Kapitel 24 (Spieltag 11)

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Ich war nach Hause gegangen. Ich hatte mich von Luke verabschiedet und er fragte, ob er mich nach Hause begleiten sollte. Ich hatte gelacht und ihm geantwortet, dass er da draußen gefährdeter wäre als ich. Was sollte mir passieren?

Alice Nachricht hatte mir die Augen geöffnet. Meine arme Alice. Ich konnte dieses riesige, bescheuerte Spiel nicht geheim halten. Wie sollte ich auch? Es hat sich ausgebreitet und überall kleine Wurzeln geschlagen, auf die früher oder später jemand stoßen musste.

Ich hatte die gesamte Nacht kein Auge zugetan. Ich war sowieso schon müde. Was machte da eine Nacht? Und außerdem würde ich heute alles beenden. Ich würde das tun, was jeder schon längst getan hätte. Was ich schon längst hätte tun sollen.

Alice würde heute mit mir fahren. Ich ging duschen, zog mich an und aß mein Toast. „Tschüss Mum.", rief ich, kurz bevor die Haustür ins Schloss fiel und ich mich ins Auto gleiten ließ. Ich machte das Radio an und stellte es leiser. Über Nacht war es kalt im Auto geworden. Nach fünf Minuten war der Motor endlich warm und warme Luft pustete mir ins Gesicht.

Ich hielt auf Alice Auffahrt und sah ihr entgegen, wie sie sich langsam auf das Auto zubewegte. Sie öffnete zögernd die Tür und ließ sich auf den Sitz neben mir nieder. Ich fuhr los. Bäume und Häuser flogen an uns vorbei, während wir schwiegen. Sie unruhig, ich erschöpft. „Du hast mir gestern nicht mehr geantwortet.", unterbrach meine beste Freundin schließlich die Stille. „Du lagst richtig.", informierte ich sie. Sie fuhr sich durch die Haare.

„Hör zu, du musst mir helfen.", bat ich sie. Sie sah sich unruhig um und legte plötzlich die Stirn in Falten. „Das ist nicht der Weg zur Schule...", fiel ihr auf. „Nein, das ist er nicht.", stimmte ich ihr zu. Ich wagte einen Blick auf ihr Gesicht. In ihren Augen schimmerte etwas. War es Misstrauen?

„Wohin-" „Zur Polizei.", antwortete ich ihr, bevor sie die Frage ganz ausgesprochen hatte. Alice verfiel in Schweigen und ich wurde auch unruhiger. Was wenn Ashton das alles vorhersah? Oder wenn Luke nicht vertrauenswürdig war und log? Sie trat auf das Gas und bremste sogleich wieder etwas ab. Wenn sie jetzt den Kopf verlor, würden sie überhaupt nicht ankommen.

„Ich weiß nicht.", sagte Alice plötzlich. Ich sah sie verloren an. „Was?", hörte ich mich flüstern. „Annie, ich habe Angst. Ich weiß nicht... weiß nicht, wie ich dir helfen könnte." Ich schloss meine Hände fester ums Lenkrad. „Komm einfach nur mit. Bitte..." Zögernd nickte sie und ich bog auf den Parkplatz vor der Polizeiwache.

Nach zwei Sekunden, die ich zögerte, besann ich mich. Ich stieg aus und Alice und ich gingen auf die Treppen zu. In meinem Kopf spielten sich alle möglich Szenen ab und fast erwartete ich einen Schuss. Doch nichts dergleichen geschah und wir erreichten die Tür. Ich ging an den Empfang und erklärte, dass ich mit einem Polizisten sprechen müsste.

Kurz darauf saßen Alice und ich in einem Raum mit einer Glaswand zum Flur hin. Zwischen einem hochgewachsenen, dunkelhaarigen Mann und uns stand ein großer Schreibtisch mit allerlei Sachen drauf. Der Mann hatte sich als Thomas Patton vorgestellt.

„Gut, Sie wollten mit mir sprechen?", fragte er. Ich nickte und wusste nicht womit ich anfangen sollte. „Ich wurde erpresst.", erklärte ich und war nicht sicher, ob ich einfach weitersprechen sollte. „In wie weit? Wir brauchen mehr Daten, Beweise, Aussagen.", antwortete Mister Patton ausdruckslos. „Es fing an, als ich von meinem damaligen Freund nach Hause gegangen bin. Ich bin in den Wald gegangen, weil wir Streit hatten und da war... da war Ashton und- "

„Sie kennen den Täter also?" Die braunen Augen von Mister Patton durchbohrten mich. „Ja. Äh- Ich meine nein. Ich kannte ihn damals noch nicht. Er sagte er würde ein Spiel mit mir spielen und dann hab ich meinen Schüssel verloren und er hat ihn mir zurückgegeben." Ich versuchte meine Gedanken zu sortieren.

„Sie haben sich mit ihm getroffen?" Ich fühlte mich genauestens beobachtet. „Nein, er war plötzlich da, als ich gelaufen bin." Mister Patton nickte und ich fuhr fort. „Dann wollte er sich mit mir treffen und mir das Spiel erklären. Und ich... ich habe mich mit ihm getroffen." Wieso wusste ich nicht mehr. „Dieses Spiel, worum ging es?" Ich erklärte es ihm so gut ich konnte.

„Aber Ashton hat das Spiel zurückgenommen. Er war gestern bei mir und hat sich entschuldigt, aber er meinte es dürfte niemals irgendwer erfahren." Ich schwieg und blickte unsicher zu Alice rüber. „Sie sagten, er war bei Ihnen und hat sich entschuldigt. Wieso sind sie nicht schon früher zur Polizei gegangen?" Ich überlegte. „Ich hatte zu viel Angst."

„Haben sie sonst noch Kontakt zum Täter?" Ich biss mir auf die Lippe. Alice würde es jetzt wohl oder übel mitbekommen. „Er geht seit kurzem in meine Klasse." Alice Blick war grauenvoll. „Haben sie noch etwas hinzuzufügen? Ich würde sonst gerne mit ihrer Freundin sprechen." Ich entschied mich dagegen etwas über Luke zu sagen. „Nein... das war es.", nickte ich zögernd.

Mister Patton wandte sich Alice zu. „Ist ihnen irgendetwas aufgefallen an ihrer Freundin?" Alice schien immer kleiner zu werden auf ihrem Stuhl. „Ehm, naja... Sie war sehr aufgelöst, nachdem sie sich mit Luke gestritten hatte und in den Wald gegangen ist." „Und in letzter Zeit?" Alice zuckte mit den Schultern und betrachtete mich entschuldigend. „Sie ist in sich gekehrt und ist fertig wegen der Trennung." Der Polizist nickte.

„Beschreiben Sie die Beziehung von Ihrer Freundin zum Täter. Sie sind doch in der gleichen Klasse?", machte Mister Patton weiter. Alice nickte. „Ehm. Mir ist nichts aufgefallen. Ich hatte sogar das Gefühl, dass die Beiden richtig gut miteinander klar kamen und er etwas mehr als Freundschaft von ihr wollte, aber..." Sie kratzte sich verlegen am Arm. „Ja?" Der Polizist lehnte sich weiter vor. „Annie war die gesamte Zeit nur auf Luke fixiert."

Meine Augen waren riesig. Worauf lief das ganze hinaus? „Miss Henderson, das alles sind schwere Anschuldigungen. Können sie irgendwie beweisen, dass dieser Ashton Ihnen so etwas angetan hat?" Mein Atem stockte. „Nein. Ich habe keinerlei Beweise... nur seine Worte.", erklärte ich leise.

„Könnte es sein - nun - könnte es sein, dass sie ein Trauma oder ähnliches von der Begegnung im Wald hatten und nun Ashton als schuldig ansehen?", fragte Mister Patton und ich schüttelte hastig den Kopf. „Nein... Nein es ist wahr!", beteuerte ich. „Glauben Sie an die Schuld von dem Täter?", fragte er Alice. Diese zuckte leicht mit den Schultern. Ich hatte sie nicht überzeugt.

„Es ist wahr!", erklärte ich nochmal. Mister Patton erhob sich. „Sie sollten einmal in der Woche zur Therapie, Miss Henderson. Wir wünschen Ihnen das Beste, aber ohne Beweise können wir nichts machen."

Alice zog mich raus und als wir im Auto saßen, kehrte Stille ein. Innerlich heulte ich. Es war alles Schlimmer geworden. Das waren meine Hoffnungen und nun sind sie zerplatzt. Und gleichzeitig fürchtete ich, dass Ashton dies nicht einfach so ruhen lassen würde. Er würde es herausfinden, wenn er es nicht schon wusste. Und dann konnte ich mich auf etwas gefasst machen, denn eins war klar: Er würde wütend sein.

Badabum. Ich hoffe es hat euch gefallen ;)

The sun between the moonsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt