#26 - Wettlauf gegen die Zeit

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-Luna-

2 Monate später...

Ich betrete das Krankenzimmer Jodies, nachdem ich zweimal leicht an die Tür geschlagen habe, obwohl ich ganz genau weiß, dass sie nicht sagen wird, dass ich eintreten soll. Während ich anfangs noch täglich bei ihr vorbeigeschaut und meine Tage an ihrem Bett verbracht habe, hat sich nun einiges verändert. Nun schaue ich nur zweimal die Woche vorbei, da ich es öfter einfach nicht mehr verkrafte und mir das Leid nicht mehr anschauen kann. Bereits einen Monat nach dem Unfall begann ich wieder zu arbeiten und mein Leben Stück für Stück weiterzuführen. Doch wie soll man sein Leben so weiterführen, dass es lebenswert ist, wenn der beste Part des Lebens, die wichtigste Person fehlt? Genau das frage ich mich seit Tagen, Wochen, mittlerweile seit zwei Monaten. Ich verdränge meine Gedanken und schaue in Richtung Krankenbett. Schnell verdränge ich meine Gedanken und lächle.

„Hallo mein Liebling", begrüße ich meine Verlobte und lasse mich auf dem Stuhl neben ihrem Bett nieder. Ich nehme ihre Hand und spüre die Wärme ihres Körpers. Sanft streiche ich mit der anderen Hand ihr mittlerweile längeres Haar aus dem Gesicht und fahre sanft mit meinen Fingern über die Konturen ihres hübschen Gesichts. Sie sieht so friedlich aus, denke ich, so viel besser als vor zwei Monaten, eben ganz wie Jodie und doch wacht sie nicht auf. Ich atme einmal tief durch und lege anschließend ihre Hand wieder auf ihren Körper. Mich überkommt die Traurigkeit, welche seit zwei Monaten mein reger und wenig stiller Begleiter ist und ich springe auf sowie laufe in Richtung Fenster. Draußen ist es genauso trostlos, wie in diesem Raum und ebenso kalt, wie sich mein Herz und meine Seele anfühlen.
„Wie lange soll das nur so weitergehen?", hauche ich leise in die Stille und drehe mich zurück zu meiner Freundin, doch genauso wie die letzten tausend Fragen, die ich ihr stellte, bleibt auch diese unbeantwortet. Ich hatte die letzten Wochen eingeigelt in Trauer verbracht und alles schleifen lassen, was auch meiner Familie und Freunden auffiel, die mich zu Gesicht bekamen und dennoch kann mir keiner helfen. Mittlerweile haben es die meisten akzeptiert oder ich meide diese Personen, welche noch immer nicht nachgeben wollen. Ich war sogar nur kurz auf der Beerdigung aufgetaucht und gleich nach der Beisetzung wieder gefahren, zu welcher mich meine Mutter zu Silvester einlud. Ich hatte einfach keine Kraft mich noch weiter mit meiner Familie und all den Erzählungen auseinanderzusetzen, denn ich fühlte mich innerlich so allein und leer. Ich hatte das Gefühl, dass etwas in mir starb, in dem Moment als ich Jodie fand und dieser Teil meiner Selbst konnte nicht wiederbelebt werden, anders als Jodie, dieser Teil meiner Selbst starb genau am Unfallort und würde nicht zurückkommen, solange meine junge Freundin nicht aus dem Koma erwachen würde. Ich hatte mein Leben schleifen lassen, war nicht länger ich selbst, keiner hielt es mit mir aus und in der Schule wurde ich wieder zur Eiskönigin, um mich selbst nicht weiter unter Druck zu setzen. Alle, wirklich alle Schüler und selbst Kollegen hassten mich und es machte mich weiter kaputt, da Jodie dies nicht gewollt hätte. Dies erinnert mich mal wieder an all die schönen Momente mit ihr, an all die Erinnerungen welche wir schafften und doch sind es viel zu wenige, denke ich traurig.

Gerade als ich erneut in meine Gedanken abtauchen will, klopft es an der Tür und ich werde vor erneuten Tränen verschont. Schon wenige Momente später betritt Alex das Krankenzimmer und zieht seine Frau an der Hand nach ihm hinein.
„Das ist wohl mein Zeichen zu verschwinden", begrüße ich die beiden und sehe nur ein kraftloses Nicken von Alex. Er sieht von einer Begegnung zur nächsten schlechter aus, bemerke ich und mir wird mal wieder bewusst wie sehr wir alle unter der Situation leiden. Doch ich kann ihm nicht helfen, da ich nicht helfen darf, da ich kaum mit beiden reden darf und es ein Privileg ist, dass ich überhaupt noch meine Verlobte sehen darf. Ich verabschiede mich mit einem Kuss auf Jodies Lippen von ihr und will gerade das Zimmer verlassen, als ich von Marie zurückgehalten werde. Ich drehe mich verwundert um, da ich sonst immer den Raum verlasse, wenn ich einen von Jodies Elternteilen treffe, denn schließlich hat der Unfall nicht nur ein großes Loch in unsere Herzen gerissen, sondern auch den größten Streit meines Lebens in mein Leben gebracht. Denn beide geben mir die Schuld an dem Unfall, welcher nicht geschehen wäre, wenn Jodie nicht zu mir gewollt hätte. Da gebe ich den beiden sogar recht, doch es gibt ihnen nicht das Recht über uns zu urteilen. Jedoch bin ich ihnen zuwider und kann somit wirklich froh sein, dass Marie mitfühlend reagiert und ihren Mann überzeugt hat, mich weiter zu ihrer Tochter zu lassen. Während diese beiden also ihr Happy End bekamen und wieder zueinander fanden, zerriss es mein Leben und zudem bin ich in ihren Augen nur die kranke und perverse Lehrerin, wie ich noch immer liebevoll von ihnen genannt werde, nachdem sie unser Geheimnis rausfanden.
„Was ist?", frage ich kühl und spüre wie die Luna Kolibri wieder Besitz von mir ergreift, welche mich verkörperte, bevor Jodie mich auftaute und zu einem besseren Menschen machte.
„Die Maschinen werden in zwei Wochen abgestellt, wenn Jodie bis dahin nicht aufwacht", sagt sie gefasst und mit starker Stimme, während mir sämtliche Gesichtszüge entgleiten.
„Sag das nochmal! Wieso denn das? Wie kommt ihr zu diesem Entschluss? Sie wird... sie wird aufwachen... ganz bestimmt", schreie ich und werde nur kopfschüttelnd von Alex angesehen, der mir seine Abneigung nur so entgegenwirft.
„Das kann noch passieren, aber ihre Verletzungen sind so schlimm, dass sie endlich ihren Frieden finden soll, wenn es bis dahin keine Veränderung gibt. Es ist unsere Entscheidung, denn sie ist unsere Tochter. Du solltest jetzt gehen. Sei froh, dass wir es dir überhaupt genehmigen, dass du sie noch sehen kannst und nicht im Gefängnis sitzt, wenn ich dich hier schon sehe bereue ich diese Entscheidung zutiefst", spuckt er mir entgegen und ich will gerade zur Verteidigung ansetzen, als ich durch ein schneidendes „Raus jetzt" unterbrochen werde und lieber schnell die Flucht ergreife.

All I want is YOUWo Geschichten leben. Entdecke jetzt