Heute vor fünf Jahren

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                         Juliette Streich

„Wie kommst du mit den Abiturvorbereitungen klar?

Ich musste mich kurz räuspern, dann sagte ich: „Ganz gut eigentlich... Alles ziemlich stressig."

Es schien, als hätte Anna die Situation schon des Längeren geplant, denn sie fand sich wesentlich besser in ihrer Rolle zurecht, als ich.
Wann kam ihr die Idee dazu?

„Glaube ich dir", sagte Anna.

„Meine Mathematiklehrerin, Frau Schneider, macht mir ziemlich zu schaffen", murmelte ich, „Auch wenn es nur ein Grundkurs ist, führt sie den Unterricht, als wären wir ein Leistungskurs..."

„Oh ja, das kann ich mir gut vorstellen!", lachte Anna, „Aber ich werde jetzt nicht mit dir über Kollegen oder Kolleginnen lästern!"

„Oh Frau Lilienthal, kommen Sie schon!", necke ich und beobachtetet Anna genau, „Wir sind hier doch unter uns..."

Letzteres sagte ich eine Nuance tiefer.

Annas Hände verkrampften sich für Millisekunden am Lenkrad, aber ich hatte es genau gesehen. Nach all den Jahren reizte sie es immer noch, wenn ich sie siezte. In jeder anderen Situation hätte ich gelacht, doch in dieser Situation reizte es mich mindestens genauso wie sie.

„Mhm, dann verraten Sie mir doch, wo wir hinfahren?"

„Nein", sagte Anna, „Hatte ich Ihnen nicht schon so oft gesagt, dass Sie sich in Geduld üben sollten?"

„Aber Sie wissen doch, dass das nicht meine Stärke ist", entgegnet ich, „Übrigens haben Sie einen ausgezeichneten Musikgeschmack!"

„Oh, das hat mir eine Freundin empfohlen..."

„Dann muss sie aber einen ausgezeichneten Musikgeschmack haben..."

„Ja, den hat sie", grinste Anna, „Wir sind jetzt da."

Ich hatte mich kaum auf die Autofahrt konzentriert, da mich die ganze Situation mit Anna so einnahm. Jetzt guckte ich zum ersten Mal bewusst aus dem Fenster. Anna hatte den Audi auf einem Kiesparkplatz geparkt. Es sah aus, als wären wir am Rande einer Klippe. Ich konnte bereits das Meer sehen, doch davor war ein langes, kleines Gebäude. Das musste wohl das Restaurant sein.

Anna stieg aus, eilte auf meine Seite und öffnete die Tür.

Ich lachte: „Sie sind ein wahrer Gentleman!"

„Für meine beste Schülerin immer gerne."

Wir gingen gemeinsam zum gläsernen Eingang, wo wir von einem Mann in Jackett erwartete wurden.

„Two for Lilienthal", sagte Anna auf Englisch und der Mann nickte, schrieb etwas auf eine Liste und öffnete uns die Tür.

„Follow me", sagte er zu uns und ging vor.

Anna und ich folgten ihm direkt geradeaus wieder raus durch eine weitere Glastür. Nun befanden wir uns auf einer steinernen Terrasse, von der man direkt auf das weite Meer blicken konnte. Der Mann machte halt vor einem Tisch ganz am Ende der Terrasse.

„I'm coming back with the menu."

„Thank you!", sagte Anna zum Kellner gewandt.

Wir setzten uns so hin, dass wir beide den Blick auf das Meer hatten. Ich an der hinteren Ecke des Tisches und Anna an der rechten Seite daneben.

„Das ist Wahnsinn An- ähm, Frau Lilienthal!", sagte ich etwas eingeschüchtert.

Das Restaurant machte einen wahnsinnig noblen und teuren Eindruck.

„Ich wollte etwas Besonderes... Ich hoffe, das Essen schmeckt genauso gut wie der Ausblick", scherzte Anna.

„Wenn nicht, macht der Ausblick es wieder gut."

Der Kellner kam mit zwei Speisekarten zurück. Er fragte, ob wir schon etwas zu trinken bestellen wollten und Anna bestellte eine Flasche Rotwein.

„Frau Lilienthal... Wissen Sie, ich mag eigentlich nicht so gerne Wein", sagte ich zu Anna, nachdem der Kellner wieder abzog.

„Diesen wirst du heute bestimmt mögen!"

Danach sagte ich dazu nichts mehr. Wir unterhielten uns über leichte Themen, bis der Wein gebracht wurde und wir das Essen bestellten. Es so weiter, bis das Essen gebracht wurde und erstaunlicherweise hatte Anna recht und ich mochte den Rotwein, den sie bestellt hatte.

Auch während des Essens schafften wir es, total normal miteinander zu reden, ohne aus den Rollen zu fallen, die Anna uns für den Abend gegeben hatte.

Das Essen war mindestens genauso gut wie der Ausblick und als gerade das Dessert geliefert wurde, ging die Sonne unter und ich hatte das Gefühl, den schönsten Sonnenuntergang, den ich jemals gesehen hatte, zu betrachten. Ich griff nach Annas Hand, auch wenn es vermutlich gegen die unausgesprochnen Regeln verstieß, die wir stumm abgemacht hatten. Doch Anna zog ihre Hand nicht weg oder sagte etwas. Sie nippte nur an ihrem Wein und drückte meine Hand leicht.

„Das ist so wunderschön Ann", flüsterte ich.

Anna wand sich zu mir und lächelte mich liebevoll an. Ihre Haare glänzten extrem rötlich in dem intensiven Orange der Sonne und ihre grünen Augen funkelten.

„Ich freue mich, dass es dir gefällt Juli..."

„Aber natürlich, dass alles ist... Umwerfend", hauchte ich.

Anna guckte mich für einen Moment an, dann beugte sie sich schnell vor und küsste mich. Sie hielt meinen Hals, während ich den Geschmack von Brownie und Rotwein von ihren Lippen kostete.

„Ich kann die Rolle nicht mehr aufrechterhalten", flüsterte sie.

„Ich auch nicht", stimmte ich ihr zu und gab ihr noch schnell einen Kuss, bevor ich mich wieder zurücklehnte.

„Also hören wir auf", sagte Anna, „Ich hoffe, dass du die Idee okay fandest. Ich habe dich nicht vorher gefragt, damit die Überraschung perfekt ist, aber du hast auch nichts dagegen gesagt, von daher denke ic-"

„Es war aufregend gut!", unterbrach ich meine Freundin und ergriff wieder ihre Hand, „Das du all das geplant hast, mit meinem Outfit und der Musik... Anna, das war so verdammt schön!"

„Dann bin ich glücklich, dass es dir gefallen hat."

„Es gefällt mir", korrigierte ich sie, „So etwas können wir gerne des Öfteren machen..."

„Ach ist das so?", flüsterte Anna grinsend.

Ich nickte mit roten Wangen.

„Dann merke ich mir das mal", sagte Anna und bedachte mich mit einem intensiven Blick, bevor sie wieder aufs Meer heraus guckte.

„Wo denkst du sind wir in weiteren fünf Jahre?", fragte ich sie plötzlich.

Sie wand den Blick nicht vom Meer. Wie sie so da saß verschmolz die Hälfte ihres Gesichtes fast mit den Farben des Himmels. Nach einigen Sekunden sagte sie: „Hier. Und wir feiern unser Zehn-Jähriges."

„Deal."

Anna guckte mich wieder an und hob langsam ihre Hand, um meine Wange zu streicheln.

„Ich meine es ernst", flüsterte sie.

„Ich auch."

„Und es werden die zehn glücklichsten Jahre meines Lebens sein", flüsterte Anna.

Ich sah sie lächelnd an. Wenn eins sicher war, dann das ich mit Anna das Glück meines Lebens gefunden hatte. Ich musste auf Annas Gesagtes nichts erwidern, denn sie wusste, dass ich genau dasselbe empfand.

„Italien war eine verdammt gute Entscheidung", grinste ich.

„Das stimmt", grinste Anna.

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