18. Kapitel

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Nicht gerade anmutig, aber zweckmäßig kletterte Tupfenherz auf das Dach des Zweibeinernestes. Yuki, die bereits oben saß, lächelte sie schelmisch an und beobachtete jeden ihrer Schritte.
Klettern war noch nie ihre Stärke gewesen und Schlammnase hatte sie damals nur auf den einen oder anderen Baum hochbekommen, weil sie Honig für den Clan gebraucht hatten. Höhen waren der ehemaligen Heilerin schon immer nicht ganz geheuer gewesen und es war ihr, als würde Schlammnase anstatt der Siamkatze kichernd zu ihr herunterschauen und ihr zuzwinkern.
Oben angekommen setzte sie sich, ein Keuchen unterdrückend, zu der Kätzin mit dem hellen Pelz und starrte mit großen Augen und offenem Maul über die Stadt. Der Ausblick war... imposant, gelinde gesagt. Unzählige weitere Dächer in verschiedensten Farben waren zu sehen, welche leuchtende „Dingse" auf sich trugen und strahlten wie die Sterne am Silbervlies.
„Das ist... es ist...", doch die Verstoßene hatte einfach keine Worte für den Anblick, der sich ihr bot und die Kätzin an ihrer Seite nickte zustimmend.
„Ich weiß.", miaute Yuki freundlich und stupste die Getupfte in die Seite. „Es ist beeindruckend, nicht wahr?"
„Ja.", antwortete Tupfenherz atemlos und konnte dabei den Blick nicht vom Horizont abwenden.
Mittlerweile waren einige Tage vergangen, in denen sie sich beinah ununterbrochen um Michail gekümmert hatte – seine Wunden verheilten gut und seine Schmerzen waren auch ohne Mohnsamen kaum mehr zu spüren. Mit der jungen Siamkatze, Yuki, hatte sie sich bereits ein wenig angefreundet und bereitwillig hatte diese ihr von der Vergangenheit ihrer Gruppe erzählt. Obwohl es sie eigentlich nichts anging, hatte die Getupfte nur zu bereitwillig jedes ihrer Worte aufgesaugt.
Nachdenklich ließ die Verstoßene ihren Blick über die Weite hinauf zum Himmel schweifen.
Oh Silberstern... es ist ein bisschen wie ein Zuhause, aber eben nicht ganz... ich vermisse meinen Wald, meine Mama, Falkenfeder und Schlammnase... sie alle fehlen mir so...
Yuki schmiegte sich an sie, als könnte sie ihre Gefühle erspüren und wolle ihr Trost spenden.
„Shin'ainaru, so ging es mir damals auch...", flüsterte sie ihr zu und legte den dünnen Schweif um ihre Flanke. Liebes., Tupfenherz schmunzelte leicht, denn langsam gewöhnte sie sich an die verschiedenen Zungen, die die drei Katzen manchmal sprachen. Es hatte mit ihrer Vergangenheit zu tun, so viel wusste sie bereits.
Jede, der drei Katzen, war vor mehreren Blattwechseln mit ihren Zweibeinern in diese Stadt gekommen und dann von ihnen hier zurückgelassen worden. Einst Hauskätzchen lebten sie nun gemeinsam in einer Art Gemeinschaft und kämpften um ihr Überleben.
Wie konnten sie ihnen das nur antun?! Mitnehmen und zurücklassen, als wären sie Krähenfraß! Typisch Zweibeiner..., dachte sie und unterdrückte nur mit Mühe ein unwilliges Grummeln. Nicht, dass Yuki noch dachte, ihre Geste wäre damit gemeint.
Jeder von ihnen war von weit hergekommen und doch hatten sie sich hier getroffen und waren zu einer Familie zusammengewachsen, hatten dieses Nest hier entdeckt und lebten seither hier gemeinsam. Das klingt schöner: Familie.
Yuki war aus einem Territorium gekommen, in dem alle gesprochen hatten, wie sie es manchmal tat.
Die Zweibeiner waren eher klein gewesen und lächelten immerzu. Die Siamkatze hatte ihr anvertraut, wie sehr sie manchmal ihre Heimat vermisste und nach Hause sehnte.
Auch Pierre kam von weit her, aus einem Territorium, in dem Zweibeiner ständig aufeinander hockten und sich die Zunge gaben. Tupfenherz hatte leichte Schwierigkeiten gehabt sich das vorzustellen, doch für Pierre schien das völlig normal zu sein.
Und Michail – ihr strich ein warmer Schauder über den Rücken, wenn sie an den dunklen Kater dachte. Michail war ein spezieller Fall. Nachdem sein Leben außer Gefahr war und seine Verletzungen zu heilen begannen, hatte sie auch ihn genauer betrachten können. Obwohl sie nicht wusste, was es bedeutete, bekam sie jedes Mal leichtes Bauchkribbeln wenn sie in seiner Nähe war.
Der sibirische Waldkater kam aus einem kalten und kargen Territorium, wo die Zweibeiner in kleinen Hütten in einer weiten Wiesenlandschaft lebten.
Er nannte sie: moy tselitel', seine Heilerin, wenn sie seine Verbände wechselte und jedes Mal musste sie zaghaft lächeln dabei. Sein dunkles, langes Fell und seine tief gelben Augen gefielen ihr ausgenommen gut, auch wenn sie keine Ahnung hatte, was sich da genau in ihrem Inneren abspielte.
Oh Falkenfeder... du wüsstest gewiss, was das ist., sie lächelte leise. Du wusstest zwar nicht immer Bescheid, was deine Gefühle anging, aber meine konntest du stets deuten.
Geistesabwesend begann sie Yuki zu putzen, während sie den Horizont weiterhin betrachtete und die Siamkatze schnurrte wohlig auf dabei.
„Weißt du, wenn du möchtest... kannst du gern für längere Zeit bei uns bleiben.", maunzte sie dann leise und ein kleines Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. „Michail kommt oft in Schwierigkeiten. Besonders wenn er auf Scar trifft. Und da könnten wir eine Katze, die so nett und wissend ist wie du gut gebrauchen."
Die Verstoßene zuckte mit einem Ohr. „Scar?" Yuki nickte und ihr Blick lag dabei im Schatten.
„Er ist ein bösartiger Kater und verhöhnt Pierre dafür, dass er... dass er andere Kater gern mag.", die Kätzin war immer leiser geworden gegen Ende und verstummte einen Moment, um ihre Reaktion abzuwarten.
„Andere Kater?", die Heilerin war sehr erstaunt und legte den Kopf fragend schief.
Man kann Katzen desselben Geschlechts lieben? Das wusste ich gar nicht... Aber... warum eigentlich nicht?, ihre Ohren zuckten nachdenklich.
„Ja. Ich verstehe nicht warum er das tut, immerhin können wir ja nicht beeinflussen, wen wir lieben.", sie warf Tupfenherz einen vielsagenden Blick zu und der jungen Heilerin wurde plötzlich sehr warm. Nein, das können wir nicht. Die Liebe ist ein seltsames Gut.
„Ich verstehe was du meinst...", die getupfte Kätzin begann sich nachdenklich und etwas peinlich berührt das Brustfell zu putzen.
„Und Michail... immer wieder lässt er sich davon zur Weißglut treiben. Er ist ein kleiner Hitzkopf.", Yuki schmunzelte leise, wenn auch etwas traurig. „Er erträgt es nicht, dass sie Pierre verspotten – Baka! – und lässt sich immer wieder auf einen Kampf mit ihnen ein. Er ist stark und groß, aber gegen vier kampferprobte Katzen kommt er nicht an..."
Die ehemalige Heilerin machte große Augen und blickte dann empor zum Himmel.
„Armer Michail... deswegen hat er also diese Narben...", flüsterte sie. Er ist ein Krieger, der seinen Freund beschützen will. Vor physischer, wie psychischer Gewalt...
„Ja... leider. Aber wenn du bleibst... vielleicht könnten wir ihn zusammen von diesen Dummheiten abhalten...?", abwartend musterte sie die Siamkatze und ihre eisblauen Augen funkelten.
„Ja... ich bleibe.", erwiderte sie langsam und in ihrem Inneren war sie sich sicher, dass sie das Richtige damit tat.
Das hier ist jetzt mein neuer Clan. Meine neue Familie und die werde ich auch beschützen! Yuki, meine neue Schwester, Pierre, mein neuer Bruder und Michail... mein... mein..., wieder wurde ihr warm und das Kribbeln kehrte in ihren Bauch zurück. Aus der Verstoßenen war wieder ein Clanmitglied geworden und das fühlte sich ausnehmen gut an.

Bild von @_stemginger_ (Instagram)

The Betrayal Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt