16. Kapitel

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In der Woche ging ich nach getaner Arbeit in den Hobbyraum und machte mich daran, das gekaufte second hand Kleid für den Abschlussball abzuändern, damit es einen moderneren Schnitt hat. Jana, ein Mädchen, das schon etwas Erfahrung im Schneidern hatte, half mir dabei. Es gab sogar eine Puppe, auf der man das Kleid abstecken konnte. Dadurch, dass es mir etwas zu weit war, konnte ich drei schräge Falten einnähen. Mit denen wurde das Kleid asymmetrisch an der einen Seite etwas kürzer.

Applikationen hatte ich noch keine. Jana war auf jeden Fall dafür, aber ich war mir unsicher, ob ich es nicht lieber etwas schlichter halten wollte. Ich hatte mich noch nicht entschieden, ob ich tatsächlich zum Abschlussball gehe oder nicht. Valentin und Mike wären natürlich auch dort, aber ansonsten keiner, bei dem ich mich wohlfühlte. Ich müsste mit ihnen besprechen, ob sie mich in ihre Gruppe mit aufnehmen oder vor unseren Klassenkameraden so tun wollen als wäre nichts passiert. Alleine wollte ich nicht hingehen und da würde die Investition weh tun, wenn man das Kleid nicht tragen kann.

„Was ziehst du eigentlich für Schuhe dazu an?" Da hatte mich Iris kalt erwischt. Ich schaute planlos auf die Turnschuhe, die ich von Iris bekommen hatte. Sämtliche Schuhe und Jacken waren noch in dem Haus, in dem ich bis vor kurzem noch gewohnt habe. Die waren nicht in meinem Zimmer gewesen und konnten somit nicht eingepackt werden.

„Ich dachte, dass ich vielleicht mit Mike und ein paar anderen noch mal zu dem Haus gehe, um meine restlichen Sachen zu holen" überlegte ich laut. Ich war mir sicher, dass sich ein paar finden würden, die mich begleiteten. Iris schüttelte fassungslos den Kopf „die sind bestimmt nicht schick genug zu dem schönen Kleid – wir gehen morgen einkaufen." Erschrocken schaute ich Iris an. Ich wollte nicht raus aus dieser geschützten Umgebung. In der Einkaufshalle könnte ich anderen begegnen – und das wollte ich um jeden Preis verhindern.

„Du kannst dich nicht ewig hier einigeln" erriet Iris meine Gedanken. Verdammt, wie machte sie das nur? Ich musste an meinen Pokerface arbeiten. Tief in mir wusste ich, dass sie Recht hatte. Aber es war noch nicht einmal eine Woche her, dass ich so verraten wurde und vor etlichen Leuten entblößt auf einem Bett gefesselt war. Es graute mir davor, irgendjemand Bekannten zu sehen. Dafür war ich noch nicht bereit. Nachdenklich kaute ich auf meiner Unterlippe herum. „Sei keine Spielverderberin. Es kommen bestimmt noch mehr mit, das wird ein Spaß." Da konnte ich es Iris nicht mehr abschlagen und ich lenkte ein. Begeistert klatschte sie in die Hände. „Sehr gut, morgen ist Freitag, das ist perfekt. Dann machen wir uns nach dem Mittagessen auf den Weg."

Seufzend schaute ich ihr hinterher. Ich hatte das Gefühl, dass ich das noch bereuen werde. Aber für einen Rückzieher war es jetzt zu spät. Dann hieß es Kraft sammeln und ein dickes Fell zulegen für alles, was da kommen könnte.

***

Am nächsten Tag gesellten sich noch drei der anderen zu Iris und mir und gemeinsam machten wir uns auf den Weg zur Einkaufshalle. Etwas mehr als 200 Euro hatte ich noch. Dafür sollten mehrere Paar Schuhe und noch eine Jacke erschwinglich sein - es musste ja nicht die neuste Mode sein.

Das Schuhgeschäft war dann auch unsere erste Anlaufstelle. Scheinbar hatte es sich Iris zur Aufgabe gemacht dafür zu sorgen, dass ich ordentlich einkaufte. Statt für sich selbst zu schauen, wich sie mir nicht von der Seite. Am Ende hatte ich hübsche und nicht zu hohe high heels in silbern glitzernd, die bestimmt gut zu meinen Kleid passten. Iris bestand darauf, direkt noch eine passende Tasche zu kaufen. Ich schluckte – das riss ein ganz schönes Loch in mein Erspartes. Dazu noch ein neues paar Sneakers, dann war ich für den Alltag ausgestattet.

An der Kasse sammelten wir uns alle und Iris stellte meine Funde zu denen der anderen. „Das geht extra" sagte ich zur Verkäuferin. Ungläubig schaute mich Iris an „denk noch nicht mal dran, du willst uns doch wohl nicht beleidigen." Damit hielt sie die Kreditkarte hin und schon war alles bezahlt. Ich schluckte unbehaglich. Ich erinnerte mich daran, was das letze Mal passiert war, als ich etwas einfach so geschenkt bekommen hatte. Ich verscheuchte die Gedanken an die roten Dessous.

Der Rest der Einkaufstour verlief ähnlich. Am Ende hatte ich zwei neue Jeans und dazu mehrere T-Shirts und Pullover. Alles wurde mit der magischen Kreditkarte bezahlt. Am Anfang versuchte ich noch den Überblick über meine Ausgaben zu behalten, aber es waren zu viel verschiedene Teile. Naja, dann würde ich es abschätzen. Weil zurück zahlen wollte ich es auf jeden Fall. Es gab keinen Grund, warum sie mir das alles kaufen sollten – nachdem sie mir schon ein Bett gegeben hatten und für meine Verpflegung aufkamen.

Zum Abschluss setzten wir uns alle in die Eisdiele und gönnten uns Eisbecher – bei mir der mit extra Karamell- und Schokosauce.

„Na, wen haben wir denn da?" ertönte plötzlich eine mir nur zu bekannte Stimme. Als ich aufblickte, sah ich direkt in Theas Augen. „Da hast du dich ja schön aus der Affäre gezogen." Wie erstarrt saß ich da und konnte sie nur anschauen. Ich zog meine Schultern hoch und senkte den Kopf. Giftpfeile schossen in meine Richtung – womit hatte ich mir ihre Wut nur so verdient?

„Du wirst schon sehen, alles hat seinen Preis. Jahrelang hast du wie die Made im Speck gelebt – jetzt sind endlich wir dran und du bist weg. Irgendwann wirst du erfahren, was die Forderung für die jetzigen Gefallen ist." Höhnisch sah sie mich an. Das sollte der Grund sein? Dass mir mein Vater vielleicht mal das ein oder andere Mal etwas gekauft hatte und ihnen nicht? Ich konnte sie nur ungläubig mustern.

Das Schlimme war: sie hatte recht. Aktuell ließ ich mich von den anderen hier aushalten. Und ich hatte keine Ahnung, warum sie das alles machten. Das nagte an mir und ihre Worte bestärkten mich nur in meinen Plan, alles zurück zu zahlen. Und zwar so schnell wie möglich. Aber wie sollte ich das schaffen? In der Ausbildung würde ich nicht so viel verdienen und eine Wohnung musste ich auch noch mieten. Mehr und mehr sackte ich auf meinen Stuhl zusammen.

„Das reicht jetzt!" sprang Iris für mich in die Bresche. „Ich weiß nicht, wer du bist, aber willkommen bist du hier auf jeden Fall nicht." Von den anderen am Tisch kam zuständiges Gemurmel. Überrascht sah ich die junge Frau an. In den letzten Jahren hatte sich noch nie jemand auf meine Seite geschlagen. Thea hatte mit so einem Widerstand ebenfalls nicht gerechnet. Verblüfft sah sie Thea an. Dann warf sie ihren Kopf mit einer zackigen Bewegung nach hinten "ihr werdet schon sehen, was für einen Parasiten ihr da habt" bemerkte sie hochnäsig. Danach ging sie endlich weiter.

Mit dem Grübeln konnte ich nicht so schnell aufhören. Der Appetit auf mein Eisbecher war mir vergangen. Lustlos stocherte ich in den Resten, die mehr und mehr an Matsch erinnerten. Wie passend - alles, was schön war wird irgendwann zu unansehlichen Brei. Iris fasste mich an der Hand „Hör nicht auf die – sie ist nur eine ignorante Kuh." Humorlos lachte ich. Das stimmte – trotzdem musste ich ihr in einer Sache zustimmen: gerade war alles zu gut um wahr zu sein. Und je höher man klettert, desto tiefer ist der Fall. Das durfte ich nicht vergessen.

Tief in Gedanken versunken, fuhr ich mit den anderen zum Haus zurück. Obwohl die anderen versuchten mich aufzumuntern, verzog ich mich nach dem Abendessen in mein Zimmer und zeichnete.

Von Wölfen beschütztWo Geschichten leben. Entdecke jetzt