4. Kapitel

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Montags wurde ich unsanft von meinem Wecker geweckt. Morgens aufstehen war mir ein Graus. Deshalb zog ich es bis zum letzten Moment hinaus, um mich dann in Rekordgeschwindigkeit fertig zu machen. In der Küche schnappte ich mir schnell noch einen Apfel und trank ein Schluck Wasser. Mit meiner Wegzehrung lief ich flott zum Bus, um zur Schule zu kommen.

In der Masse der Schüler, die zur Schule strömten, versuchte ich mich so gut es ging unsichtbar zu machen. Nicht auffallen war eine Taktik, die meistens ganz gut funktionierte. Durch die Flure mit teilweise flackernden Lichtern und bereits abbröckelnden Putz von den Wänden hastete ich zu meinen Klassenzimmer. Es war keine Problem-Schule, aber man merkte überall, dass Geld hier ein knappes Gut war. Und dass sich keiner die Mühe machte, die Schmierereien zu beseitigen - sei es auf den Tischen oder den Toilettentüren. Meine Taktik ging auf und ich kam unbehelligt in meinen Kurs.

Es waren nur noch zwei Wochen bis zum Abitur, deshalb war die ganze Konzentration auf die bald anstehenden Abschlussprüfungen. Ich saß vorne am Fenster – das war mein Lieblingsplatz. Möglichst weit weg von den ganz Coolen in der letzten Reihe. Außerdem konnte ich immer wieder mal unbemerkt raus schauen, wenn es mir zu langweilig wurde.

Der Unterricht hatte noch nicht begonnen und ich fühlte mich beobachtet. Vorsichtig schaute ich mich um und sah, dass Valentin zögernd und unbehaglich auf mich zukam. Er war in einer ähnlichen Rangfolge wie ich in der Klasse: ein Niemand. Allerdings hatte er, anders als ich, nicht mit Angriffen der Stärkeren zu kämpfen.

„Hallo" grüßte er mich und blieb unschlüssig stehen. Mit seinen blonden Haaren, die etwas länger waren als die aktuelle Mode, und blauen Augen war er sehr hübsch. Fast schon etwas zu weiblich, weswegen sich hartnäckig das Gerücht hielt, dass er schwul war. Das könnten aber auch böses Gerede von den anderen sein. In seiner Freizeit machte er gerne Fotos von der Natur und der Umgebung. Manchmal sogar schon auf Veranstaltungen, um sich etwas Geld dazuzuverdienen.

„Äh – guten Morgen" antwortete ich etwas verunsichert. Ich mochte Valentin immer sehr gerne – immerhin einer, der nicht auf mir herumhackte und ab und zu ein liebes Wort für mich übrig hatte.

Nervös fuhr er sich mit den Händen über die Haare „Wie geht's denn so?" fragte er. „Gut?" Verdammt, das klang wie eine Frage. Aber ich wusste nicht, wie ich mit der plötzlichen Aufmerksamkeit umgehen sollte. Unsicher fummelte ich an meinen Pferdeschwanz herum, den ich mir am Morgen gemacht hatte.

„Hast du am Wochenende etwas schönes gemacht?" stieß er schnell hervor. Kurz überlegte ich und antwortete achselzuckend „nicht viel – mit meinen Schwestern Kleider für den Abschlussball kaufen. Also für sie, meines muss ich die Woche noch organisieren." Ich verhaspelte mich etwas und bevor ich noch mehr schwafelte, hielt ich schnell den Mund.

„Das klingt gut - na dann schönen Tag noch" verabschiedete er sich und ließ mich verdutzt zurück. Ich war schon verwirrt, dass er mich überhaupt angesprochen hat. Aber das abrupte Ende war mindestens genauso erstaunlich.

Im Kopf ging ich noch einmal das Gespräch durch. Wollte er mich vielleicht fragen, ob wir gemeinsam zum Abschlussball gehen? Die zwei Niemands verbunden? In dem Moment kam der Lehrer und der Unterricht begann.

***

Nach der letzten Stunde am Nachmittag machte ich mich auf den Weg zum Bus. Der führte durch einen kleine Park. Auf der Wiese grillten manchmal Leute aus den höheren Jahrgangsstufen, aber aktuell war dort niemand zu sehen. Sei es wegen dem Wetter oder der anstehenden Prüfungszeit. Anders als auf den Hinweg, waren nur vereinzelt Schüler unterwegs, weil die Klassen unterschiedlich lang in den Nachmittag hinein gingen. Manche blieben auch noch etwas, um sich mit einer gemeinsamen Lerngruppe auf das Abitur vorzubereiten.

Auf halber Strecke fühlte ich wie mir ein Schauer über den Rücken lief. Unsicher sah ich mich um, aber niemand folgte mir. Schräg vor mir auf einer Parkbank saß ein Jugendlicher, den ich bisher noch nicht hier gesehen habe. Also wahrscheinlich keiner von meiner Schule. Doch der war beim Daddeln in sein Handy vertieft.

Verärgert, dass ich mittlerweile schon paranoide Züge hatte, riss ich mich zusammen und machte ich mich auf den Heimweg.

Von Wölfen beschütztWo Geschichten leben. Entdecke jetzt