„Annie! Hi!" Ein blondes Mädchen aus der Jahrgangsstufe unter mir legte ihre Sachen neben mir ab.

„Hey", begrüßte ich sie. Ihr Name war Carly und sie war ganz nett. Wir waren beide in den Leichtathletikkurs reingewürfelt worden. Ich beneidete Alice sehr für den Kunstkurs und auch Mikey hatte es mit dem Musikkurs besser als ich. Aber so war es nun mal. Dummes Losverfahren.

„Mädels, kommt raus aus der Kabine!", brüllte unsere Trainerin. Ich seufzte. Eigentlich mochte ich Sport, wenn es nicht um werfen oder springen ging. Laufen konnte ich einigermaßen gut. Naja, durchschnittlich. „Mädels!", brüllte sie wieder.

Leise murrend ging ich raus und hörte zu, was wir heute machen. „Ihr werdet den fünf Kilometer Lauf laufen und ich werde die Zeit stoppen." Laufen war gut. Auf Zeit war dann schon wieder nicht so gut. Ich sammelte meine Motivation. Ein Pfiff ertönte. Alle trotteten los.

„Und wie läuft's so?" Carly klang gut gelaunt. Ich grinste gezwungenermaßen. Wie läuft's so -> laufen. Na, tolles Wortspiel. „Gut" murmelte ich. Ich sollte nicht reden beim Laufen. „Naja, sehen uns nachher." Mit den Worten lief sie mir davon.

Na toll.

Der Weg führte uns von einem Feldweg an die Waldgrenze. Ich verspürte keine Angst. Es war helllichter Tag, da würde es keine komischen Typen im Wald geben. Ich ignorierte das Brennen in den Waden und lief ein kleines bisschen schneller. Ich wollte keine miese Note. Nach einer Weile hörte ich nur noch meinen Atem.

Fuß vor Fuß vor Fuß. Und so weiter. Es war so langweilig.

Plötzlich schoss ein beißender Schmerz durch mein Bein. Ich ging zu Boden und hielt mir das Bein. Scheiß Krampf! Ich versuchte mich in eine entspanntere Position zu bringen und verzog das Gesicht. Fieberhaft wartete ich auf einen meiner Mitschüler. War jemand hinter mir gewesen? Was, wenn ich die Letzte war?

Ich rieb meine verkrampften Muskeln und hoffte darauf, dass es aufhören würde zu schmerzen.

„Annie."

Die Stimme ließ mich zusammenzucken. Wild sah ich umher. Dort zwischen den Bäumen im Schatten stand Ashton. Ich rappelte mich hoch und biss dabei hart die Zähne zusammen. Keine Schwäche zeigen.

„Hast du Schmerzen?" Seine Stimme war dunkel und samtweich zugleich.

„Ich hab mich nur ausgeruht.", knurrte ich. Wir wussten beide, dass ich log. Ich wusste, dass es mir nichts bringen würde wegzulaufen. Nicht mit dem schmerzenden Bein.

Jetzt spielte Ash mit etwas in seiner Hand. „Guck mal was ich gefunden habe.", flüsterte er und ließ mich nicht aus den Augen. Etwas Silbernes blitzte auf. Mein Schlüssel. Mein Mund wurde trocken. „Gib ihn her.", krächzte ich. „Komm und hol ihn dir.", hauchte er mit einem Lächeln. Seine Augen waren dunkle Seen. Ich schaute den Feldweg entlang. Keine anderen Schüler in Sicht.

Unschlüssig stand ich da. „Ich.. kann nicht.", gab ich vor und deutete auf mein Bein. Er lachte. „Du bist eine miserable Lügnerin, Annie." „Gut. Behalt den Schlüssel, wir werden das Schloss austauschen.", zischte ich mit einem Kloss im Hals und belastete probehalber mein Bein. Es ging sogar... einigermaßen.

Ich humpelte den Weg entlang. Ashton schlenderte im Wald neben mir her. „Annie, du bist naiv." Seine Stimme war beiläufig, sein Gesicht entspannt. Ich zögerte eine winzige Sekunde und er merkte es sofort.

„Hast du keine Angst?" Er fragte es sanft, als könnte er mich verstehen.

„Nein.", log ich hart und schluckte.

Ashton grinste wieder. Seine Grübchen waren so anziehend. „Annie, tausche ruhig das Schloss aus. Aber was bringt es dir? Wieso hast du Angst davor, dass ich den Schlüssel hab?" Ich blickte ihn an. Nur eine winzige Sekunde. „Du... könntest... in unser Haus kommen." In meinen Ohren klang es nun merkwürdig. „Und da? Was sollte ich dort tun?" Er lauschte bedächtig. „Dort... könntest du..." Ich stockte. „Jemandem wehtun." „Wem?" Ich schüttelte energisch den Kopf.

Wieso unterhielt ich mich mit ihm?

Ich sollte nun schleunigst weg von hier und meiner Mum befehlen, dass Schloss auszutauschen! „Wenn ich deiner Mutter hätte wehtun wollen, dann hätte ich mich doch nicht an dich gewandt, oder? Dann hätte ich das doch schon längst gemacht." Ich ging weiter. In meinem Kopf ratterte es.

„Gut, wenn du nix willst, dann gib mir die Schlüssel und verschwinde aus meinem Leben.", knurrte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Ich ärgerte mich tierisch, dass ich nicht argumentieren konnte. Gott, das Ganze hier war krank. Ich blieb stehen, er auch. Wir standen uns in ungefähr drei Metern Abstand gegenüber. Seine Miene war versteinert.

„Komm her und hol ihn dir.", forderte er mich wieder auf. Ich atmete tief durch und verkleinerte den Abstand zwischen uns. Mir fiel wieder auf, wie wunderschön er war. „Also." Ich hielt ihm meine ausgestreckte Hand hin. „Nein. Komm näher." Wieder diese samtige Stimme. Mein Herz klopfte.

Ich stand jetzt direkt vor ihm im Schatten der Bäume. Meine Augen starrten grimmig in seine. Er umfasste meine Hand und etwas Kleines stach mir in die Handfläche. Ich zuckte kurz zusammen und wollte mich eilig zurückziehen, doch er war schneller. Seine Hand umschlang mein Handgelenk und er zog mich ganz nah an sich heran.

„Annie, du bist ein gutes Mädchen." Sein Atem strich mein Ohr, als er die Worte hauchte. Er roch nach Moos und Pfefferminze. Und... Orange? Ich hatte keine Ahnung, aber sein Duft setzte sich in meine Lungen. Ich zerrte an meiner Hand, doch er drückte nur noch fester zu.

„Und nun hör zu. Ich werde nicht aus deinem Leben verschwinden. Ich muss ein Spiel spielen und du bist meine Partnerin." „Warum ich?" Meine Stimme war flach. Die Angst war deutlich herauszuhören. „Weil ich dich ausgesucht habe, Honey." Er strich mir eine Strähne hinters Ohr. „Ich will nicht." Mein Herz hyperventilierte. „Du musst." „Was ist das für ein Spiel?", hörte ich mich fragen. Ashton lachte. „Keins, worüber du dir Gedanken machen musst." Ich taumelte. Hielt ich etwa die Luft an? Vor meinen Augen schimmerte die Luft.

„Ich gehe.", sagte ich tonlos. Er umschlang meine Hüfte. „Wie heißt das?" Meine Gedanken reisten zurück zu heute Nacht. War es erst gestern Abend passiert? Ungläubig drehte ich meinen Kopf und starrte auf einen Baum. „Sieh mich an." Sanft umschlossen seine Finger mein Kinn. „Lass mich gehen, Ash. Bitte.", flüsterte ich. Eine Träne verließ mein Auge. Es war wie ein Rückblick. „Okay, geh Annie." Er lächelte. „Wenn du kannst."

Schleunigst drehte ich mich um und rannte. Schmerzen hin oder her. Ich hielt nicht an und verlangsamte mein Tempo auch nicht. Kurz vor den Umkleiden konnte ich Carly einholen. Sie wartete etwas als sie mich in dem Tempo sah. „Alles gut?", lachte sie. Ich keuchte. Zu etwas anderem war ich nicht fähig. „Wollen wir etwas langsamer laufen?" Ihre Stimme war besorgt. Das Blut pumpte in meinem Kopf. Aber ich wollte nur so schnell wie möglich nach Hause. „Nein.", hustete ich heiser.

Als wir endlich ankamen, redete unsere Trainerin auf uns ein. Mir war meine Zeit scheißegal. Ich schlurfte meinen leblosen Körper in die Kabine und ließ ihn auf die Bank plumpsen. Meine Hände rissen meine Wasserflasche aus meiner Tasche und ich trank. Alles zitterte. Meine Hände, meine Knie, selbst die Bank gegenüber von mir. Ich stützte mich noch rechtzeitig ab, bevor mein Blickfeld immer enger wurde und ich zu Boden ging.

Dann war ich weg und noch da. Ich dachte nichts. Nur das Rauschen in meinen Ohren wurde lauter und leiser. Es war, als glitt ich immer weiter unter eine Wasseroberfläche. Mein Schädel drückte. „Annie!" Es war ein komisches Geräusch, es passte nicht zum Rauschen. Ich versuchte danach zu greifen. „Annie, ich bin hier!" „Beine hoch" „Es wird gleich besser." Das Stimmengewirr wurde immer deutlicher. Mir schwindelte, als ich plötzlich an die Wasseroberfläche gezogen wurde. Meine Augen gingen auf, doch trotzdem dauerte es eine Zeit bis ich verstand, wo ich war.

„Oh Gott, Annie! Du hast mir einen Schrecken eingejagt!", Carly's Stimme war viel zu laut. Ich öffnete meinen Mund und schloss ihn wieder, unfähig etwas zu sagen. Ein Schaudern ging durch meinen Körper. Erst jetzt merkte ich, dass ich total durchgeschwitzt war.

„Annie, bleiben Sie noch einen Augenblick liegen. Wenn es ihnen wieder gut geht, dann wird ihre Mutter sie abholen." Die Stimme meiner Trainerin war streng. „Was?", protestierte ich. Wie alt war ich denn, dass meine Mum mich abholen musste?! Und doch stand sie genau zehn Minuten später vor mir und umsorgte mich. Wir sollte eindeutig nochmal über das Thema „Achtzehn" sprechen.

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(Gegen ein Kommi hätte ich auch nichts :D)

The sun between the moonsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt