Sonntag war mein Tag – so fast zumindest. Ich war zwar für den Brunch am Morgen komplett zuständig, aber dafür hatte ich danach etwas Zeit für mich. Zum Essen machte ich Eier, Speck und Pfannkuchen. Das kam meistens ganz gut an.
„Willst du uns etwa mästen?" fragte Tine. „Die Kleider sollen auch noch am Abschlussball passen." Wie gesagt, meistens und nicht immer kam es gut an.
„Was willst du denn stattdessen?" fragte ich und versuchte tief ein- und auszuatmen. „Fettarmer Joghurt mit etwas Obst" bekam ich zur Antwort. Seufzend inspizierte ich den Kühlschrank und schaute, ob ich etwas passendes finde. „Es gibt hier noch ein normales Heidelbeerjoghurt – Naturjoghurt haben wir nicht hier. Ich könnte noch Milch mit Haferflocken und Obst anbieten" Murrend verlangte Tine nach dem Heidelbeerjoghurt „aber das nächste Mal vergisst du das nicht" verlangte sie noch mit einen giftigen Blick. Ich unterdrückte es, mit den Augen zu rollen. Es sah sowieso keiner. Stattdessen notierte ich das Gewünschte auf meinen Einkaufszettel. Sonst kamen sie noch auf die Idee mein Taschengeld zu kürzen, wenn es das nächste Mal wieder nicht im Kühlschrank war.
Nach dem Abwasch verzog ich mich oben in mein Zimmer. Nachdenklich betrachtete ich meine letzten Skizzen. Ob ich mir wohl mein Kleid für den Abschlussball selber nähen sollte? Doch schnell verwarf ich die Idee wieder. Ich konnte zwar die Nähmaschine meiner Mutter verwenden, aber trotzdem fehlte mir noch einiges an Material. Der Stoff ist teuer und wahrscheinlich wäre es gut, vorab ein Prototyp zu erstellen, um die Tücken beim Schneidern an einen billigen Teil zu entdecken.
Ohne groß darüber nachzudenken, hatte ich eine zierliche Frau auf den Block gezeichnet, die ein Cocktailkleid in A-Linie trug. Neben ihr stand ein Mann mit definierten Muskeln, breiten Schultern und markanter Nase. Es waren bisher nur die Konturen mit Bleistift.
Wie ferngesteuert nahm ich die Buntstifte zur Hand. Das Kleid wurde türkis und um die Hüften etwas in Falten gewickelt. Dort ein paar Applikationen mit Steinen. Die Krawatte des Mannes wurde ebenfalls türkis, dazu noch ein dezentes Karomuster Ton in Ton. Ein schwarzer Nadelstreifen Anzug komplettierte sein Outfit. Er sah verdammt heiß aus, stellte ich schmunzelnd fest.
Ohne weiter darüber nachzudenken, kolorierte ich die Haare der Frau in einen karamelartigen blond-braun. Kurz darauf wurden die des Mannes kastanienbraun. Ich starrte entsetzt auf die Zeichnung und vergrub mein Gesicht in meine Hände. Das erste Mal, dass meine Modelle und nicht nur die Kleidung Farbe und Kontur bekommen haben.
Ich versteckte den Block wieder unter der Schutzmatte und erlaubte mir kurz, mich den Tagtraum hinzugeben. Danach hätte ich mit dem Unbekannten Namen und Nummern ausgetauscht. Vielleicht sogar direkt irgendwo einen Kaffee trinken gegangen. Dann hätte wir geredet, unsere Ängste und Sorgen geteilt. Immer wieder hätten sich unsere Fingerspitzen berührt -vielleich sogar Händchen gehalten. Beim Abschied wären wir erst unsicher voreinander gestanden. Dann hätte er mir eine vorwitzige Strähne hinter die Ohren geschoben. Seine Hand wäre etwas länger an meiner Wange geblieben, als nötig. Bei jeder Berührung hätte die Haut angenehm gekribbelt. Mein Herschlag hätte sich beschleunigt und ich hätte seine wunderschönen Augen ansehen können. Er hätte sich runter gebeugt, sein Atem wäre an meiner Lippen gewesen, bevor er mir einen hauchzarten Kuss gibt. Nach kurzer Zeit hätten ich ihn vertieft, unsere Zungen hätten sich zu einem gemeinsamen Tanz getroffen. Meine Hände wären an seinen starken Schultern und hätten in etwas herunter gezogen, während seine tief in meinen Haaren vergraben am Hinterkopf sind. Unsere Körper wären immer dichter aneinander gerückt und wären nur noch durch die Kleider getrennt gewesen. Ich seufzte leise. In dem Moment fiel mir wieder seine Begleitung ein – also eher nicht. Ich habe sie zwar nur kurz gesehen, aber sie war groß und schlank – von der Figur her so wie Tine. Ich war realistisch genug, um zu wissen, das so jemand sehr viel besser zu ihm passt.
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Von Wölfen beschützt
RomanceMaja hatte in den letzten Jahren nicht viel zu lachen. An ihren 18. Geburtstag überschlugen sich dann die Ereignisse und sie beschloss nicht mehr nach Hause zurück zu kehren. Stattdessen lebte sie in einen Haus mit anderen Jugendlichen. Doch irgende...