Kapitel 34

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In diesem Moment schien die Zeit still zu stehen. Alles schien leise und doch so laut zu sein. Jeongin konnte sich in diesem Moment nicht vom Fleck bewegen, obwohl die Sicht ihm von vornherein verwehrt wurde. Schaulustige, aber auch besorgte Menschen hatten sich um Hyunjin getummelt, um ihn zu helfen und den Rettungsdienst zu verständigen. Dieser Moment fühlte sich so falsch, vollkommen unecht an, obwohl all dies gerade tatsächlich stattfand.

„Lass uns gehen, Jeongin.", bestimmte Seungmin, zog seinen Freund am Ärmel, um ihn von hier wegzubekommen und um keine negativen Erinnerungen aufkommen zu lassen, die aufkommen hätten können. Dafür war es jedoch viel zu spät. Das schlechte Gewissen kroch aus seinen tiefen Löchern empor und nahmen dem Jüngeren die Luft zum Atmen. Mit jeder Sekunde, die verging, wurde es immer schlimmer, er drohte ohnmächtig zu werden. Es war seine Schuld, schon wieder.

„Seungmin", hauchte dieser, seine Sicht immer schwammiger werdend. Sein Kopf stach, drückte zur selben Zeit. Nur noch schwer konnte er sich auf seinen Beinen halten. Er war so überfordert und irgendwie fühlte es sich für ihn so an, dass er jeden Moment zusammenbrechen würde. „Ich-" Seine Augen verdrehten sich und sein Körper sackte tatsächlich zusammen. Gerade so im letzten Moment, konnte es verhindert werden, dass er Bekanntschaft mit dem harten Steinboden machte, als Chan – Felix Arbeitskollege – sich ihn schnappte. Auch diese waren sich nicht vollkommen fremd. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte Felix die beiden Jungen bei Chan vorgestellt. Aber der Kontakt war nie wirklich vorhanden, weil der Ruf des Blonden nicht besonders gut war.

„Ich tue ihn in meine Wohnung. Die ist über dem Café. Ich denke nicht, dass er einen Arzt braucht.", meinte Chan knapp. Seine blonden Haare versperrten seine Sicht und ließ Seungmin somit zurück. Wobei dieser nicht ganz allein war. Sondern Felix stand hinter seinem älteren Freund da, verfolgte das Geschehen als wäre nicht groß etwas dabei. Und ein riesiges Donnerwetter gab es auch nicht, wie man es sich von jedem anderen erdenken konnte.

Und auch die Angst, die man normalerweise in sich trug, war in ihm nicht vorhanden. Natürlich ließ ihn dies nicht kalt, aber irgendwie fühlte sich alles dumpf an. Ein weiteres Ereignis in seinem Leben, welches er nicht steuern konnte. Und mittlerweile wusste er, dass seine Psyche genug hatte zu leiden und entschied ihn in solch einer Situation eher emotionslos werden zu lassen, weil er nur noch mehr zerbrechen würde.

„Wieso weinst du nicht? Ich dachte, du hast ihn so sehr vermisst.", meinte Seungmin nur stumpf, versuchte das Eis zu brechen und ihn zugleich zu treffen. Jedoch schien ihm dies nicht zu gelingen. Felix' Mundwinkel zuckten nach oben, aber es war nicht die Reaktion, die man sich erwünschte. Keine Erniedrigung, keine Stiche ins Herz oder sonst irgendwelche anderen Dinge. Einzig und allein dieses Lächeln, welches unzählig Schmerz verstecken konnte.

„Was hast du eigentlich davon andere am Boden zu sehen und sie zu erniedrigen, wenn sie gerade dabei sind aufstehen?"
„Ich frage mich bis heute, wieso Jeongin mit diesem Versager solang zu tun hatte. Wir wussten doch alle, dass Hyunjin mit niemanden befreundet sein wollte und sich nur als Opfer gesehen hat, weil er diesen Autounfall hatte."
„Du vergisst dabei eine wichtige Sache.", zischte der Blonde, seinen Kopf zu Seungmin gerichtet. „Jeongins leiblicher Vater war der Typ, der daran Schuld war, dass Hyunjin bei dem Unfall fast gestorben ist."
„Und du bist der Grund, wieso Jeongin ein schlechtes Gewissen hat. Er musste die ganze Zeit für dich herhalten, weil du dir halb in die Hose gemacht hast, wieder in Hyunjins Leben zu treten. Es ist nicht Jeongins Schuld, er kann nichts dafür, was sein Vater gemacht hat und er kann auch nichts dafür, dass er Alkoholiker war und sich betrunken ans Steuer gesetzt hat. Vielleicht solltest du dir zunächst selbst an die Nase fassen, anstatt die Schuld bei anderen zu suchen, nur weil du mit deinem eigenen Leben nicht zurechtkommst!"

Seungmin war mehr als nur wütend gewesen und am liebsten hätte ihn die ganze angestaute Wut an ihm ausgelassen. Schließlich hätte Felix nichts anderes verdient als das und  zugleich war es noch so falsch. Es würde ihm nichts bringen.

„Es war eine Risikoabwägung. Kann Jeongin damit leben, dass sein Vater ihm fast das Leben genommen hat oder kann er damit leben, wenn er sich aus der Tatsache zieht, dass der Unfall passiert ist und dass er sich zudem noch von Hyunjin abwendet und sich Hyunjin aus diesem Grund das Leben nimmt? Welchen Weg würdest du nehmen? Schließlich willst du deine Puppen behalten, solang du mit ihnen spielen kannst. Wenn dir Jeongin so viel bedeuten würde, dann wärst du mit Chan mitgegangen. Stattdessen führst du diese unnötige Diskussion mit mir." Und somit hatte Felix ihn mundtot gemacht. Jedenfalls für eine kurze Zeit bis er irgendwann wieder zurückschießen könnte.

„Ich weiß, ich bin ein schlechter Mensch. Aber ich wurde nicht als so einer geboren, sondern ich bin mit der Zeit so geworden. Ich kann mir das eingestehen, aber kannst du das auch? Die einzigen, die eine reine Seele haben, sind Hyunjin und Jeongin und wir haben sie mit unseren Egoismus auseinandergebracht. Also tue diesmal das Richtige und zeige einmal, dass dir Hyunjin nicht scheissegal ist, wie du immer tust."

Und damit ging Felix. Wieso er sich nicht für Hyunjin entschieden? – So wirklich wusste er es nicht, aber irgendwie sagte ihm das sein Bauchgefühl, welches ihm nie in Stich ließ und vor dem Schlimmsten bewahrte, dass er gehen sollte. Und das Schlimmste, was passieren konnte, war, dass Hyunjin starb. Ihm aus seinem Leben erneut riss, obwohl dieser wieder in Felix' Leben vor Kurzem gekommen war. Und irgendwo war da noch diese Hoffnung, dass es nicht eintreffen würde. Das, was das Schlimmste war, was eintreten konnte.

„Und ich weine nicht, weil ich nichts mehr fühlen kann. Aber das kannst du nicht wissen, du Vollidiot. Wenn dir zu viel passiert ist, schirmt deine Psyche irgendwann all Negatives ab.", krächzte er zu sich selbst.

𝗦𝗰𝗮𝗿𝘀 ✧ HYUNLIXWo Geschichten leben. Entdecke jetzt