Ich konnte mich einfach nicht überwinden weiterzusprechen. Ich hatte diese Gefühle nicht einmal gewagt in Gedanken umzusetzen und jetzt wollte ich es in Worte fassen.
"Sondern was?", fragte Liam ungeduldig. "Warum zögerst du so als ob du mir das Geheimnis des Universums anvertrauen würdest. Bleib locker. Ich bin's. Du kannst mir alles erzählen."
"Ich weiß." Meine Brust schmerzte schon wieder. "Aber ich hab keine Ahnung wie ich dir das erklären soll."
"Oh mein Gott komm mir bitte nicht mit einer Liebeserklärung oder so was. Ich schwör ich kotze sonst.", warnte mich Liam und lachte los.
Die Nervosität verschwand und wandelte sich in Wut. "Was laberst du da für ne Scheiße? Kannst du nicht für eine Sekunde ernst bleiben?", beschwerte ich mich und stand auf.
"Warte doch man." Liam hielt mich auf. "War doch nur Spaß. Chill doch mal. Ich könnte es dir ja auch nicht übel nehmen. Ich seh nunmal verdammt gut aus."
Ich verdrehte die Augen. "Du bist tatsächlich noch unter dem Effekt der Narkose. Gib mir Bescheid wenn du wieder nüchtern bist."
"Findest du mich hässlich? Ist es das was du versuchst zu sagen?"
"Oh mein Gott Liam. Was hat es damit zu tun? Natürlich finde ich dich nicht hässlich."
Liam hob eine Braue hoch. "Aber gut aussehend auch nicht?"
Ich hatte es satt mit diesem Gespräch. "Doch Liam. Du hast das schönste Gesicht der Welt. Bist du zufrieden?"
"Nein. Du musst es überzeugender sagen."
"Ich hab dich wohl nicht hart genug geschubst da du noch so viel Scheiße labern kannst." Meine Augenbrauen zogen sich einander als mir klar wurde dass er diese Fragen über sein Aussehen nicht aus Spaß gefragt hatte. Seine Pupillen waren riesig geworden; die Augen völlig rot. "Heißt das... dass du mich tatsächlich abscheulich findest?", wollte Liam wissen; die Lippen völlig rosig und zitternd einander gepresst.
Es war ein Fehler gewesen den Effekt der Narkose vergangen einzuschätzen nur weil er eine vernünftige Lüge aufgetischt hatte. "Nein, natürlich nicht.", räumte ich meine Worte ein.
"Du kannst es auch sehen. So wie sie."
"Was meinst du?" Ich war völlig verwirrt.
"Mein wahres Gesicht. Deshalb magst du mich nicht mehr."
Für einen Bruchteil einer Sekunde dachte ich an unsere Kindergarten Jahre zurück. Der kleine Junge der mich jeden Tag gefragt hatte wie er aussah und mich jedesmal nach meiner Antwort umarmt hatte. Ich konnte mich weder an die Antwort, noch an den Grund hinter dieser Frage erinnern.
"Gib's doch zu. Nachdem was ich alles getan habe sehe ich nicht mehr wie ein wahrer Freund aus."
"Was machst du hier alleine?", hatte mich Liam damals gefragt. Es war mein erster Tag im Kindergarten gewesen. Ich kannte noch niemanden. "Ich spiele mit dem Sand.", hatte ich ihm entgegnet.
"Willst du nicht mit uns da drüben spielen?", hatte er mir vorgeschlagen und seinen Zeigefinger auf seine Freunde gerichtet die in der Weite spielten.
"Nein, danke. Ich spiele lieber alleine."
"Warum denn das? Denkst du du bist besser als wir oder was?" Im Nu war er wütend geworden.
"Nicht doch!" Ich hatte meine Schaufel zurückgelegt. "Ihr seid toll, tausend Mal besser als ich sogar! Eure Spiele sehen auch spaßig aus, aber ich möchte lieber alleine spielen."
Liam hatte sich neben mir gehockt. "Ist es nicht langweilig alleine zu spielen?"
"Natürlich nicht, es ist sogar besser! Wenn ich mit vielen Leuten zusammen spiele werde ich nämlich unsichtbar und das macht mir Angst."
"Wirklich!?", hatte Liam aufgeregt gefragt. "Kannst du mich auch unsichtbar machen?"
"Warum denn? Hast du keine Angst unsichtbar zu werden?"
Liam hatte eines der Blätter die ich gesammelt hatte in den Sand gesteckt. "Nö. Es ist gruseliger die ganze Zeit beobachtet zu werden."
Ich hatte mich verängstigt umgeguckt und begonnen zu flüstern. "Wer denn? Verfolgt dich etwa ein Geist?"
"Nein, meine Mama. Sie hat überall Augen, aber keine Angst. Ihre Augen können nur mich sehen. Das hat sie selber gesagt."
"Oh..." Ich hatte mich wieder ans Schaufeln gemacht. "Ist deine Mama eine Hexe?"
"Weiß' nicht... Ist ja auch egal. Darf ich mit dir mitspielen?"
"Was ist wenn du auch unsichtbar wirst?", hatte ich ihn völlig besorgt gefragt.
Liam steckte noch ein paar Blätter der Spur entlang die ich mit der Schaufel gezogen hatte. "Ist doch super! Dann kann ich endlich unsichtbar sein und du wirst nicht mehr alleine spielen."
"Findest du mein Spiel denn nicht langweilig?"
Liam hatte mich breit angelächelt. "Wir bauen hier gerade einen Wald. Was soll denn daran langweilig sein? Wenn unsere Bäume bis zum Himmel wachsen können wir hochklettern und werden die ersten Leute sein die auf Wolken spazieren gehen!"
Ich hatte ihn völlig fasziniert angestarrt. Seine Idee hatte mich so überzeugt dass ich ihn von diesem Tag an als "Boss" angesprochen hatte. Nicht einmal vor meiner Mutter hatte ich so viel Respekt wie Liam gegenüber gehabt. Als wir mit dem einpflanzen fertig waren hatte Liam sich die Klamotten abgeklopft. "Hoffentlich wird Mama nicht wütend dass ich im Sand gespielt habe." Er war von der Sandkiste aufgestanden und hatte sich vor mir im Kreis gedreht. "Meinst du sie wird böse? Wie seh' ich aus?"
"Wie ein wahrer Freund.", hatte ich vor mich hin geschwärmt. Es war das erste Mal gewesen dass ich jemanden so bewundert hatte. Mit seinem blonden Haarschopf der immer golden unter der Sonne geschimmert hatte, dachte ich dass er der König des Himmels war.
Diese kindische Bewunderung hatte sich mit der Zeit in einen Komplex umgewandelt dass Liam in meinen Augen immer der Beste war und ich mich nicht gut genug fühlte um mit ihm befreundet zu sein. Obwohl er immer mit mir gespielt und seine alten Freunde meistens zurückgelassen hatte, habe ich mich nie wie einen seiner Freunde gefühlt. Im Gegenteil. Ich habe immer die Angst gehabt wieder allein gelassen zu werden. Liam war die einzige Person die mich wertvoll fühlen ließ und jedes Mal wenn er neue Freundschaften schloss, kämpfte ich mit der Furcht durch sie ersetzt zu werden.
Nichts hatte sich seit dem geändert. Auch wenn diese Person meine Schwester ist oder jemand anderes war, habe ich es gehasst mir anzusehen wie er mehr Zeit mit ihnen verbrachte als wie mit mir. Ich habe weder ihm, noch seinen Freunden das merken lassen. Ich wollte Liam einfach nicht teilen, aber wie sollte ich ihm diese kranke Denkweise überhaupt erklären?
Es war das beste meine Komplexe einfach in meinem Kopf zu behalten. Ich war sowieso unsichtbar für alle. So könnten meine Gedanken auch bleiben.

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Der perfekte Liebesbrief
Novela Juvenil"Du wirst es niemals schaffen mich zu hassen.", wisperte sie gegen mein Ohr während ihre dünnen Finger über meine Brust glitten. "Du hast recht.", stimmte ich zu. "Ich werde niemals erneut solche starken Emotionen für dich fühlen." Das triumphierend...