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"Keins von beiden!", fauchte ich völlig aggressiv. "Liam ist wie du sagtest achtzehn Jahre alt. Du kannst ihn nicht zwingen mit dir mitzukommen."

"Wer sagt denn dass ich ihn zwingen werde? Denkst du er ist finanziell abhängig genug um sich eine Unterkunft zu leisten? Oder würde er von seiner Familie verzichten um hier zu bleiben?" Sie schüttelte ihren Kopf wobei sich ihre kurzen Haare umher wedelten. "Überlege es dir gut Elias."

Ich stach mir die Nägel in meine Handinnenflächen um mich zu beruhigen, doch es nützte nichts. Selbst nachdem sie weggegangen war, quoll die Wut noch immer in mir.

Diese verrückte Frau ist wirklich eine Hexe...

Vorsichtig hob ich Liam's Kopf an und versuchte aufzustehen ohne dass er wach wurde, doch ehe ich seinen Kopf auf den Kissen der Couch nieder gelassen hatte schlug er die Augen auf. "Wohin?", murmelte er noch immer völlig verschlafen.

"Nachhause, wohin denn sonst? Schlaf weiter."

Liam rutschte ein bisschen beiseite und zog mich bei der Hand zu sich. "Bleib doch hier. Du passt schon neben mir, so fett bist du nun auch wieder nicht."

"Sehr lustig Liam. Meine Mom macht sich sonst Sorgen."

Liam hob sich die Brauen hoch. "Sie ist schon zurück? Du musst dich heftig gefreut haben."

"Das habe ich auch." Ich ließ seine Hand los und wandte mich zur Tür. "Wir sehen uns in der Schule."

Liam vergrub sein Gesicht im Kissen und winkte mir mit einer Hand zu ohne mich anzusehen. "Bye bye."

* * *

Die kalte Nachtluft erfror meine ganzen Glieder. Zitternd warf ich mir die Kapuze über den Kopf und steckte die Hände in meine Taschen. Die Müdigkeit war völlig verschwunden, doch meine Gedanken wirrten erneut unkontrollierbar durch meinen Sinn. Die Fliesensteine auf dem Gehweg wirkten so als ob sie niemals enden würden. Plötzlich sah ich ein Paar Schuhe vor mir und der Prall verspätete sich keine Sekunde.

"Sorry.", entschuldigte sich das Mädchen und rückte ihre Kapuze zurecht. Meine Augen trafen ihre und in dem Moment spürte ich wie mein Herz ein paar Schläge hintereinander durchzog. "Thalia?", nannte ich ihren Namen, ohne meine Blicke von ihr zu wenden.

Ihre Augen erweiterten sich als sie mich sah. "Du bist doch Elias aus unserer Klasse.", sagte sie und wischte sich sofort die Tränen weg, die ich erst jetzt bemerkt hatte. Sie ordnete ihre Lippen sofort zu einem Lächeln.

"Ja, aber... Was machst du denn um diese Zeit alleine?"

Obwohl ihre Augen vom Weinen völlig aufgeschwollen waren, hatten ihre smaragdgrünen Iris kein bisschen an ihrer Schönheit verloren. Selbst das gedämpfte Licht der Straßenlaternen reichte um die kräftigen Farben ihrer Iris zum Vorschein zu bringen. "Das könnte ich dich auch fragen.", meinte sie und verschränkte die Arme unter der Brust.

Mir wurde plötzlich klar wie sich meine Frage angehört hatte und ich fiel in Panik. "Eh- Also... Natürlich musst du mir nicht antworten. Ich hab mich nur gewundert dich hier zu sehen."

Thalia hielt sich die Hand vor den Mund und lachte lieblich. "Kein Grund zur Panik. Ich... wollte einfach nur kurz nach Luft schnappen."

"Verstehe.", ich konnte kein weiteres Wort aussprechen. Ich war wie erstarrt, doch mein Herz raste wie verrückt. Ihr Dasein hatte mich so aufgeregt dass ich nicht einmal richtig denken konnte. Etwas musste sie verletzt haben, aber wie sollte ich sie denn danach fragen? Ich war in keiner Position um ihre persönlichen Anlässe zu erfahren.

"Und du?", riss mich Thalia aus den Gedanken.

"Ich? Wer ich bin?" Meine Atemzüge schmerzten in meiner Luftröhre. Hatte ich ihre Frage überhört? Über was hatten wir überhaupt gesprochen?

Thalia lachte dieses Mal ohne ihre Hand vor ihren Mund zu stellen und ich konnte nach langer Zeit wieder ihr zauberhaftes Lächeln sehen. Mir wurde plötzlich warm ums Herz. Die Atemzüge taten mir nicht länger weh. Das einzige was ich spürte war ihr Dasein, alles andere umherum verschwamm von meiner Sicht. "Anscheinend hast du auch so einiges um die Ohren.", kommentierte Thalia als sie mich behutsam musterte.

"Haben wir das nicht alle?", kam es plötzlich von mir. Ich bereute meine Worte sofort die ohne jenen Gedanken einfach von meinen Lippen gefallen waren.

"Stimmt." Thalia richtete ihre Blicke geradeaus zum Ende der Straße, die in meine entgegengesetzte Richtung führte. "Wenn du auch nur spazierengegangen bist, wollen wir ein bisschen zusammen gehen?"

Meine Mundwinkel schoben sich automatisch hoch. "Gerne.", stotterte ich. Am liebsten hätte ich ihre Hände mit meinen verschränkt und sie in meinen Taschen erwärmt, doch ich konnte nur an ihrer Seite mit ihr im Takt durch die Nacht spazieren. "Ich weiß dass es mich nichts angeht, aber... Darf ich fragen warum du geweint hast?"

Thalia biss sich auf die Lippe und starrte hoch um die Tränen aufzuhalten die sich erneut mit meiner Frage gebildet hatten. "Es ist nichts ernstes. Ich... habe einfach nur Heimweh."

"Bist du hier alleine hingezogen?"

"Nein." Thalia zwang sich ein Lächeln auf die Lippen. "Meine Familie ist zwar hier, aber die Menschen die mich Zuhause fühlen ließen fehlen mir... sehr."

"Das tut mir leid... Ich hoffe du kannst sie in kürzester Zeit wieder sehen."

"Das kann ich, aber diese Menschen wollen mich nicht mehr sehen."

Völlig verwirrt blickte ich zu ihr. "Warum denn das?"

"Ich weiß es nicht.", hauchte sie verzweifelt. "Ich kann keinen von ihnen erreichen. Weder telefonisch noch übers Internet. Es ist so... als ob sie nur mir so nah ans Herz gewachsen wären." Sie hielt plötzlich an, starrte zu Boden und presste die Lippen zu einer dünnen Linie zusammen. "Bin ich ihnen wirklich so egal gewesen?"

Ich wusste nicht was man über solch eine Situation sagen könnte, also konnte ich nichts weiter tun als zu schweigen. "Es tut mir wirklich leid Elias. Ich rede dich mit meinem Unsinn voll. Wenn ich einmal anfange zu reden schaffe ich es einfach nicht mehr meine Klappe zu halten.", entschuldigte sie sich und sah beschämt zur Seite.

"Nicht doch." Ich legte meine Hand vorsichtig auf ihren Rücken. Mein ganzer Körper prickelte durch diese leichte Berührung, so als ob ich eine Achterbahn hinunter fahren würde. "Das ist kein Unsinn, aber ich finde dass da was anderes dahinter steckt."

"In... wie fern?"

Ich musste sofort an Liam's Mutter denken. "Ich weiß es nicht, aber es ist nicht normal dass du deine Freunde seit deiner Ankunft nicht mehr erreichen kannst. Wenn ihr keinen Streit oder sonst einen Vorfall hattet, muss es einen anderen Grund geben."

"Was ist wenn sie mich sowieso nie mochten und jetzt wo ich in ein anderes Land umgezogen bin mich einfach loswerden wollen?"

Ich nahm meine Hand von ihrem Rücken hinweg und betrachtete ihr besorgtes Gesicht, welches ich wieder glücklich sehen wollte. "Dich kann man nicht loswerden wollen." Ich hatte mich schon wieder in den Farbdimensionen ihrer Iris verloren. "Das ist unmöglich."

Eine leichte röte machte sich auf ihren Wangen breit. "Wa-warum denn das?"

Ich löste mich sofort aus der Starre. "Ehm- Also ich eh... Ich meine das... Wollte sagen das man seine Freunde niemals loswerden wollen würde, denn dann... wären sie ja keine wahren Freunde gewesen. Ist es nicht kalt? Ich glaub ich sollte wieder zurück. Gute Nacht!", hatte ich ihr die Sätze in reinster Panik aufgezählt. Mein Herz pochte wie wild. Ich hatte die ganze Konversation so was von versaut.

Ehe ich mich zum Rückweg gewandt hatte, spürte ich eine Wärme auf meiner Hand. Es war Thalia gewesen die mich festhielt. "Bleib."

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