Der Apfel und die Zimtschnecke

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                             Anna Lilienthal

„Habt ihr alle den ersten Tag überstanden?", fragte ich meine Klasse am nächsten Tag zu Beginn der Deutschstunde.

Gemurmel ging durch die Reihen.

„Mehr oder weniger" kam es von hinten.

Ich nickte und packte meine Unterlagen aus.

„Und... Wie ist die neue Französischlehrerin?", fragte ich nun.

Die Frage konnte ich mir einfach nicht verkneifen. Heute in den ersten beiden Stunden hatte Juliette das erste Mal ihren Französischkurs der achten Klassen gehabt und ich wollte unbedingt von den Kindern hören, wie es gewesen war. Ich erlaubte mir diese eine legitime Frage als Klassenlehrerin, danach würde ich meine persönlichen Gefühle außen vor lassen, da war ich mir sicher.

„Die ist total klasse!", rief Jonas sofort und erntete Zustimmung von seinen Klassenkameraden.

„Ja, das stimmt! Die ist total jung und megacool!", sagte Olga aufgeregt.

Ich konnte mir mein Grinsen nicht verkneifen.

„Ach ja?", fragte ich nach.

„Wirklich Frau Lilienthal! Die versteht uns Schüler! Die ist überhaupt nicht verklemmt wie alle anderen Lehrer!"

Jetzt zog ich doch fragend eine Augenbraue hoch.

„Na also... Sie sind auch nicht verklemmt! Ab-Aber...", stotterte Jonas bei meinem Gesichtsausdruck.

„Oh man, jetzt will ich auch Französisch...", maulte Julia neben Olga.

„Ich freue mich richtig auf den Unterricht! Sie hat uns einen Ausblick gegeben und das hört sich alles so cool an, was sie geplant hat!", schwärmte ihre Freundin weiter, „Die ersten beiden Stunden haben wir uns auch nur kennengelernt!"

„Wir haben schon Unterricht gemacht!", protestierte Maximilian, „Ich will nicht mehr das Fossil in Latein haben!"

„Okay, genug jetzt!", unterbrach ich die Diskussion, „Es freut mich, dass Frau Streich so gut ankam, aber jetzt machen wir mal Deutsch, nicht wahr?!"

„Können wir nicht auch spielen?"

„Ich glaube, dass wir alle uns schon kennen", erwiderte ich amüsiert, „Holt bitte einmal eure Bücher raus und schlagt diese auf der Seite fünf auf!"

————

Die Leichtigkeit des ersten Schultages war schon zur Hälfte wieder verflogen und die Schüler und Schülerinnen liefen wieder gehetzt durch die Flure der Schule. Ich stellte mich an die Seite des Ganges, auf dem ich für diese Pause Aufsicht hatte und holte meinen Apfel aus der Seitentasche meines Rucksacks.

Im Gegensatz zum letzten Jahr war ich für relativ viele Pausenaufsichten eingeteilt worden. Seufzend biss ich in meinen Apfel. Woran das wohl liegen konnte?

Ich ließ meinen Blick über den Gang schweifen und erstarrte, als eine Klassenraumtür sich öffnete und Juliette lachend rauskam.

Sie hielt ihre Tasche in beiden Händen und hielt die Tür auf, damit noch jemand rauskommen konnte. Keine Sekunde später trat Thomas Kopmann auf den Gang. Der große Mathelehrer fuhr sich grinsend durch seine dunkelblonden Haare und schloss die Tür hinter sich. Beide standen sich nun gegenüber auf dem Gang und redeten weiter. Thomas musste was unglaublich Lustiges sagen, denn Juliette warf ihren Kopf nach hinten und lachte laut. Ihre langen dunklen Haare fielen nach hinten und legten ihren Hals frei.
Thomas bemerkte dies auch, denn ich sah, wie für eine Sekunde sein Blick sich senkte.

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