20. Kapitel

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Vereinzelt blitzten die Sterne am Silbervlies auf, während die Wolken gemächlich über sie hinweg zogen.
Tupfenherz drückte ihre Nase an eine durchsichtige Scheibe, welche kalt wie Eis war, aber bei ihrer Körperwärme nicht schmolz und dachte angestrengt nach.
Aufmerksam beobachtete sie das stille Funkeln und spürte doch nur die allumfassende Leere in ihrem Inneren.
Nie wieder werde ich im Heilerbau seinen Geruch auffangen und nie wieder werde ich an ihn eingekuschelt einschlafen... Er ist nicht mehr da., erneut stiegen ihr die Tränen in die Augen und ein leises Schniefen entwich ihrer kleinen Kehle.
Natürlich wusste sie, dass es ihm jetzt besser ging dort oben im SternenClan und dass sie ihn in ihren Träumen besuchen konnte. Zumindest in einigen wenigen.
Und doch war das nicht dasselbe – Schlammnase – ihr Freund und Mentor, ihr Beinah-Vater und neben Falkenfeder ihr engster Vertrauter.
Ich konnte dir nicht helfen... dich nicht retten. Wenn ich im WaldClan gewesen wäre, vielleicht hättest du dann nicht sterben müssen., sie konnte die Tränen nun nicht mehr zurückhalten, obwohl ihr bewusst war, dass sie seinen Tod mit ziemlicher Sicherheit nicht hätte verhindern können und es nicht ihre Schuld gewesen war.
Doch jetzt, wo sie wusste, dass er nicht mehr da war, vermisste sie ihn nur noch mehr: ihren besten Freund.
Von den Tränen verschleiert ließ sie ihren Blick schweifen und erblickte einen hässlichen, mit Kratzern übersäten Kater über die Donnerwege schleichen.
Ruckartig und entschlossen wischte Tupfenherz die Tränen mit der Pfote aus dem Gesicht, als sie ihn erkannte.
"Dir kann ich nicht mehr helfen, Schlammi. Aber ihnen...", flüsternd sah sie zu Yuki, deren Flanke sich rhythmisch hob, zu Pierre, der seinen Schweif um die kleine Siamkatze gelegt hatte und zu Michail, der sein plüschiges Fell aufgestellt hatte und damit aussah, wie ein riesiger Flauscheball. "...ihnen kann ich helfen. Und ich habe da auch schon einen Plan.", ihre bernsteinfarbenen Augen funkelten ungewohnt böse im Dunkeln.
Lautlos sprang sie von ihrer erhöhten Position herab und trottete zu dem Sibirischen Waldkater, der so friedlich vor sich hin schlief.
"Michail?", flüsternd stupste sie den großen Kater an, um die anderen Beiden nicht aus ihren Träumen zu reißen.
"Da?", murmelte er verschlafen in seiner fremden Zunge und zuckte mit einem seiner Schnurrbarthaare. Seine gelben Augen weiteten sich, je länger sie in sein großes, flauschiges Ohr sprach und ihm ihren Plan in allen Einzelheiten erläuterte.

Tupfenherz fühlte sich unwohl. Ihr getupftes Fell prickelte unangenehm und ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt.
Die vier Katzen saßen auf einer Art ‚Lichtung‘ innerhalb der Stadt. Es war eine kleine Wiese, von drei Seiten mit riesigen grauen Zweibeinernestern umgeben.
Die junge Heilerin betrachtete Michail unsicher, der mit hocherhobenem Kopf dasaß und auf ihre, nun ja, Gäste wartete.
Pierre und Yuki saßen ängstlich rechts und links, in einer zweiten Reihe, neben ihm – nicht wissend, was als nächstes geschehen würde.
Beide warfen sich immer wieder Blicke zu und Tupfenherz konnte den Angstgeruch riechen, den sie verströmten. Es tat ihr leid sie im Unwissen zu lassen, doch nur so, würde nicht auffallen, dass es hinter dieser Aktion einen Plan gab.
In meinem Plan sind so viele Lücken..., unsicher begann sich die getupfte Kätzin das Brustfell zu putzen und sich auf ihren Herzschlag zu konzentrieren. Was wenn er nicht so ein Angsthase ist, wie ich glaube? Oder etwas schief geht?
Besorgt blickte sie zu dem wolkenverhangenen Himmel empor, in der Hoffnung ein Zeichen zu erhalten.
Das Gesetz der Heiler besagt, dass Heiler nie diejenigen sind, die Streitereien und Kämpfe beginnen... aber das tue ich ja eigentlich auch nicht, oder? Wenn alles nach Plan läuft, ist dieser endlose und sinnlose Kampf endlich vorbei und sie können in Sicherheit leben.
Unauffällig blickte sie zu Michails Krallen, die er ausgefahren hatte und die unauffällig schimmerten, als wären sie angefeuchtet worden.
In diesem Moment traf ein kleines Rudel aus vier Katzen auf der Stadtlichtung ein.
Alle Katzen trugen Halsbänder gespickt mit Katzen- und Hundezähnen und ihre Augen glühten blutrünstig und bösartig. Dennoch lächelte Tupfenherz, da sie sich in ihren Gedankengängen bestätigt sah und nickte innerlich.
So wie sie ihm hinterherlaufen, wie kleine, hässliche Junge, werden sie auch auseinanderströmen, wenn er plötzlich nicht mehr da ist. Mitläufer, nichts weiter. Streuner..., dachte die Clankatze abfällig und blickte zu dem dunklen Kater, dessen Muskeln sichtbar angespannt waren.
Er kann es schaffen, er muss es schaffen...
"Zdravstvuyte!", miaute er grollend mit verengten Augen.
Scar, ihr Anführer mit schmutzig grauem Fell und dem eingerissenen Ohr, lachte nur boshaft.
"Moin, Fettsack, und die Schwuchtel ist ja auch wieder da!"
Der Sibirische Waldkater knurrte leise, rührte sich aber nicht vom Fleck.
"Itak...", miaute er langgezogen. "Wir möchten dieses Spiel ein für alle Mal beenden. Nur du und ich, jetzt und hier. Wenn du gewinnst, werden meine Freunde und ich die Stadt verlassen.", Yuki stöhnte leise bei diesen Worten auf, doch Michail sprach im selben Moment weiter. "Doch verlierst du: wirst du uns nicht mehr belästigen und deinen räudigen Hintern hier nicht mehr sehen lassen!"
Die hellen Augen des vernarbten Streuners funkelten siegessicher, denn in seinen Augen war der verletzte Kater eine leichte Beute.
Tupfenherz schmunzelte innerlich, denn was ihre Freunde nicht wussten, war dass sie Michail nur so aussehen ließ, als wäre er noch von den Wunden geschwächt.
In Wirklichkeit ging es dem schwarzen Kater deutlich besser und seine Wunden heilten durch ihre Kräuter vorbildlich.
"Warum nicht!", schnarrte Scar kalt und lächelte breit.
"Doch diesmal lasse ich dich nicht zum Ausbluten zurück, sondern kümmere mich höchstpersönlich um dein Ende!"
Ohne auf ein weiteres Wort zu warten, sprang er mit ausgefahrenen Krallen auf Michail zu.
Dieser wartete den richtigen Moment ab, machte geschickt einen kleinen Schritt zur Seite und zog die Krallen seiner rechten Vorderpfote über den ungeschützten Bauch seines Angreifers.
Tupfenherz sog hörbar die Luft ein, während Scars Kammeraden laut gröhlten und mit den Pfoten auf den Boden schlugen.
Jetzt wird es sich zeigen... SternenClan, steh uns bei..., betete sie im Stillen. Der Streuner kam auf seinen vier Pfoten auf und wollte gerade losspringen, als... seine Muskeln verkrampften sich, während er die Augen vor Entsetzen weit aufriss bis schließlich das Weiße darin zu sehen war.
"Wa...?", doch zu mehr kam er nicht, denn da hatte die Paralyse bereits sein Gesicht erreicht.
Stocksteif stand er da, während Krämpfe seinen Körper durchfuhren und jegliche Bewegung unterdrückten.
Michail warf einen sanften Blick auf Tupfenherz, dann trat er langsam vor und gab Scar einen leichten Stoß. Dieser verlor somit sein hart erkämpftes Gleichgewicht und kippte wie zu Stein erstarrt, ganz langsam zur Seite. Nur seine Augen, die ängstlich hin und her kreisten, konnte er bewegen, als er so am Boden lag.
"Ty proigrala...", flüsterte er in Scars Ohr und grinste breit. "Verloren."
Dann blickte er zu dessen Kameraden, die ihn nicht weniger angsterfüllt ansahen und gemeinsam einen Schritt nach hinten machten.
"Verschwindet.", miaute der Sibirische Waldkater nur und ehe sie es sich versah, waren sie auch schon verschwunden.
Pierre und Yuki starrten Michail sprachlos an, dann wandte sich die Siamkatze an Tupfenherz.
"Das warst du, nicht wahr? Deswegen wolltest du vorhin spazieren gehen, aber wie...?", doch die junge Heilerin schüttelte nur den Kopf und tappte zu dem Streuner hinüber.
"Wirst du sie... uns... von nun an in Frieden lassen?", fragte sie ernst. "Dann blinzle jetzt zweimal."
Die Augen des narbigen Katers zuckten von rechts nach links, doch dann blinzelte er ergeben.
Sie nickte und gab Michail mit einem Schnippen ihres Schweifes ein Zeichen, der Scar mühelos aufnahm und ihn wortlos wie verabredet fortbrachte.
Pierre und Yuki schmiegten sich von beiden Seiten an die getupfte Kätzin und konnten ein erleichtertes Schnurren nicht unterdrücken.
"Ist es vorbei?", fragte der junge Kater vorsichtig und blinzelte unsicher.
Ich bin mir nicht sicher... doch ich glaube er wird nicht zurückkehren. Er musste erleben, was es heißt völlig hilflos zu sein, das hinterlässt Spuren.
"Ja. Es ist vorbei.", miaute sie dann und putzte beiden sanft über die Köpfe.
"Arigato. Arigato gozeimasu.", flüsterte Yuki immer wieder und Tränen der Freude wie der Erleichterung liefen über ihre Wangen.
Nichts zu danken. In einem Clan hilft man sich wo man nur kann.
Ihren Schweif hatte sie beschützend um den geschmeidigen, schwarzen Kater gelegt und sorgsam putzte sie Yuki über nasse ihre Wange. Mein Clan. Von mir gewählt.

Bild von @shallowmistart (Instagram)

The Betrayal Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt