#12 - Die Ruhe vor dem Sturm

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-Luna-

Bei meiner Ärztin angekommen gehe ich zuerst zur Anmeldung, lasse dort meine Krankenkarte einlesen und schildere mein Belangen. Anschließend verbringe ich einige Zeit im Wartezimmer und lasse meinen Blick über die Überschriften und Artikel der ausliegenden Klatschblätter fliegen. Immer wieder schlage ich eine Seite auf, bei der die Überschrift vielversprechend klingt, doch stelle ebenso schnell fest, dass die Artikel umso schlechter verfasst und weniger interessant sind. Augenrollend stelle ich mal wieder fest, dass solch Klatschpresse einfach nichts für mich ist, sodass ich mich der Tageszeitung widme, die noch auf dem kleinen Tischen vor mir liegt, wobei ich erschreckend feststelle, dass ich mal wieder nichts vom Weltgeschehen mitbekommen habe. Letztendlich ändert sich ja sowieso ständig alles, selbst ein und dieselbe Nachricht wird tausendfach verändert und je nach Zeitung angepasst, denke ich mir. Man ist eben nie up to date, schmunzele ich. „Frau Kolibri bitte in Behandlungszimmer 2", weckt mich eine glockenklare Stimme aus meinen Gedanken und ich nicke der Schwester, die mich aufrief, entgegen. Schnell werfe ich die Zeitung zu den Zeitschriften, für die es zu schade ist auch nur einen Cent zu bezahlen und stehe auf. Die Tür des Behandlungszimmers ist bereits geöffnet, trotzdem klopfe ich kurz an und trete dann ein. Kurz lasse ich meinen Blick durch das fröhlich eingerichtete Zimmer wandern, bis ich an meiner Ärztin Frau Murphy hängenbleibe. Diese sitzt entspannt an ihrem großen Schreibtisch und sieht mich abwartend an. Am liebsten würde ich meinen Blick von der hübschen Frau in den Vierzigern nicht abwenden, da sie etwas Beruhigendes ausstrahlt. Ich lasse meinen Blick über ihr Erscheinungsbild wandern und stelle fest, dass sie von ihrem Outfit perfekt in Szene gesetzt wird. Der schwarze Bleistiftrock und die locker sitzende blaue Bluse stehen ihr gut und setzen einen schönen Kontrast zu ihren blonden Haaren. Als ich mich auf den freien Stuhl setze, erklingt ihre melodische Stimme erneut. Ich mochte ihre Stimme schon immer, denke ich, sie könnte ebenso einem Hörbuch entstammen. „Frau Kolibri, lange nicht gesehen. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?", fragt sie mich und sieht mich nachdenklich an. Ich verfolge ihre Bewegungen verdattert, als sie sich mit ihrem Drehstuhl in meine Richtung und weg vom Computer dreht. Dabei nimmt sie ihre Brille von der Nase und führt sie zum Mund, um sie gegen ihre knallrot gefärbten Lippen zu pressen, während sie mich mustert. Diese Geste erinnert mich sofort an Addison aus Grey's Anatomy und ich muss schmunzeln. Schließlich erhebe ich mich und setze mich mit einem leichten Seufzen auf die erhöhte Pritsche hinter mir, wobei ich darauf achte das Gesicht vor Schmerzen nicht zu verziehen. Wie hatte ich vorhin nur fast noch mit Jodie schlafen können, frage ich mich und grinse bei dem Gedanken an sie. Kurzerhand steht Frau Murphy auf und kommt mit einem besorgten Blick auf mich zu. Sie legt den Weg anmutig und grazil auf ihren High Heels zurück, als wären wir in Mailand auf einem Laufsteg und nicht hier in einem Behandlungszimmer. Schön wäre es, denke ich im Stillen. „Haben Sie Schmerzen meine Liebe?", fragt mich Frau Murphy, wobei ihre Stimme einen besorgten Ton annimmt. Dabei wird mir bewusst, dass ich noch immer nicht mein Anliegen geäußert habe und sehe sie entschuldigend an. „Ein wenig vielleicht, aber es ist wohl mehr eine Routineüberprüfung", äußere ich gefasst, doch schlage mir gedanklich selbst gegen die Stirn. Eine Routineüberprüfung, natürlich Luna, denke ich kopfschüttelnd. „Obwohl man bei diesen Umständen nicht von Routine sprechen kann. Sagen wir lieber... es ist damit ich wieder ruhig schlafen kann", beende ich meine Ausführungen unsicher. Ihr Blick durchdrängt mich, als müsse sie ein spannendes Rätsel lösen, während sie weiterhin mit ihrer Brille an ihren Lippen spielt, was mir eine ungewollte Gänsehaut verpasst und mich dümmlich schmunzeln lässt. „So so, wie meinen Sie das? Ich glaube Sie sollten mir mal genau die Umstände erläutern, wieso sie heute bei mir sind und was ich überprüfen soll. Sagen Sie, ist Ihnen kalt Liebes?", fragt meine Ärztin drängend nach den Umständen, wieso ich sie aufsuche. Wüsste ich es nicht besser, könnte man meinen, dass sie mit mir flirtet. Doch dies kann unmöglich der Fall sein, oder doch, frage ich mich nachdenklich. Jedoch stelle ich fest, dass sie gewiss mit dem Feuer spielt, so ganz anders, als Jodie es immer tat, irgendwie so unprofessionell. Mich trifft der Schlag und ich rolle innerlich genervt die Augen, als ich erkenne, dass ich unbewusst andere Frauen mit Jodie vergleiche. Habe ich vollkommen den Verstand verloren, frage ich mich. Ungläubig blicke ich meiner Ärztin entgegen und überlege, ob sie wirklich mit mir flirtet oder nur nett sein will. Die grünen Augen der blonden Frau blicken mir wartend entgegen und ich seufze einmal tief durch. Anschließend räuspere ich mich und mache es kurz: „Ich wurde gestern unsittlich gegen meinen Willen berührt, aber wohl nicht zwangsläufig vergewaltigt. Nun möchte ich abklären, ob mit mir alles in bester Ordnung ist... also rein körperlich gesprochen." Dabei verlieren die Augen meiner Ärztin ihren Glanz und sie versteift sich, als wäre ihr bewusst geworden, in welcher Position sie ich befindet. Aber dabei erkenne ich auch, dass sie meine erneut gefundene kühle Art ein wenig irritiert und damit etwas in ihr zerbricht und damit erlöschen auch die Spannungen zwischen uns. „In Ordnung Frau Kolibri, ich werde einige Tests durchführen und schon einmal nach äußeren Hämatomen und ähnlichem suchen, um Schlimmeres auszuschließen", äußert sie das erste Vorgehen, „Sollen dabei Beweise erhalten werden, die der Polizei bei der Überführung des Täters dienen sollen?", fragt sie mich und sieht mich abwartend an. Ich nicke, fühle mich aber zu mehr nicht im Stande und sie sieht mich aufmunternd an. „Gut. Wenn Sie sich dann bitte entkleiden würden, bis auf die Unterwäsche sollte vorerst genügen", fordert mich meine Ärztin auf und geht dann in Richtung der großen braunen Schränke, um einige Türen zu öffnen und Utensilien herauszuholen. Ich seufze noch einmal tief durch, während ich Jodies Kleidung Stück für Stück von meinem Körper streiche und mein Herz Stück für Stück mehr bricht. Wie konntest du vorhin nur einen solchen Abgang hinlegen, nachdem dir Jodie so sehr geholfen und dich wieder aufgebaut hat... was bin ich nur für ein Monster, frage ich mich mit Tränen in den Augen. Nachdem ich mich fast vollständig entkleidet habe, spüre ich wie der Blick meiner Ärztin meinen Körper streift. Anschließend kommt sie mit den Utensilien und Test Kits in der Hand auf mich zu. Unmittelbar danach treffen ihre Finger, die in weißen Handschuhen stecken, auf einige Hämatome meiner Haut und sie streicht leicht darüber. Sie dreht sich dann kurz wieder von mir weg, um sich anschließend mit einer Kamera in der Hand zurückzudrehen. Sie schießt einige Bilder und umrundet mich dabei und rückt mich immer wieder vorsichtig zurecht. Nach einiger Zeit legt sie die Kamera wieder zur Seite und nähert sich meinem Körper erneut. „Wenn ich Sie hier berühre, verspüren Sie dann einen Schmerz?", fragt sie mich und ein Kopfschütteln meinerseits lässt sie mit ihren Fragen fortfahren, „Und hier?" So fragt sie noch einige Male nach meinem Zustand, wenn sie auf die Hämatome drückt und streicht dabei auch über meinen Brustkorb und Bauch, welche von viele Hämatome überzogen sind. Meine Gänsehaut erreicht noch einmal ein neues Level und ein unangenehmes Schütteln erfasst meinen Körper. „Entschuldigen Sie. Schmerzt es hier?", fragt sie und zeigt erneut auf meinem Bauch, „Es sind ziemlich viele Hämatome, teilweise stark blutunterlaufen." Sie sucht meinen Blick, während ihre Finger meinen Körper verlassen und stattdessen ihre Brille, welche in ihren blonden Haaren steckt, ergreifen sowie zu ihrer Nase führen. „Es schmerzt, aber nicht so, dass es nicht aushaltbar wäre... selbst bei Berührungen ist es aushaltbar. Aber schön ist es auch nicht. Schon gar nicht, wenn ich darüber nachdenke, wie all diese blauen Flecken und Kratzer auf meinen Körper gekommen sind", antworte ich ihr und höre wie meine Stimme zittert. Ein leichtes Nicken ihrerseits folgt, als wisse sie nicht, was sie erwidern könnte.
„Wir machen nun den Abstrich, ob es zur sexuellen Handlung gekommen ist und dabei dann gleich noch einen Schwangerschaftstest zur Sicherheit", fährt sie in den Untersuchungen fort. Mir weicht jegliche Farbe aus dem Gesicht und eine unfassbare Übelkeit erfasst mich. Meine Gedanken wandern zu Jodie und mir wird bewusst, dass ich mir gewünscht hätte, dass sie nun bei mir wäre und meine Hand halten würde. Unmittelbar nach diesen Gedanken laufen mir heiße Tränen über die Wangen und ich erkenne, dass ich alles versaut habe. Zum ersten Mal an diesem Tag wird mir wahrlich bewusst, wieso ich überhaupt einen Arzt aufsuche und was gestern Abend geschehen ist, was mich nur noch mehr weinen lässt. Bisher hatte ich es unterbewusst und dank Jodie sowie meinen Gedanken an sie gut verdrängt, doch jetzt erfasst mich die Erkenntnis wie eine Flutwelle. Was mache ich, wenn ich wirklich vergewaltigt wurde und schwanger sein sollte, frage ich mich fieberhaft. Wie soll ich ein Kind aufziehen, was nicht aus Liebe, sondern Gewalt und Zwang entstanden ist? Wie soll ich ein Kind lieben, was von einem Mann gezeugt wurde, den ich nicht einmal kenne? Würde ich dieses Kind in mir heranwachsen lassen, aufziehen und lieben können? All diese Fragen schießen mir durch den Kopf und ich verliere immer mehr den Blick für die Realität, nehme nicht mal mehr mein Umfeld oder meine Tränen wahr. Erst die Berührung meiner Ärztin an meinem Arm lassen mich aus meiner dunklen Welt der Fragen und Ungewissheit entfliehen. „Frau Kolibri? Ist alles in Ordnung?", fragt sie mich mit einem besorgten Gesichtsausdruck. Schnell streiche ich mir einige Tränen aus den Augenwinkeln, räuspere mich und versuche meine Gedanken zu fokussieren. -Ja, danke. Ich dachte nur gerade an die Folgen... Ich nehme keine Pille, da ich für gewöhnlich keinen Geschlechtsverkehr mit Männern pflege. Was ist also, wenn ich schwanger sein sollte?", frage ich sie die Fragen, die ich mir selbst nicht beantworten kann. Ihr Blick sucht erneut meinen und sie nimmt mich tröstend in den Arm. Unter anderen Umständen hätte sich diese Berührung sicher gut angefühlt, doch gerade spüre ich nur Ungewissheit, Angst und Hass. Mit einem dankbaren und erzwungenen Lächeln schiebe ich sie von mir, woraufhin sie einen anderen Test vom Beistelltisch holt. „Ich mache jetzt den Abstrich, sodass sie kurz ihren Slip ausziehen müssten und dann nehmen wir noch Blut ab. Da einige Ergebnisse ins Labor gegeben werden müssen, erhalten Sie dann Morgen alle Ergebnisse gesammelt. Ich werde dem Labor etwas Druck machen, aber vor Morgenfrüh werde ich keine Klarheit haben können", offenbart sie mir das weitere Vorgehen. „Was ist mit dem Schwangerschaftstest, erfahre ich das Ergebnis auch erst Morgen", frage ich sie und erhalte ein Kopfnicken von ihr, „Auch diese Ergebnisse kommen erst aus dem Labor, da die eventuelle Befruchtung zu kurz zurückliegt, um jetzt mit einem normalen Test ein Ergebnis zu erhalten", antwortet sie mir und sieht mich entschuldigend an.

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