Mit Liebe und einer Prise Verrücktheit

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Juliette Streich

Meine Haare wehten mir immer wieder in mein Gesicht. Am Himmel waren an diesem Morgen einige dunkle Wolken und das Meer war definitiv stürmischer als die Tage davor. Resigniert kickte ich einen Stein vor mich hin, der in all dem Sand falsch am Platz wirkte.
Die letzten zwanzig Minuten war ich einfach nur am Strand langgelaufen, dann hatte ich bereits die Stadt vor mir gesehen und war umgekehrt. Die frische Luft tat mir zwar gut, konnte aber meine Gedanken auch nicht wegpusten.
Ich verstand einfach nicht, wie Anna nur ihre Seite in der Situation sehen konnte. Sie wusste sehr genau, wie wichtig es war, gleich nach dem Studium mit seinem Referendariat anzufangen.
Ich brauchte unbedingt eine Stelle und mitten in den Sommerferien würde mich auch keine andere Schule mehr für das kommende Schuljahr annehmen. Außerdem war ich doch gerade zu Anna gezogen. Eine andere Schule bedeutete entweder eine lange Autofahrt in eine andere Stadt, und das jeden Morgen oder wieder hin und her pendeln. Wollte Anna das?

Wütend versetzte ich dem Stein einen allerletzten Kick und dann war er im Meer verschwunden. Warum hatte das Bismarck-Gymnasium auch pleite sein müssen und so unfähig, dies erst inmitten der Sommerferien zu merken? Und warum waren Anna und ich auch in der Stadt geblieben?

Vielleicht weil wir unsere Heimat nicht verlassen wollten und es alles so gut gepasst hatte. Jetzt hatten wir die Strafe dafür, nicht aus unserer Komfortzone gegangen zu sein und uns einer neuen Stadt gewidmet zu haben.
Ich konnte Anna schon verstehen. Sie hatte natürlich Angst, dass unsere Geschichte publik werden würde und sie hatte recht, sollte dies passieren, dann könnte sie alles verlieren. Wir befanden uns also wieder an demselben Punkt, wie vor fünfeinhalb Jahren.
Ein trockenes Lachen verließ meinen Mund. Es war dumm gewesen zu denken, dass nach all dieser Zeit unsere Geschichte mich und Anna nicht mehr belasten würde. Es war zu unüberlegt und zu positiv gedacht. Wir hatten den Fehler gemacht, in der Stadt zu bleiben. Das war nun unser Karma.

Ich erreichte den Bohlenweg, der vom Strand wieder auf die Straße unseres Ferienhauses führte. Natürlich hatte ich Bedenken, was mich erwarten würde, wenn ich das Haus betreten würde, aber ich erinnerte mich daran, dass wir wie vernünftige Erwachsene miteinander reden mussten. Wir hatten schon einige Meinungsverschiedenheiten hinter uns gebracht und jedes Mal war es am einfachsten gewesen, wenn wir in aller Ruhe uns niedergesetzt hatten und geredet hatten.

Als ich die Wohnungstür aufschloss, atmete ich noch mal tief ein und betrat dann das Haus. Ich konnte nichts hören. Keine Geräusche aus der Küche oder vom Fernseher. Vorsichtig ging ich weiter hinein und guckte ins Wohnzimmer.
Dort erblickte ich sofort Anna. Sie saß auf der Couch und hatte sich in eine Decke eingekuschelt. Als sie mich hörte, drehte sie sich sofort um. Für einen Moment guckten wir uns stumm an und ich blieb unschlüssig im Türrahmen stehen, dann sagte Anna leise: „Komm, setzt dich zu mir."

Und das tat ich. Darauf folgte wieder ein kurzes Schweigen, bis ich das Wort ergriff.

„Wir sollten in Ruhe darüber reden", räusperte ich mich.

„Sehe ich auch so", stimmte Anna zu, „Erst einmal wollte ich mich entschuldigen, dass ich vorhin so blöd reagiert habe. Ich habe mich von meinen Gefühlen in dem Moment leiten lassen und hatte sie nicht unter Kontrolle. Es war nicht richtig von mir, nicht auf dich einzugehen."

Nickend sah ich auf den Boden, dann sagte ich: „Und mir tut diese ganze Situation leid, weil ich dich auch verstehen kann. Trotz alle dem ist es nicht meine Schuld, dass meine andere Stelle mich jetzt nicht annimmt und zu deiner Schule abschiebt. Es war auch nicht meine Idealvorstellung des Ganzen."

„Ich weiß."

„Was machen wir jetzt? Soll ich mich an anderen Schulen umhören oder wirklich nach anderen Wohnungen gu-"

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