Alle Wege haben Ziele

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Juliette Streich

Mir pocherte, genau wie Sofia vor der Trauung, das Herz. Vielleicht sogar mehr. Das hätte ich mir jeden falls gerne eingeredet.
Paula und ich standen neben dem Hochzeitspaar vorne in der Kirche, als es sich das Ja-Wort gab und wir klatschen mit den vielen Gästen, als beide sich das erste Mal als frisch vermähltes Paar küssten.

Uns beiden hatte Sofia die große Ehre als Trauzeuginnen übertragen, weshalb uns auch die Aufgabe einer Rede zufiel. Wir hatten lange überlegt, denn wie reduziert man gut 15 Jahre Freundschaft, von denen wir Jasper an Sofias Seite neun Jahre kannten, auf ein paar Minuten Redezeit?

Letztendlich hatten wir es geschafft. So wie wir alles zusammen geschafft hatten. Die Hochzeitsgäste vergossen Tränen und das Hochzeitspaar umarmte uns so stürmisch, dass wir vier fast hingefallen wären.

Während der Zeremonie und auch noch danach hatte Anna die ganze Zeit meine Hand gehalten. Ich fühlte ihre dünnen Finger an meinen und die Wärme, die von ihr ausging. Vielleicht hielt sie meine Hand, weil es so emotional ergreifend war, doch ich hatte das Gefühl, dass mehr dahinter steckte.

Nun sah ich sie an. Wie sie sich mit Paula unterhielt und immer wieder Strähnen, die sich aus ihrer Hochsteckfrisur gelöst hatten, hinter ihr Ohr strich.
Es war Abend und wir hatten gerade das Vier-Gänge-Menu von Claudia hinter uns. Einige kompensierten dies, in dem sie sich auf die Tanzfläche begaben, aber wir saßen erst mal ruhig beisammen.
Meine Freundin hatte die Beine unter dem langen, dunkelgrünen Seidenkleid übereinander geschlagen und saß lässig zu Paula gewandt, die sich mit ihr über unsere Schulzeit unterhielt.

Dieses Thema war zwar schon des Öfteren zwischen Anna und meinen Freundinnen aufgekommen, aber heute schien wieder der perfekte Zeitpunkt, um in Erinnerungen zu schwelgen.
Vielleicht war dies das letzte Bild, was ich mir jemals erträumt hätte:

Anna Lilienthal, wie sie auf der Hochzeit ihrer ehemaligen Schülerin saß, sich mit einer Weitern unterhielt. Ich jeden Abend neben ihr einschlief und jeden Morgen neben ihr aufwachte.

„Ach, am besten finde ich immer noch dieses Stadtfest!", lachte Paula und Anna schüttelte nur grinsend den Kopf.

Das war eine der liebsten Geschichten, die ausgepackt wurden. Ich winkte nur lächelnd ab und griff nach meinem Weinglas.

„Nein, das ist rückblickend wirklich zu gut! Dir war nur kalt und deswegen gab ich dir meinen Pullover, den ich ganz zufällig dabei hatte!", ahmte Paula Annas Stimme nach und das, was sie damals zu mir gesagt hatte.

„Ach sei doch leise!", lachte Anna und schlug Paula leicht auf den Oberarm.

„Waren wir deine Lieblingsschülerinnen?"

„Nein."

Paula guckte Anna mit offenem Mund an.

„Dafür hängst du ziemlich viel mit uns rum", sagte ich jetzt lächelnd.

„Ich habe meine Gründe...", erwiderte Anna und zwinkerte mir zu.

„Und wie gehts jetzt für euch weiter?", wechselte Paula das Thema und nippte an ihrem Wein.

„Wir werden nach meinem Referendariat umziehen", antwortete ich.

Anna nickte und lächelte mich an.

„Hört sich gut an. Schon grobe Ideen, wo es hingehen könnte?"

„Nicht nur grob. Wir beide wollen nach Hamburg."

„Sehr gute Wahl!", rief Paula freudig.

„Finde ich auch", grinste ich.

„Und dann an dieselbe Schule?"

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