Kapitel 21

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Mit verklebten Augen, aber merkwürdig ausgeruht wachte ich am nächsten Tag auf und hievte mich aus meinem Bett. Im nächsten Moment fiel mir wieder ein, was ich gestern im Halbschlaf alles zu Deen gesagt hatte und Hitze schoss in meine Wangen.

Es war irgendwie unangenehm ehrlich gewesen und hatte er nicht gesagt, er wolle mir Tanzen beibringen? Vielleicht hatte er es nicht mit dem Wortlaut gesagt, aber es kam so rüber. Grübelnd und mit roten Wangen lief ich zu meinem Kleiderschrank, in den ich tatsächlich nach Tagen meine Sachen gelegt hatte.

Heute müsste ich eh den ganzen Tag meditieren, also zog ich eine schwarze Harems-Hose und ein grünes enges Top mit Spaghetti Trägern heraus. Da es immer noch April war, zog ich mir meine große ausgewaschen Jacke drüber und ließ sie offen.

Auf der Jacke waren einige Flecken im Stoff hängen geblieben, die einfach nicht herausgingen. Über einen dieser Flecke reibend lief ich nach unten und fand in der Küche Ingrid und nur eine Tasse auf dem Tisch.

Verwirrt musterte ich ihre gehetzte Haltung, ,,Musst du irgendwo hin?" Ingrid verließ ihre gehetzte Haltung nicht, sondern rannte eher noch schneller an mir vorbei, ,,Ich muss einkaufen gehen!" Rief sie und ich drehte mich überfordert im Kreis.

,,Pass auf dich auf!" Überrascht sah ich sie an, doch sie hatte mir ihren Rücken zugedreht und dann sagte sie etwas noch komischeres, ,,ich nehm Deen mit." Und dann, ohne dass ich etwas sagen konnte, war sie auch schon weg. Überfordert und mit einer fetten Falte auf der Stirn ließ ich mich auf meinen Stuhl fallen und griff zu der Tasse.

Das war jetzt mehr als merkwürdig gewesen, auch war neben dem gehetzt sein irgendetwas komisch gewesen an Ingrid. Irgendwas, was nicht ins Bild passte. Dann fiel es mir ein und ich klatschte mir auf den Oberschenkel, ,,Schwarz!" Rief ich wie würde das alles erklären zu meinem unsichtbaren Freund vor mir. ,,Die war ganz in Schwarz!"

Das war sie nie. Irgendetwas war immer bunt. Ein komisches Gefühl machte sich in mir breit, doch ich weigerte mich genauer darüber nachzudenken.

Kopfschüttelnd wand ich meine gesamte Aufmerksamkeit meiner Tasse zu, bis ich aufstand und ins Wohnzimmer ging. Eigentlich konnte ich heute auch Faulenzen oder endlich mal dieses Haus verlassen, was ich seit dem betreten nicht getan hatte. Doch irgendwie hatte ich nie die Lust dazu verspürt. Man musste nicht andauernd herausgehen oder "unter die Leute", wie es meine Schwester, Isabell, so gern, gepaart mit einem angeekelten Blick auf mich, sagte.

Seufzend schüttelte ich auch diese Gedanken weg und sah auf meine Tasse. Bisher hatte ich nicht wirklich darüber nachgedacht, woher Ingrid das Blut für mich hatte, jetzt machte es mich doch etwas stutzig. Eigentlich gab es eine Art Pakt hier in der Gegend, von dem die normale Bevölkerung nichts wusste. Dieser war schon Generationen vor meinem Vater geschlossen worden, da weder Vampire noch die Anführer der Menschen einen Krieg oder dergleichen wollten. Es wäre wohl eh eher zu einem abschlachten gekommen.

In dem Pakt wurde die Blutversorgung geregelt, denn die Menschen gaben uns Blut und wir töteten sie im Gegenzug nicht. Mein Vater nannte dies großzügig und mein Bruder, Theo, stimmte ihm voll und ganz zu. Meine Meinung war nicht gefragt und ich wüsste auch ehrlich gesagt nicht, was ich zu dem Pakt sagen sollte. Andererseits sollten Vampire, die nicht zu einer der Familien gehörten oder sich nicht registriert hatten in einem der Clans, keine Zugänge zu Blut haben. Ingrid war nicht einmal ein Vampir.

Mit neuer Skepsis betrachtete ich das Blut, mein Vater schien hier seine Finger im Spiel zu lassen und das war definitiv nicht im Pakt erlaubt. Seufzend stand ich auf und wusch meine Tasse ab. Nach Essen war mir nicht. Seit wir von Zuhause weg sind, hatte ich keinen Drang mehr etwas zu essen und auch kein Problem damit. Wahrscheinlich hatte ich wegen des ganzen Meditierens keinen Hunger mehr. Darin war ich sogar ein Stückchen vorangekommen, denn Ingrid gab mir immer neue Aufgaben, wenn ich eine gemeistert hatte und die Momentane war es Dinge hinter Illusionen verstecken.

Eigentlich war es nicht so schwer und so ähnlich hatte ich es davor schon ein paar mal gemacht, doch die Kunst bestand nun darin, eine perfekte Illusion zu erschaffen. Sie musste nicht nur glaubhaft aussehen, sondern auch standhalten, wenn jemand näher daran herantrat.

Kurz ließ ich meine Schultern kreisen, ehe ich mich auf das Sofa fallen ließ und begann. Ingrid war es auch wichtig, dass ich nicht nur Ausdauer übte, sondern auch die Entfernungen. Sie trieben mich an meine Grenzen, so wie gerade. Meine Arme zitterten, doch ich wollte sie nicht fallen lassen, da es danach nur noch schlimmer war.

Schließlich sah ich wieder auf die Uhr über der Küchentür und ließ mit einem erleichtertem Stöhnen meine Arme sinken. Müdigkeit kam über mich und ich rollte mich auf dem Sofa zusammen. Ächzend zog ich mir eine Decke heran und über mich und schloss gähnend meine Augen.

Nach dem Meditieren träumte ich meistens nichts, sondern wachte einfach nach einer Zeit aus der Dunkelheit wieder auf, fühlte mich wie neu und setzte mich wieder an meine Übungen. Diesmal war es jedoch anders.

Erschrocken riss ich meine Augen auf, nachdem ein lautes Knacken an mein Ohr gedrungen war. Mit pochendem Herzen lauschte ich und drückte mein Gesicht mehr in das Sofa, um mich hinter der Decke zu verstecken. Einige Sekunden lang hörte ich nur das Blut durch meine Adern rauschen und mein Herz in einem unregelmäßigen Rhythmus pochen, bis es plötzlich knarzte.

Rasch hielt ich meinen Atem an und lag, ganz stillt. Mein Herz wurde immer schneller und ich schloss langsam wieder meine Augen, um mich zu beruhigen, als es erneut knarzte und diesmal dichter. Es hörte sich so an, als wäre durch den Hintereingang hereingekommen und würde jetzt in die Küche gehen.

Vielleicht waren Deen und Ingrid wieder da? Allerdings würde ich das merken. Irgendwie spürte man es, wenn Gefahr sich näherte. In meinem Kopf legte sich plötzlich irgendetwas um und ich begann langsam im Liegen zu meditieren, um in diesen kontrollierten Zustand zu kommen. Da ich es noch nie im Liegen gemacht hatte, dauerte es jetzt lange bis sich die bekannte Wärme und dieses berauschende Gefühl in mir breit machte.

Jetzt konzentrierte ich mich darauf, wieder eine Illusion zu erzeugen, die etwas versteckte, doch dieses etwas war diesmal keine Pflanze oder Tasse, sondern ich selbst. Dabei entstand das Risiko, dass es nicht richtig funktionierte und man mich, ohne dass ich es wusste, doch sehen konnte. Ich musste alles auf eine Karte setzten und mich mehr anstrengen als jemals zuvor.

Vorsichtig schob ich die Decke von mir, da es komisch aussah, wenn eine Decke einfach in der Luft schweben würde. Es war noch hell draußen und die Uhr über der Küchentür sagte mir, dass es später Nachmittag war. Ruhig stand ich auf und spürte den Schweiß über meine Stirn fließen. In dem Moment, in dem ich um den kleinen Tisch vor dem Sofa herumlief, trat jemand aus der Küche.

Es war ein Mann. Groß und schwarz angezogen, wobei man die Waffen, die er unter seiner Kleidung trug, sehr gut erkennen konnte. Erschrocken war ich wie versteinert stehen geblieben und starrte den Mann in der Tür einfach an. Er sah mich nicht, sondern blickte suchend durch das Wohnzimmer, wobei er mit vorsichtigen Schritten immer mehr hereintrat.

Dann traf es mich wie ein Schlag. Ich kannte diesen Mann, was das komische Gefühl in meinem Bauch erklärte, obwohl kennen war etwas übertrieben. Doch ich hatte ihn definitiv schon einmal gesehen und schon damals hatte er mir eine Gänsehaut über meinen Rücken laufen lassen.

Damals in der Schenke, in der ich Deen gesucht hatte, hatte ich ihn am selben Tisch sitzen sehen wie Deen. Er war der Mann, der nicht über die herablassenden Witze der anderen gelacht hatte, sondern mich nur angestarrt hatte.

Langsam wich ich zurück, um zu der leeren Wand neben dem Sofa zu kommen. Dort würde er nicht hingehen, zu mindestens hoffte ich das. Der Mann sah nicht einmal in meine Richtung, sondern ging zur Tür, welche in den Verkaufsraum führte. Derweil war ich an der Wand angekommen und eine Frage begann meine Gedanken zu dominieren.

Warum war er hier? Er schien etwas zu suchen und Ingrid hatte gemeint, dass jemand nach mir suchte und sie mich umbringen wollen. Das hatten sie ja auch schon versucht, stattdessen jedoch Annelise erwischt. Ein Schauer überkam mich, doch ich ballte sofort meine Hände zu Fäusten, um das Zittern zu unterdrücken und die Illusion aufrechtzuerhalten.

Er musste einer von ihnen sein, daran lag kein Zweifel mehr. Doch Deen saß mit ihnen an einem Tisch, was nur zwei Möglichkeiten offen ließ. Entweder fiel dieser Mann Deen in den Rücken oder Deen weiß mehr über diese ganze Sache, als er zugeben will. Ich hoffte auf die erste Möglichkeit und presste mich näher an die Wand, denn egal welche der beiden Möglichkeiten schließlich die richtige war, fest stand, dieser Mann will mich umbringen.

After the NightfallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt