Zerbrochenes Glas lag auf dem feuchten Betonboden.
Es war düster und schmutzig und kalt. Ich drängte mich durch eine Öffnung, meine Hand in der Tasche hielt das Messer fest umschlossen. Das Blut rauschte in meinen Ohren. Meine Augen glitten durch den Schatten. Wo war Ashton?
Meine Fußschritte hallten von den Wänden wieder. Ich trat gegen eine Scherbe. Das verzogene Geräusch von schlitterndem Glas ließ mich zusammen zucken. Mein Magen drehte sich vor Angst. Und wenn es nun falsch war hierher zukommen? Schnell verscheuchte ich den Gedanken. Es gab keinen anderen Ausweg, redete ich mir zu hundertsten Mal ein.
Mein Mund war ausgetrocknet. Ich probierte zu schlucken, doch es funktionierte nicht. Mir war so schlecht! Der Wunsch wegzurennen zerrte an meinen Nerven.
„Hallo Annie."
Die Worte kamen von hinter mir und durchschnitten den Raum wie Butter. Ich zuckte abermals heftig zusammen und sprang fast herum. Meine Hand krallte sich noch fester um den warmen Griff des Messers. Ich erwiderte seine Begrüßung nicht.
Regungslos stand er da, bis er sich plötzlich in Bewegung setzte und langsam auf mich zu schlenderte. Ich wich etwas zurück, blieb jedoch schnell wieder stehen. „Das Spiel.", forderte ich ihn zittrig auf.
Ashton lächelte und umrundete mich. Er griff nach meiner rechten Hand und zog sie aus der Tasche. Grinsend nahm er das Messer aus meinen Fingern und betrachtete es im dämmrigen Licht. Ich spürte meine weichen Knie, doch traute ich mich nicht etwas zu sagen. Die Angst schaltete so viel Vernunft aus.
„Ich nehme nun einfach mal an, dass du es in deiner Tasche vergessen hattest. Du hast das Messer irgendwann mal da reingesteckt und es dann wirklich vergessen, nicht wahr, Annie?". Der Ton seiner Stimme war samtig, doch ich ließ mich nicht mehr täuschen.
Mein Atem beschleunigte sich, als ich die Klinge des Messers an meiner Handfläche spürte. „Nicht wahr, Liebes?" Ashton verstärkte den Druck des Messers. Ich nickte leicht. Noch war nichts passiert. Trotzdem schlug mein Herz in Übergeschwindigkeit.
Er strich mir sanft über die Wange. „Siehst du, wir brauchen das Messer nicht." Mit einem Klirren warf er es weg. Etwas erleichtert zog ich meine Hand aus seiner. „Ich bin wegen dem Spiel hier.", flüsterte ich.
Er zog einen Mundwinkel hoch. „Stimmt, Annie. Weißt du auch worum es geht?" Ich sah auf den kalten, trostlosen Boden. Sagte nichts. „Du hast eine Vermutung. Sprich sie aus, sonst kommen wir hier nicht weiter.", stellte er mich bloß. „Es gibt nur eine Sache, die..." Ich schluckte. „...du begehren könntest.".
Seine Augen wanderten an meinen Körper auf und ab. Er leckte sich über die Lippen. „Stimmt nicht ganz. Aber ich muss sagen, dass es auch seine gewissen Reize hätte." Ich schluckte gegen die Übelkeit an.
„Okay, ich stelle dir das Spiel vor, Annie. Höre genau zu, meine Liebe." Er fing wieder an um mich herum zu gehen. „Es gibt zwei Spieler. Es sei denn, du willst noch jemanden dabei haben."
Er beugte sich von hinten über meine Schulter. Ich konnte ihm atmen hören. „Willst du das, Annie?", hauchte er. Ein Kopfschütteln reichte ihm aus. Er setzte seine Erklärung fort.
„Gut. Also du und ich. Wir beide setzen einen Tribut. Etwas, das der andere erreichen muss um zu gewinnen. Gewinnst du, bist du frei. Gewinne ich, werde ich alle umbringen, die dir je etwas wert waren. Verstanden, Honey?" Ich blickte ihn an. Äußerlich zwang ich mich die Zähne zusammen zu beißen, innerlich kämpfte Unglauben mit Angst. Blanker, bodenloser, grässlicher Angst.
„Was muss ich tun um zu gewinnen?", fragte ich zögerlich, aber dennoch fest. Er lächelte sanft.
„Mein Tribut ist Luke."
Ich verstand nicht, was er damit meinte, aber bei Lukes Namen entgleisten mir meine sorgsam kontrollierten Gesichtszüge. „Woher...?" Er kicherte. „Was? Dachtest du, ich weiß nicht wer Luke ist? Dachtest du, ich setze die Nachbarskatze als Tribut?" Meine Augen brannten. Wie konnte ich nur so dumm sein? Ich hätte niemals hier her kommen sollen. Egal, was dann passiert wäre.
Die Tränen des Schams und der Wut nahmen mir die Sicht. „Luke ist nicht drin.", schüttelte ich den Kopf. Er blieb ruhig. „Wieso nicht? Nenn mir einen triftigen Grund." „Er soll nicht leiden.", schluchzte ich.
Ashton blickte mich an, wie man ein kleines Kind ansieht, dem man versucht begreiflich zu machen, dass das liebste Kuscheltier nicht mehr wiederkommt. „Kein annehmbarer Grund. Ob er leidet oder nicht, entscheidest du." „Wie..?", ich stockte. „Ich korrigiere: Mein Tribut ist nicht Luke, sondern sein Leben. Schaltest du es aus, gewinnst du.".
Gequält starre ich ihn an, unfähig ein Wort zu sagen. „Aber das geht alles nicht! Wenn ich gewinnen will, muss ich Luke umbringen und wenn ich nicht gewinne, stirbt Luke auch!" Er ging nicht auf mich ein.
„Dein Tribut für mich?", fragte er gut gelaunt. „Nein...", stöhnte ich endlich. „Ich werde niemals Luke umbringen." Er schüttelte tadelnd den Kopf. „Annie, ich hätte dich schlauer eingeschätzt. Denk doch mal nach."
Verzweifelt überdachte ich die letzten Sätze. Da musste irgendwo eine Schwachstelle sein, er hatte es zugegeben. Doch ich fand nichts. Meine Augen trafen seine. Flehend.
Er lächelte diabolisch. Ein aufgeregtes Glitzern ging von seinen Augen aus. „Annie, denk nach! Du musst ihn nicht umbringen. Nicht wenn du ein schwereren Tribut setzten kannst. Etwas, was mich nie gewinnen lässt." Ich dachte nach.
Also würde niemand jemals gewinnen. Ich bräuchte Luke nicht umbringen, wenn Ashtons Aufgabe schwer genug sein würde. Allerdings wäre ich auch nie so richtig frei, oder? Und was würde ich eventuell opfern können?
Mir brummte der Kopf. Konnte ich einen freien Fall aus zweitausend Metern Höhe mit ungedämmtem Aufprall als Tribut setzen? Das würde das Problem lösen...
„Tribut bedeutet eine Person, Annie.", unterbrach mich Ashton, als könnte er meine Gedanken hören.
„Du bist mein Tribut. Bring dich um, dann gewinnst du.", erklärte ich zufrieden mit meiner Logik. Er lachte. „Dann hab ich schon so gut wie gewonnen. Falls du glaubst, dadurch werden deine Lieben weiterleben, hast du dich geschnitten. Ich würde dafür sorgen, dass sie mit mir ins Grab gehen." Nein, nein, nein! Da muss irgendwo eine Schwachstelle sein! Irgendwo gibt es eine Lücke und ich muss nur darüber stolpern!
Und dann kam mir eine Idee. „Ich bin der Tribut. Bring mich um, dann hast du gewonnen." Meine Idee würde nur aufgehen, wenn wir noch nicht spielten. Ich schielte ängstlich zum Messer. Er könnte es jetzt und hier beenden.
Aber falls er gewinnen sollte, würde ich sowieso nicht mehr leben wollen. Wieso nicht alles auf eine Karte setzen? Ashton kniff angestrengt die Augen zusammen, während er über etwas nachdachte. „Okay, Annie. Lass es uns so machen." Ich sagte nichts, wollte einfach nur gehen.
Er zeigte mit der Hand zu der Öffnung, durch die ich reingekommen war. Ich setzte mich in Bewegung. Kurz bevor ich an draußen war, warf ich noch einen Blick zurück.
Ashton stand seitwärts zu mir. Er spielte mit dem Messer in der Hand. Er grinste und sagte, ohne seinen Kopf zu drehen: „Und Annie, du hast mir klar gemacht, dass du nicht wirklich gewinnen willst. Aber keine Sorge, Darling, ich werde dafür sorgen, dass du es wollen wirst. Dann können wir beide das Spiel genießen."
So jetzt kennt ihr das Spiel... Aber was meinte Ashton mit den letzten zwei Sätzen?
Meinung erwünscht :D
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The sun between the moons
Mystery / Thriller"Denk nicht, du hättest keine Wahl, Annie.", flüsterte er. "Du hast sie immer. Doch gibt es Alternativen, für die du dich niemals entscheiden würdest." Annie. Luke. Ashton. Anfangs war es nur eine Begegnung. Dann wurde es ein Spiel. ***Alle Rechte...