9. Kapitel

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Mike trug mich ins Haus und da kam auch schon ein Mädchen entgegen, das mir seltsam bekannt vorkam. „Da seid ihr ja, bringt sie am besten gleich ins Bad."

Die Jungs verabschiedeten sich eilig und das Mädchen ließ sofort heißes Wasser in die Wanne laufen und gab großzügig Badezusatz dazu. „Das ist nur der Schock, du badest jetzt erst mal und wäscht dir den Dreck der letzten Stunden weg." Ich wusste nicht, ob sie mich oder sich selbst beruhigen wollte. Ihre Stimme war eindeutig höher, als sie sein sollte. Sie half mir beim Ausziehen und setzte mich dann in die Wanne. „Brauchst du sonst noch was?" „Ein Wasser bitte" antwortete ich krächzend. Sofort füllte sie etwas des Kühlen Nass vom Hahn in einen Becher.

Ich versuchte es zu nehmen, aber das Zittern hatte immer noch nicht aufgehört. „Ich helfe dir" sagte sie, stützte sie mich am Rücken und führte mir das Glas zum Mund. Ich fühlte mich wie eine alte Frau, die noch nicht mal trinken konnte, ohne etwas zu verschütten. Gierig trank ich und verschluckte mich prompt. „Immer schön langsam" meinte das Mädchen. „Ich stelle dir den Becher hierhin, da kommst du ran. Ich lasse dich jetzt alleine, aber du kannst gerne rufen – ich bin gleich nebenan. Wenn du etwas brauchst, Shampoo und so steht alles hier, das kannst du gerne benutzen. Und ein Bademantel hängt hier an der Tür." Mit den Worten erhob sie sich und wollte gerade gehen. „Moment, wie heißt du eigentlich?" fragte ich. Sie schlug sich mit der Hand auf die Stirn „Natürlich, du kennst mich gar nicht. Ich bin Iris. Freut mich, dich kennen zu lernen, Maja."

Etwas verwirrt, dass sie meinen Namen bereits wusste, nahm ich die dargebotene Hand. „Freut mich auch" antwortete ich vorsichtig und lächelte etwas unschlüssig. „Mach dich ganz in Ruhe fertig. Unser Zimmer ist direkt hinter der Tür, ich hoffe du schnarchst nicht" scherzte sie.

Ich erschrak. Daran habe ich gar nicht gedacht. Unter den Umständen konnte und wollte ich nicht mehr nach Hause. Das heißt ich war obdachlos. Ein humorloses Lachen verließ meinen Mund. Was für eine Ironie, an meinen 18. Geburtstag. Nun war ich tatsächlich so schnell wie möglich ausgezogen.

Als ich alleine im Bad war beruhigte ich mich etwas. Ich tauchte mit den Kopf unter und versuchte so die Welt auszublenden und zur Ruhe zu kommen. Das Zittern ließ langsam nach und Pulsschlag und Herzfrequenz wurden wieder normal.

Etwas entfernter hörte ich ein Klopfen, dann Schritte und eine sich öffnende Tür. Zwei unterhielten sich. Ich bildete mir ein, dass die eine Stimme die von Iris war. Die zweite war eindeutig männlich. Und ziemlich aufgebracht, wie es schien. War schon jemand gekommen, um nach mir zu suchen? Nein, das kann nicht sein – niemand konnte wissen, wo ich bin. Oder doch? Ich erschauderte im heißen Wasser. Vielleicht hatten sie gerade entdeckt, dass wir geflohen waren. Die Tür wurde wieder geschlossen und nur von einer Person waren Schritte zu hören. Ich seufzte erleichtert auf. Wer auch immer es war, scheinbar konnte ihn Iris zum Gehen bewegen.

„Ist alles in Ordnung?" kam es von draußen. Das schreckte mich auf „Alles gut – ich komme gleich raus." „Schon gut, ich wollte nur sicher gehen, dass du nicht eingeschlafen bist." Wie umsichtig. Vor Rührung verdrückte ich mir ein paar Tränen. So hatte sich schon lange keiner mehr um mich gekümmert. Dann ärgerte ich mich über mich selbst. Normalerweise weinte ich nicht so leicht – bisher habe ich mich für ziemlich robust gehalten. Der Einfachheit halber schob ich meine Emotionalität auf die Ereignisse des Tages. Ich ließ das Wasser ab, wusch mir noch schnell die Haare.

An der Tür hing der Bademantel, der sogar einigermaßen passte – und sehr weich war. Ich kuschelte mich rein. Auf der Ablage des Waschbeckens lag noch eine verpackte Zahnbürste. Das nahm ich als Aufforderung und verwendete sie direkt. Mein Mund fühlte sich immer noch etwas trocken an, aber es war bereits besser geworden.

Die Haare föhnte ich etwas und nach dem obligatorischen Toilettengang, betrat ich immer noch im Bademantel gehüllt, das Zimmer.

Erst einmal blieb ich am Rand stehen und schaute mich um. An zwei gegenüberliegenden Wänden stand jeweils ein Bett, mit zugehörigem Schrank, einer Kommode und ein Schreibtisch. Fast erinnerte es etwas an ein Hotelzimmer. Nur dass alles doppelt vorhanden war und mehr Platz.

„Du siehst schon besser aus – das Bad hat geholfen" stellte Iris fest, die am Kopfende des einen Bettes saß und ein Buch laß. „Ja, vielen Dank" sagte ich mit krächzender Stimme. Ich hatte noch einiges an Wasser getrunken, aber das raue Gefühl im Hals war immer noch da.

Sie deutete auf mein Bett „ich habe dir hier einen Schlafanzug raus gelegt. Ach ja, den Koffer habe ich direkt ausgepackt. Die Jungs haben alles planlos rein geworfen, das konnte ich unmöglich so lassen. Sonst hätten wir morgen den ganzen Tag bügeln müssen." Meinte sie augenzwinkernd.

Spontan war mir Iris sympathisch. Wobei ich mir immer noch unsicher war – irgendetwas stimmte hier doch nicht. Doch bevor ich es näher greifen konnte, entwich ein herzhaftes Gähnen meinem Mund. „Na los, leg dich hin, schlaf erst mal – morgen können wir dann alles bereden."

Ich nickte bestätigend und zog mir gedankenverloren den Schlafanzug an. Selbst wenn ich gewollt hätte, könnte ich heute nicht sinnvolles mehr machen. Geschweige denn eine neue Bleibe suchen. Während ich ins Bett kletterte, fragte ich mich, ob ich nach den ganzen Ereignissen überhaupt schlafen konnte.

Es stellte sich heraus, dass ich mir darüber keine Gedanken machen musste. Kaum war mein Kopf auf dem Kissen, sank ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

Von Wölfen beschütztWo Geschichten leben. Entdecke jetzt