein und ließ mich frösteln. Doch nicht nur vor der Kälte. Wollte ich da wirklich raus? Nachts, alleine, in einen Wald? Ohne Taschenlampe oder Handy als Lichtquelle? Ich ging meine Möglichkeiten im Kopf durch. Wenn Jan mit seinen Kumpels zurück kam, wollte ich auf keinen Fall hier sein. Er kam bestimmt nicht alleine und allen konnte ich nicht entkommen. Seufzend nahm ich wenigstens eine der dicken Decken vom Schrank und legte sie mir über die Schulter. Das würde immerhin etwas wärmen, damit ich nicht als Frostbeule endete.

Ich schaltete das Licht aus und wartete, bis sich meine Augen etwas an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Ich schaute nach draußen und versuchte die Umgebung abzuschätzen. Alles dunkel und unten schien fester Waldboden zu sein. Das Fenster war nicht sehr hoch, deshalb sollte davon keine Gefahr ausgehen. Ich kletterte heraus und sprang. Auf in das nächste Abenteuer.

Ich hatte mich nicht geirrt – es war einfacher Waldboden unter dem Fenster. Ich lauschte auf die Geräusche der Nacht. Der Wind streifte sanft in den Bäumen und überall schien es zu rascheln. Ich dachte immer, dass es im Wald still ist, aber weit gefehlt. In der Dunkelheit war es lebendig. Irgendwo schrie eine Eule und ich zuckte erschrocken zusammen.

Da keine Sonne schien, konnte ich mich nicht orientieren. Ich könnte den Weg zurück zur Straße gehen und dort entlang. Damit würde ich die Stadt auf keinen Fall verfehlen. Doch ich lief in Gefahr, dass mich jemand bemerkte. Mich machte der Gedanke, auf jemanden Fremden mit einem Auto zu treffen mehr Angst, als durch den Wald zu gehen. Aber planlos herum irren, das wäre Selbstmord.

Ich wendete mich in alle Richtungen. Meine anderen Sinne wurden in der Dunkelheit schärfer, weil ich nur wenig sehen konnte. Dann hörte ich es, nur ganz leise. Ein Wasserlauf, er konnte nicht so weit von hier entfernt sein. Da erinnerte ich mich wieder an etwas, was wir in Heimatkunde gelernt hatten: Im Wald gab es eine Quelle, die zu einem Bach wurde. Und der schlängelte sich vor und bis zu unserer Stadt und am Rand vorbei. Ich musste ihn nur finden und folgen, dann wäre alles gut.

Mit neuen Tatendrang lauschte ich angestrengt. Dort drüben, leicht rechts, musste es sein. Vorsichtig tastete ich mich voran. Nicht, dass ich plötzlich in dem Wasser landete. Das wäre mehr als unangenehm.

Ich kam an eine Böschung und da spiegelte sich der Mond und reflektierte etwas von seinem Licht. Ich atmete erleichtert auf. Ich hatte es geschafft, jetzt noch dem Lauf folgen und alles würde gut gehen. Das redete ich mir immer wieder ein. Und immerhin hatte ich auch Wasser, wenn ich durstig wäre. Aktuell erschreckte mich der Gedanke noch, direkt davon zu trinken. Aber wenn mein Hals zu ausgedörrt war, dann lieber das als gar nichts.

Von Wölfen beschütztWo Geschichten leben. Entdecke jetzt