23. Kapitel

1 0 0
                                    

Tupfenherz schlief in den nächsten Tagen, wenn sie es überhaupt schaffte einzuschlafen, schlecht. Bilder von einer blutüberströmten Falkenfeder oder eine unnatürlich verrenkt daliegende Baumblatt suchten sie in ihren Träumen heim. Obwohl der WaldClan sie verstoßen hatte, war es reine Folter ihre Mutter und ihre Schwester so sehen zu müssen.
Stöhnend rollte sie sich von einer auf die andere Seite, erwachte dann keuchend erhitzt und unsicher, ob sie ihrem Traum entronnen war.
Einige Tage sahen die Stadtkatzen sich ihre Qual von außen an, dann nahm Michail sie an einem Nachmittag zur Seite, während Yuki und Pierre auf der Jagd waren.
„Kak dela, mein Schatz? Was bedrückt dich?", seine tiefe Stimme beruhigte ihr Herz und so drückte sie ihren Kopf in sein dichtes, weiches Fell.
„Ich... ich hatte einen Traum.", flüsterte sie und Michail nickte nur, abwartend was sie ihm erzählen mochte.
„Ich habe dir doch erzählt, dass Heiler und ihre Ahnen sich manchmal die Zunge geben.", wieder flüsterte sie und wieder antwortete er ihr mit einem leichten Nicken. „Ich hatte seit längerem wieder ein Treffen mit meinen Ahnen, dem SternenClan. Sie sagten mir, dass die Krankheit, an der meine Nichte gestorben ist, noch immer in meinem ehemaligen Clan grassiert."
Ernst sah sie ihm in seine Augen, seine schönen gelben Augen. Erst wollte der Sibirische Waldkater erneut nicken, doch dann schüttelte verwirrt den Kopf.
„Warum du? Sie haben dich verstoßen, wo sie nichts Wertvolleres hatten als dich. Mäusehirne.", das letzte Worte zischte er nur. „Warum besuchen sie dich immer noch?"
„Ich... ich weiß. Doch der WaldClan hat nun keinen Heiler mehr, da Schlammnase zu ihnen gegangen ist. Sie verlangen von mir zurückzugehen.", müde ließ sie den Kopf hängen und senkte ihre Ohren ein wenig mehr.
„Und... willst du das denn?", fragte er leise und in seinem Ton schwang ein leiser Hauch von Besorgnis mit. Will ich das?
„Ich weiß es nicht.", maunzte sie ehrlich und ihr Gefährte legte sanft seinen Schweif um ihre Schultern. „Ich bin immer noch verletzt und jetzt habe ich euch. Doch mein Herz sagt mir, dass Katzen leiden, obwohl ich ihnen helfen könnte und das schmerzt."
Ihre Schultern sanken herab und Tränen stiegen in ihre Augen.
„Ich weiß nicht was ich tun soll!", haltsuchend presste sie sich an ihren Herzenskater. „Und da ist noch etwas.", die Tränen rannen über ihre Wangen und doch war dies ein Lichtblick in diesen dunklen Tagen, nein mittlerweile dunklem Mond, gewesen.
„Wovon sprichst du?", Michail putzte sie sanft und schnurrte leise, um sie zu beruhigen.
„Wir... wir bekommen Junge. Du und ich. Ich konnte zwei ertasten.", Tränen verschleiert lächelte sie ihn an und der schwarze Kater stellte verblüfft die Ohren auf. „Junge?! Wirklich?"
Stürmisch zog er die ehemalige Heilerin an sich und berührte zärtlich ihre Nase mit der seinen.
„Zamechatel'nyy! Das ist einfach wundervoll!", miaute er voller Inbrunst und putzte mit sanften Strichen über ihren Bauch. Tupfenherz beobachtete ihn schmunzelnd und wehmütig zugleich.
Ich kann meine Junge nicht solch einer Gefahr aussetzen., war ein Gedanke, der ihr durch den Kopf fuhr. Heiler dürfen keine Junge haben. Darf ich nun keine Heilerin mehr sein?, ein anderer.
Und wenn ja, sollte ich dann wirklich zurückkehren?
Gedanken über Gedanken wirbelten in ihr umher und die getupfte Kätzin fühlte sich, als würde alle Last der Welt auf ihren schmalen Schultern lasten. Hätte ich nicht schon längst zurückkehren müssen? Direkt nach meinem Traum?
„...Tupfenherz? Tupfenherz!", Michails Stimme drang wie aus weiter Ferne zu ihr durch.
„Mhm? Ja?", miaute sie und blinzelte zu ihm empor.
„Geh raus an die Luft. Trübsal blasen bringt wirklich nichts. Bekomm deinen Kopf frei und heute Abend sprechen wir alle darüber – wir als Gruppe, als Freunde, als Familie. In Ordnung?", voller Zuneigung blickte er sie an und putzte ihr sanft über den Kopf, während er auf ihre Antwort wartete.
Zustimmend nickte sie und stemmte sich dann auf die Pfoten.
„Ich werde Kräuter sammeln gehen. Die können wir, egal welche Entscheidung wir treffen werden, sicherlich gebrauchen."
Geschickt nahm sie ihre Kräutertasche auf, schmiegte sich kurz an ihren Gefährten, flüsterte ihm ein: „Ich liebe dich.", ins Ohr und tappte im Anschluss aus dem Zweibeinernest, welches ihr in den letzten Monden so sehr ans Herz gewachsen war.

Verschiedene Kräuter füllten ihre Tasche bereits, doch nun schloss sie erneut ihre Augen und dachte fest an Kamille. Stellte sich hochkonzentriert ihren Geruch, ihren Geschmack und ihr Aussehen vor.
Wie gewohnt erschien das gelbe Band vor ihren Augen. Hin und wieder versuchten trübe Gedanken sie zu beeinflussen, doch dann schüttelte sie nur den Kopf und konzentrierte sich auf ihre Arbeit.
Gemeinsam werden wir es entscheiden. Ich muss das nicht allein tun. Vielleicht würden sie ja sogar mitkommen? Und ihr – meine ungeborenen Junge – was ist mit euch? Wollt ihr im Wald oder lieber hier in der Stadt geboren werden und aufwachsen?
Nachdenklich starrte sie in den Himmel, doch dann besann sie sich und schüttelte erneut den Kopf.
„Heute Abend werden wir es besprechen.", flüsterte sie und folgte weiter dem gelben Faden.
Nachdem sie über einen großen Donnerweg gelaufen war, entdeckte sie ein Büschel Kamille und pflückte reichlich, um es in ihrer Kräutertasche zu verstauen. Jetzt zählt die Arbeit.
Ihr Nacken prickelte und erstaunt hob Tupfenherz den Kopf, um über die ‚Stadtlichtung' in zwei eisblaue Augen zu blicken.
Diese Augen ließen ihr Herz einen Schlag aussetzen, denn diese Augen waren ihr so vertraut, wie kaum ein anderes Paar.
„Was...?", flüsterte sie entsetzt, als die Kätzin, der dieses Paar Augen gehörte, langsam auf sie zu schritt.
Schmerz durchzuckte ihr Gesicht, die Narben über ihrem Auge brannten und die junge Heilerin schien wie auf dem Boden angewurzelt.
„Tupfenherz.", maunzte Falkenfeder und ihre Stimme hatte sich verändert, seit sie diese zum letzten Mal gehört hatte. Sie war tiefer, ehrfurchtgebietender geworden und strahlte eine Ruhe aus, die der getupften Kätzin das Blut in den Adern gefrieren ließ.
„Falkenfeder.", flüsterte sie. „Was willst du hier?"
„Ich bin gekommen, um dich nach Hause zu holen.", antwortete die braun getigerte Kätzin schlicht.

Bild von @_yoezzart_ (Instagram)

The Betrayal Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt